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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Charakter des heutigen Volks ab. In Bezug auf letzteres befindet sich der
Verfasser im Gegensatze gegen eine jetzt vom größern Theile der Tagesliteratur
vertretene Ansicht, nach welcher die Neugriechen schlechterdings zu keiner Hoff¬
nung berechtigen. Prof. Bischer sagt dagegen: "Ich habe den Griechen
durchschnittlich in seiner Weise streng religiös , gastfrei, gefällig und in vielen
Beziehungen treu und ehrlich gefunden; man darf in dem Hause des ganz un¬
bekannten Landmannes, ohne etwas verschließen zu können, unbesorgt und
ruhig bleiben, er wird nichts von den Gegenständen, die er staunend anschaut,
berühren; dem Diener darf man alles anvertrauen, was man hat, er wird es
mit größter Sorgfalt hüten. Im Handel und Verkehr ist er sehr betriebsam
und gewandt, dabei allerdings gewinnsüchtig und häufig unzuverlässig; er sieht
es oft nur als einen erlaubten Beweis der Klugheit an, sich durch Ueberfor¬
derung unbilligen Vortheil zu verschaffen, und soll auch andere unlöbliche
Mittel durchaus nicht verschmähen; doch beweist die Achtung, welche zahlreiche
griechische Häuser in den ersten europäischen Handelsstädten genießen, hinläng¬
lich, daß er auch im ehrenhaften Geschäftsbetriebe hinter andern Nationen nicht
zurücksteht, und in Griechenland selbst sind Häuser, denen von Westeuropäern
unbedingtes Vertrauen geschenkt wird. Zur See ist bekanntlich der Grieche
' fähig, mit allen Nationen glücklich zu concurriren. Wo er freies Grundeigen-
thum besitzt, ist er auch als Landmann arbeitsam und thätig, freilich oft in
Folge seiner gänzlichen Abgeschlossenheit gegen den Occident in höchst unzweck¬
mäßiger Weise, indem der Ackerbau noch auf einer diesen Stufe steht. Daneben
hat er besonders in größern Städten einen Hang zu müßigem Herumstehen
und Schwatzen. Er ist stolz und darum findet man im ganzen Lande so zu
sagen keine Bettler; ich bin, die Blinden und Krüppel ausgenommen, welche
an den Straßen sitzen und den Vorbeigehenden um ein Almosen ansprechen,
während meines Aufenthaltes in Griechenland zweimal angebettelt worden,
und das kann nicht etwa nur von der Leichtigkeit des südlichen Lebens her¬
kommen , denn sonst müßte man auch in Italien keine Bettler finden, das
gleiche Begünstigung des Klimas genießt. Er ist aber auch eitel und liebt es
sehr, äußerlich gänzend aufzutreten. Bei aller Gewinnsucht ist er freigebig
und wohlthätig, und das selbst in großartigem Maßstabe, wie es die für ein
Ländchen von ungefähr einer Million Einwohner außerordentlich zahlreichen
Stiftungen aller Art beweisen. In Aufopferungsfähigkeit haben im Befreiungs¬
kriege einzelne Unglaubliches geleistet, während freilich andere nur ihr eignes
Interesse suchten und an die Stelle der türkischen Herrschaft ihre eigne zu
setzen trachteten, wie das bei allen Revolutionen zu geschehen pflegt. Natür¬
liche Intelligenz und Lernbegierde besitzt der Grieche in hohem Grade, und
wenn auch vielleicht nicht ohne Grund behauptet wird , die Wissenschaft werde
mehr als, ein Mittel zu Ehre und Reichthum, denn um ihrer selbst willen


Charakter des heutigen Volks ab. In Bezug auf letzteres befindet sich der
Verfasser im Gegensatze gegen eine jetzt vom größern Theile der Tagesliteratur
vertretene Ansicht, nach welcher die Neugriechen schlechterdings zu keiner Hoff¬
nung berechtigen. Prof. Bischer sagt dagegen: „Ich habe den Griechen
durchschnittlich in seiner Weise streng religiös , gastfrei, gefällig und in vielen
Beziehungen treu und ehrlich gefunden; man darf in dem Hause des ganz un¬
bekannten Landmannes, ohne etwas verschließen zu können, unbesorgt und
ruhig bleiben, er wird nichts von den Gegenständen, die er staunend anschaut,
berühren; dem Diener darf man alles anvertrauen, was man hat, er wird es
mit größter Sorgfalt hüten. Im Handel und Verkehr ist er sehr betriebsam
und gewandt, dabei allerdings gewinnsüchtig und häufig unzuverlässig; er sieht
es oft nur als einen erlaubten Beweis der Klugheit an, sich durch Ueberfor¬
derung unbilligen Vortheil zu verschaffen, und soll auch andere unlöbliche
Mittel durchaus nicht verschmähen; doch beweist die Achtung, welche zahlreiche
griechische Häuser in den ersten europäischen Handelsstädten genießen, hinläng¬
lich, daß er auch im ehrenhaften Geschäftsbetriebe hinter andern Nationen nicht
zurücksteht, und in Griechenland selbst sind Häuser, denen von Westeuropäern
unbedingtes Vertrauen geschenkt wird. Zur See ist bekanntlich der Grieche
' fähig, mit allen Nationen glücklich zu concurriren. Wo er freies Grundeigen-
thum besitzt, ist er auch als Landmann arbeitsam und thätig, freilich oft in
Folge seiner gänzlichen Abgeschlossenheit gegen den Occident in höchst unzweck¬
mäßiger Weise, indem der Ackerbau noch auf einer diesen Stufe steht. Daneben
hat er besonders in größern Städten einen Hang zu müßigem Herumstehen
und Schwatzen. Er ist stolz und darum findet man im ganzen Lande so zu
sagen keine Bettler; ich bin, die Blinden und Krüppel ausgenommen, welche
an den Straßen sitzen und den Vorbeigehenden um ein Almosen ansprechen,
während meines Aufenthaltes in Griechenland zweimal angebettelt worden,
und das kann nicht etwa nur von der Leichtigkeit des südlichen Lebens her¬
kommen , denn sonst müßte man auch in Italien keine Bettler finden, das
gleiche Begünstigung des Klimas genießt. Er ist aber auch eitel und liebt es
sehr, äußerlich gänzend aufzutreten. Bei aller Gewinnsucht ist er freigebig
und wohlthätig, und das selbst in großartigem Maßstabe, wie es die für ein
Ländchen von ungefähr einer Million Einwohner außerordentlich zahlreichen
Stiftungen aller Art beweisen. In Aufopferungsfähigkeit haben im Befreiungs¬
kriege einzelne Unglaubliches geleistet, während freilich andere nur ihr eignes
Interesse suchten und an die Stelle der türkischen Herrschaft ihre eigne zu
setzen trachteten, wie das bei allen Revolutionen zu geschehen pflegt. Natür¬
liche Intelligenz und Lernbegierde besitzt der Grieche in hohem Grade, und
wenn auch vielleicht nicht ohne Grund behauptet wird , die Wissenschaft werde
mehr als, ein Mittel zu Ehre und Reichthum, denn um ihrer selbst willen


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[0242] Charakter des heutigen Volks ab. In Bezug auf letzteres befindet sich der Verfasser im Gegensatze gegen eine jetzt vom größern Theile der Tagesliteratur vertretene Ansicht, nach welcher die Neugriechen schlechterdings zu keiner Hoff¬ nung berechtigen. Prof. Bischer sagt dagegen: „Ich habe den Griechen durchschnittlich in seiner Weise streng religiös , gastfrei, gefällig und in vielen Beziehungen treu und ehrlich gefunden; man darf in dem Hause des ganz un¬ bekannten Landmannes, ohne etwas verschließen zu können, unbesorgt und ruhig bleiben, er wird nichts von den Gegenständen, die er staunend anschaut, berühren; dem Diener darf man alles anvertrauen, was man hat, er wird es mit größter Sorgfalt hüten. Im Handel und Verkehr ist er sehr betriebsam und gewandt, dabei allerdings gewinnsüchtig und häufig unzuverlässig; er sieht es oft nur als einen erlaubten Beweis der Klugheit an, sich durch Ueberfor¬ derung unbilligen Vortheil zu verschaffen, und soll auch andere unlöbliche Mittel durchaus nicht verschmähen; doch beweist die Achtung, welche zahlreiche griechische Häuser in den ersten europäischen Handelsstädten genießen, hinläng¬ lich, daß er auch im ehrenhaften Geschäftsbetriebe hinter andern Nationen nicht zurücksteht, und in Griechenland selbst sind Häuser, denen von Westeuropäern unbedingtes Vertrauen geschenkt wird. Zur See ist bekanntlich der Grieche ' fähig, mit allen Nationen glücklich zu concurriren. Wo er freies Grundeigen- thum besitzt, ist er auch als Landmann arbeitsam und thätig, freilich oft in Folge seiner gänzlichen Abgeschlossenheit gegen den Occident in höchst unzweck¬ mäßiger Weise, indem der Ackerbau noch auf einer diesen Stufe steht. Daneben hat er besonders in größern Städten einen Hang zu müßigem Herumstehen und Schwatzen. Er ist stolz und darum findet man im ganzen Lande so zu sagen keine Bettler; ich bin, die Blinden und Krüppel ausgenommen, welche an den Straßen sitzen und den Vorbeigehenden um ein Almosen ansprechen, während meines Aufenthaltes in Griechenland zweimal angebettelt worden, und das kann nicht etwa nur von der Leichtigkeit des südlichen Lebens her¬ kommen , denn sonst müßte man auch in Italien keine Bettler finden, das gleiche Begünstigung des Klimas genießt. Er ist aber auch eitel und liebt es sehr, äußerlich gänzend aufzutreten. Bei aller Gewinnsucht ist er freigebig und wohlthätig, und das selbst in großartigem Maßstabe, wie es die für ein Ländchen von ungefähr einer Million Einwohner außerordentlich zahlreichen Stiftungen aller Art beweisen. In Aufopferungsfähigkeit haben im Befreiungs¬ kriege einzelne Unglaubliches geleistet, während freilich andere nur ihr eignes Interesse suchten und an die Stelle der türkischen Herrschaft ihre eigne zu setzen trachteten, wie das bei allen Revolutionen zu geschehen pflegt. Natür¬ liche Intelligenz und Lernbegierde besitzt der Grieche in hohem Grade, und wenn auch vielleicht nicht ohne Grund behauptet wird , die Wissenschaft werde mehr als, ein Mittel zu Ehre und Reichthum, denn um ihrer selbst willen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/242>, abgerufen am 01.09.2024.