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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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jenes Kampfes vergegenwärtigen, als den tiefern innern Zusammenhang ana-
lysiren. Er spricht als warmer Freund der Italiener und steht der Zukunft
nicht ohne Hoffnung entgegen. Wenn er sich aber im Allgemeinen gegen die
Phantastischen Verschwörungen der mazzinistischen Partei ausspricht, so scheint
er uns in manchen Punkten nicht weit genug zu gehen und einer Ergänzung
zu bedürfen. Vielleicht liegt das grade darin, daß er mehr die Persönlichkei¬
ten schildert, als die Zustände. Gewiß ist eine phantastische Figur wie Mazzini,
ein Charakter von beschränkter Einsicht, aber unvergleichlicher Ausdauer,, der
seine unreifen Entwürfe mit der Hartnäckigkeit einer firen Idee festhält, von
unberechenbarem Einfluß auf die Entwicklung Italiens, aber er ist es doch nur,
weil in seiner Person sich die Richtung des bei weitem größten Theils seiner
Landsleute concentrirt. Verschwörer hat eS zu allen Zeiten und unter allen
Völkern gegeben, aber diese Methode und Ausdauer des Verschwörers ist doch
Nur bei einem Italiener zu denken, der die alte Heimath der Diplomaten,
Phantasten und Intriganten nicht verleugnet.

Denken wir an die große Vergangenheit Italiens und betrachten wir uns
das aufgeweckte, noch immer geistig regsame Volk, welches in zwei Jahrhunderten
der Knechtschaft und Stagnation seine Elasticität nicht ganz verloren hat, .so
können wir uns eines lebhaften Mitgefühls für ihre Freiheitsbestrebungen nicht
erwehren. Dazu kommt noch, daß Italien geographisch alle Bedingungen,
einen unabhängigen Staat zu bilden, vollkommen erfüllt; ein Umstand, der
seine Sache wesentlich von der der Ungarn und Polen unterscheidet. In der
allgemeinen europäischen Entwicklung fehlt ein wesentliches Glied, so lange
Italien nicht in der Literatur und Kunst wieder eine Stellung einnimmt, zu
der es seine Anlagen, seine Geschichte und seine noch immer bedeutende Bil¬
dung berechtigen. Für den Augenblick ist Italien für die europäische Cultur¬
entwicklung, auch für die Entwicklung desjenigen Staats, dem es zum Theil
Unterthan ist, eher schädlich als nützlich; eS gibt uns den Ultramontanismus
und den abstracten Republikanismus, und Oestreich selbst würde steh -z. B. viel
unabhängiger entwickeln können, wenn es nicht beständig auf dem gui vivo
gegen die italienischen Republikaner stehen und auf seine Beziehungen zum
Papst Rücksicht nehmen müßte.

Allein mit Wünschen ist für die Weiterentwicklung der Geschichte noch nicht
viel gethan, und eS stellen sich der Idee einer Befreiung Italiens sehr ernste
Bedenken entgegen. So schmerzlich uns in mancher Beziehung der Ausgang
von 1848 berühren muß, so bleibt es doch sehr die Frage, ob er nicht unter
allen denkbaren der erträglichste war, denn ein Sieg der Mazzinisten hätte
wahrscheinlich nichts weiter herbeigeführt, als eine vollständige Vernichtung der
wenigen conservativen Elemente, die noch vorhanden waren; er hätte dann
Italien ganz hilflos in die Hände der Fremden gegeben. Ueberhaupt darf


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jenes Kampfes vergegenwärtigen, als den tiefern innern Zusammenhang ana-
lysiren. Er spricht als warmer Freund der Italiener und steht der Zukunft
nicht ohne Hoffnung entgegen. Wenn er sich aber im Allgemeinen gegen die
Phantastischen Verschwörungen der mazzinistischen Partei ausspricht, so scheint
er uns in manchen Punkten nicht weit genug zu gehen und einer Ergänzung
zu bedürfen. Vielleicht liegt das grade darin, daß er mehr die Persönlichkei¬
ten schildert, als die Zustände. Gewiß ist eine phantastische Figur wie Mazzini,
ein Charakter von beschränkter Einsicht, aber unvergleichlicher Ausdauer,, der
seine unreifen Entwürfe mit der Hartnäckigkeit einer firen Idee festhält, von
unberechenbarem Einfluß auf die Entwicklung Italiens, aber er ist es doch nur,
weil in seiner Person sich die Richtung des bei weitem größten Theils seiner
Landsleute concentrirt. Verschwörer hat eS zu allen Zeiten und unter allen
Völkern gegeben, aber diese Methode und Ausdauer des Verschwörers ist doch
Nur bei einem Italiener zu denken, der die alte Heimath der Diplomaten,
Phantasten und Intriganten nicht verleugnet.

Denken wir an die große Vergangenheit Italiens und betrachten wir uns
das aufgeweckte, noch immer geistig regsame Volk, welches in zwei Jahrhunderten
der Knechtschaft und Stagnation seine Elasticität nicht ganz verloren hat, .so
können wir uns eines lebhaften Mitgefühls für ihre Freiheitsbestrebungen nicht
erwehren. Dazu kommt noch, daß Italien geographisch alle Bedingungen,
einen unabhängigen Staat zu bilden, vollkommen erfüllt; ein Umstand, der
seine Sache wesentlich von der der Ungarn und Polen unterscheidet. In der
allgemeinen europäischen Entwicklung fehlt ein wesentliches Glied, so lange
Italien nicht in der Literatur und Kunst wieder eine Stellung einnimmt, zu
der es seine Anlagen, seine Geschichte und seine noch immer bedeutende Bil¬
dung berechtigen. Für den Augenblick ist Italien für die europäische Cultur¬
entwicklung, auch für die Entwicklung desjenigen Staats, dem es zum Theil
Unterthan ist, eher schädlich als nützlich; eS gibt uns den Ultramontanismus
und den abstracten Republikanismus, und Oestreich selbst würde steh -z. B. viel
unabhängiger entwickeln können, wenn es nicht beständig auf dem gui vivo
gegen die italienischen Republikaner stehen und auf seine Beziehungen zum
Papst Rücksicht nehmen müßte.

Allein mit Wünschen ist für die Weiterentwicklung der Geschichte noch nicht
viel gethan, und eS stellen sich der Idee einer Befreiung Italiens sehr ernste
Bedenken entgegen. So schmerzlich uns in mancher Beziehung der Ausgang
von 1848 berühren muß, so bleibt es doch sehr die Frage, ob er nicht unter
allen denkbaren der erträglichste war, denn ein Sieg der Mazzinisten hätte
wahrscheinlich nichts weiter herbeigeführt, als eine vollständige Vernichtung der
wenigen conservativen Elemente, die noch vorhanden waren; er hätte dann
Italien ganz hilflos in die Hände der Fremden gegeben. Ueberhaupt darf


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[0219] jenes Kampfes vergegenwärtigen, als den tiefern innern Zusammenhang ana- lysiren. Er spricht als warmer Freund der Italiener und steht der Zukunft nicht ohne Hoffnung entgegen. Wenn er sich aber im Allgemeinen gegen die Phantastischen Verschwörungen der mazzinistischen Partei ausspricht, so scheint er uns in manchen Punkten nicht weit genug zu gehen und einer Ergänzung zu bedürfen. Vielleicht liegt das grade darin, daß er mehr die Persönlichkei¬ ten schildert, als die Zustände. Gewiß ist eine phantastische Figur wie Mazzini, ein Charakter von beschränkter Einsicht, aber unvergleichlicher Ausdauer,, der seine unreifen Entwürfe mit der Hartnäckigkeit einer firen Idee festhält, von unberechenbarem Einfluß auf die Entwicklung Italiens, aber er ist es doch nur, weil in seiner Person sich die Richtung des bei weitem größten Theils seiner Landsleute concentrirt. Verschwörer hat eS zu allen Zeiten und unter allen Völkern gegeben, aber diese Methode und Ausdauer des Verschwörers ist doch Nur bei einem Italiener zu denken, der die alte Heimath der Diplomaten, Phantasten und Intriganten nicht verleugnet. Denken wir an die große Vergangenheit Italiens und betrachten wir uns das aufgeweckte, noch immer geistig regsame Volk, welches in zwei Jahrhunderten der Knechtschaft und Stagnation seine Elasticität nicht ganz verloren hat, .so können wir uns eines lebhaften Mitgefühls für ihre Freiheitsbestrebungen nicht erwehren. Dazu kommt noch, daß Italien geographisch alle Bedingungen, einen unabhängigen Staat zu bilden, vollkommen erfüllt; ein Umstand, der seine Sache wesentlich von der der Ungarn und Polen unterscheidet. In der allgemeinen europäischen Entwicklung fehlt ein wesentliches Glied, so lange Italien nicht in der Literatur und Kunst wieder eine Stellung einnimmt, zu der es seine Anlagen, seine Geschichte und seine noch immer bedeutende Bil¬ dung berechtigen. Für den Augenblick ist Italien für die europäische Cultur¬ entwicklung, auch für die Entwicklung desjenigen Staats, dem es zum Theil Unterthan ist, eher schädlich als nützlich; eS gibt uns den Ultramontanismus und den abstracten Republikanismus, und Oestreich selbst würde steh -z. B. viel unabhängiger entwickeln können, wenn es nicht beständig auf dem gui vivo gegen die italienischen Republikaner stehen und auf seine Beziehungen zum Papst Rücksicht nehmen müßte. Allein mit Wünschen ist für die Weiterentwicklung der Geschichte noch nicht viel gethan, und eS stellen sich der Idee einer Befreiung Italiens sehr ernste Bedenken entgegen. So schmerzlich uns in mancher Beziehung der Ausgang von 1848 berühren muß, so bleibt es doch sehr die Frage, ob er nicht unter allen denkbaren der erträglichste war, denn ein Sieg der Mazzinisten hätte wahrscheinlich nichts weiter herbeigeführt, als eine vollständige Vernichtung der wenigen conservativen Elemente, die noch vorhanden waren; er hätte dann Italien ganz hilflos in die Hände der Fremden gegeben. Ueberhaupt darf 27 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/219>, abgerufen am 01.09.2024.