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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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ridor in Verbindung, auf welchem der Schloßkaplan neben dem unheimlichen
Armensünderstübchen wohnte, wo früher Kapuziner die Maleficanten zum
Tode vorbereiten mußten. Es waren dumpfe, unheimliche Räumlichkeiten,
in deren Zugängen alte Folterwerkzeuge, Herenhemden, Todtentruhen und
anderes schauerliches Gerüche aufbewahrt wurde. Wilddiebe, Landfahrer,
Zänkische" Weiber und etwas zu derb sie zurechtweisende Männer waren
ihre gewöhnlichen Insassen, deren Strafe gewöhnlich in Prügeln, öffentlicher
Ausstellung im spanischen Mantel, einem eisenbeschlagenen faßähnlichen Ge¬
häuse, in welchem die Männer auf- und abgehen mußten, und für daS zar¬
tere Geschlecht im Einspänner in die Geige bestand, wobei Kopf und Hände
M hölzerne Klammern gefaßt wurden, welche Strafe besonders bei Keiserinnen,
die zu zweien hineinkämen, etwas sehr Posstrliches hatte.

In dem Städtchen war wenig Wohlstand, doch wußte sich jeder durch
ein kleines Handwerk, oder wenn das nicht gehen wollte, auf guter Leute
Unkosten zu ernähren. Dabei bauten die meisten einige Stückchen Feldes an,
hatten ein Kühlein oder doch eine Ziege im Stalle, und lebten fröhlich und
unbesorgt in den Tag hinein. Der Katholicismus, der gewiß großen Antheil
"n dieser Leichtblütigkeit hatte, zeigte sich hier in seiner mildesten, liebenswür¬
digsten Gestalt, und "leben und leben lassen" galt so ziemlich für alle.

Von dem protestantischen Gesichtspunkte aus mögen die angeführten
Charakterzüge eben nicht viel LobenswertheS enthalten, dem unbefangenen
Beobachter aber kann die Liebenswürdigkeit und innige Fröhlichkeit des, wenn
auch nicht grade auf einer hohen Stufe sittlicher Ausbildung stehenden Völk¬
chens nicht entgehen, und besonders wird ihn die Unbefangenheit und Treu¬
herzigkeit im täglichen Verkehr anziehen. Dabei findet sich häufig reges Stre¬
ben nach geistigem Erwerbe, auch bei dem weiblichen Geschlechte, und ein ge¬
wisses Geschick, sich in höheren Lebensverhältnissen zu bewegen, was mit den
künstlerischen Anlagen deö Volkes zusammenhängen mag, das besonders
Musikalisch begabt ist und seine Feldarbeiten häufig mit Gesang begleitet. --

Wie es dem neuen Landesherrn gelingen mag, diese süddeutschen Naturen
in dem strammen nordischen Wesen aufgehen zu lassen, das wird erst die Folge
i°dren, wenn die leichtbeweglichen Gemüther zu einigem Bewußtsein ihrer
Lage gekommen sind. Jedenfalls liegt in dem Volke etwas Unbändiges, Ge¬
nußsüchtiges, zugleich aber auch etwas Kindliches, das sich an allem Neuen
begeistert, und die Güter dieser Welt, wenn sie mit Mühe und Arbeit errun¬
gen werden müssen, gering achtet.




ridor in Verbindung, auf welchem der Schloßkaplan neben dem unheimlichen
Armensünderstübchen wohnte, wo früher Kapuziner die Maleficanten zum
Tode vorbereiten mußten. Es waren dumpfe, unheimliche Räumlichkeiten,
in deren Zugängen alte Folterwerkzeuge, Herenhemden, Todtentruhen und
anderes schauerliches Gerüche aufbewahrt wurde. Wilddiebe, Landfahrer,
Zänkische« Weiber und etwas zu derb sie zurechtweisende Männer waren
ihre gewöhnlichen Insassen, deren Strafe gewöhnlich in Prügeln, öffentlicher
Ausstellung im spanischen Mantel, einem eisenbeschlagenen faßähnlichen Ge¬
häuse, in welchem die Männer auf- und abgehen mußten, und für daS zar¬
tere Geschlecht im Einspänner in die Geige bestand, wobei Kopf und Hände
M hölzerne Klammern gefaßt wurden, welche Strafe besonders bei Keiserinnen,
die zu zweien hineinkämen, etwas sehr Posstrliches hatte.

In dem Städtchen war wenig Wohlstand, doch wußte sich jeder durch
ein kleines Handwerk, oder wenn das nicht gehen wollte, auf guter Leute
Unkosten zu ernähren. Dabei bauten die meisten einige Stückchen Feldes an,
hatten ein Kühlein oder doch eine Ziege im Stalle, und lebten fröhlich und
unbesorgt in den Tag hinein. Der Katholicismus, der gewiß großen Antheil
«n dieser Leichtblütigkeit hatte, zeigte sich hier in seiner mildesten, liebenswür¬
digsten Gestalt, und „leben und leben lassen" galt so ziemlich für alle.

Von dem protestantischen Gesichtspunkte aus mögen die angeführten
Charakterzüge eben nicht viel LobenswertheS enthalten, dem unbefangenen
Beobachter aber kann die Liebenswürdigkeit und innige Fröhlichkeit des, wenn
auch nicht grade auf einer hohen Stufe sittlicher Ausbildung stehenden Völk¬
chens nicht entgehen, und besonders wird ihn die Unbefangenheit und Treu¬
herzigkeit im täglichen Verkehr anziehen. Dabei findet sich häufig reges Stre¬
ben nach geistigem Erwerbe, auch bei dem weiblichen Geschlechte, und ein ge¬
wisses Geschick, sich in höheren Lebensverhältnissen zu bewegen, was mit den
künstlerischen Anlagen deö Volkes zusammenhängen mag, das besonders
Musikalisch begabt ist und seine Feldarbeiten häufig mit Gesang begleitet. —

Wie es dem neuen Landesherrn gelingen mag, diese süddeutschen Naturen
in dem strammen nordischen Wesen aufgehen zu lassen, das wird erst die Folge
i°dren, wenn die leichtbeweglichen Gemüther zu einigem Bewußtsein ihrer
Lage gekommen sind. Jedenfalls liegt in dem Volke etwas Unbändiges, Ge¬
nußsüchtiges, zugleich aber auch etwas Kindliches, das sich an allem Neuen
begeistert, und die Güter dieser Welt, wenn sie mit Mühe und Arbeit errun¬
gen werden müssen, gering achtet.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/231>, abgerufen am 01.09.2024.