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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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schaft weht durch alle Seiten dieser Schrift, und dabei zugleich ein Gefühl der
Stärke, welches sich seiner Ueberlegenheit über die äußere Gewalt bewußt ist.
Das Gedicht wimmelte von Anspielungen; es waren namentlich zwei, die
Napoleon empörten: ^


Rous eonsorvons lo <iron <Je parler en svorot. . . .
luvue en ^ruits alö llummo ueouso ri08 Lesun",
IZt son nom proiwnoö und p<ilir los t^rü"".

Im Interesse der öffentlichen Moral wurde dem Dichter die Stelle ent¬
zogen, von der er bis jetzt gelebt hatte. Er gerieth in die äußerste Noth, und
die erkauften Journale der Regierung überhäuften ihn mit Beschimpfungen. Der
Dichter ertrug seinen Mangel mit Würde, bis ihn die Noth seiner Mutter
veranlaßte, sich in einem übrigens sehr edlen Brief an den Kaiser zu wenden.
Napoleon gab ihm in der That eine Pension, von der er sorgenfrei leben
konnte. Sein Charakter war mittlerweile vollkommen umgewandelt. Früher
von einer fast krankhaften Reizbarkeit, streitsüchtig und kampffertig, war er jetzt
milde und nachsichtig selbst gegen seine leidenschaftlichen Gegner. Dies war
es, waS seine Kollegen in der Akademie bestimmte, ihm die Bearbeitung des
't?adi<zg,u <is la llUvrature trsnykisö clsMis 1789 zu übertragen. Er unterzog
sich dieser Aufgabe nicht blos mit einer völligen Unparteilichkeit, sondern auch
mit einem Wohlwollen für alle einzelnen Erscheinungen, daS freilich zum Theil
daraus zu erklären ist, daß seine ästhetischen Principien nicht sehr feststehen.
Er gehörte dem vorigen Jahrhundert an, und seine Ansichten concentriren sich
in dem Ausspruch:


I^e gout n'sse ri"zu cju' un bon sens llvliciU,
Ki, le göriio oft In ruison sublime.

AIS er 1811 starb, bestimmte man Chateaubriand zu seinem Nachfolger in
der Akademie. Man wird sich nicht leicht einen größern Gegensatz vorstellen
können, als diese beiden Männer, von denen der eine mit seinem Talent, sei¬
nen Neigungen und seinen Principien ganz dem 18. Jahrhundert angehörte,
während dem andern die französische Literatur unserer Zeit ihre Wiedergeburt
verdankt. Aber grade dieser entfernte Standpunkt war günstig für ein unbe¬
fangenes Urtheil, und Chateaubriand, der diese Gelegenheit zugleich dazu be¬
nutzte, die Dichtungen Andr" Chvniers, die erst acht Jahre später gesam¬
melt wurden, mit großer Wärme zu empfehlen, hat seine Aufgabe glück¬
lich gelöst. Die Rede wurde von der kaiserlichen Censur untersagt, weil sie
bedenkliche Anspielungen enthielt, aber sie that später, als sie veröffenlicht
I. S. wurde, eine um so größere Wirkung.




schaft weht durch alle Seiten dieser Schrift, und dabei zugleich ein Gefühl der
Stärke, welches sich seiner Ueberlegenheit über die äußere Gewalt bewußt ist.
Das Gedicht wimmelte von Anspielungen; es waren namentlich zwei, die
Napoleon empörten: ^


Rous eonsorvons lo <iron <Je parler en svorot. . . .
luvue en ^ruits alö llummo ueouso ri08 Lesun«,
IZt son nom proiwnoö und p<ilir los t^rü»«.

Im Interesse der öffentlichen Moral wurde dem Dichter die Stelle ent¬
zogen, von der er bis jetzt gelebt hatte. Er gerieth in die äußerste Noth, und
die erkauften Journale der Regierung überhäuften ihn mit Beschimpfungen. Der
Dichter ertrug seinen Mangel mit Würde, bis ihn die Noth seiner Mutter
veranlaßte, sich in einem übrigens sehr edlen Brief an den Kaiser zu wenden.
Napoleon gab ihm in der That eine Pension, von der er sorgenfrei leben
konnte. Sein Charakter war mittlerweile vollkommen umgewandelt. Früher
von einer fast krankhaften Reizbarkeit, streitsüchtig und kampffertig, war er jetzt
milde und nachsichtig selbst gegen seine leidenschaftlichen Gegner. Dies war
es, waS seine Kollegen in der Akademie bestimmte, ihm die Bearbeitung des
't?adi<zg,u <is la llUvrature trsnykisö clsMis 1789 zu übertragen. Er unterzog
sich dieser Aufgabe nicht blos mit einer völligen Unparteilichkeit, sondern auch
mit einem Wohlwollen für alle einzelnen Erscheinungen, daS freilich zum Theil
daraus zu erklären ist, daß seine ästhetischen Principien nicht sehr feststehen.
Er gehörte dem vorigen Jahrhundert an, und seine Ansichten concentriren sich
in dem Ausspruch:


I^e gout n'sse ri«zu cju' un bon sens llvliciU,
Ki, le göriio oft In ruison sublime.

AIS er 1811 starb, bestimmte man Chateaubriand zu seinem Nachfolger in
der Akademie. Man wird sich nicht leicht einen größern Gegensatz vorstellen
können, als diese beiden Männer, von denen der eine mit seinem Talent, sei¬
nen Neigungen und seinen Principien ganz dem 18. Jahrhundert angehörte,
während dem andern die französische Literatur unserer Zeit ihre Wiedergeburt
verdankt. Aber grade dieser entfernte Standpunkt war günstig für ein unbe¬
fangenes Urtheil, und Chateaubriand, der diese Gelegenheit zugleich dazu be¬
nutzte, die Dichtungen Andr« Chvniers, die erst acht Jahre später gesam¬
melt wurden, mit großer Wärme zu empfehlen, hat seine Aufgabe glück¬
lich gelöst. Die Rede wurde von der kaiserlichen Censur untersagt, weil sie
bedenkliche Anspielungen enthielt, aber sie that später, als sie veröffenlicht
I. S. wurde, eine um so größere Wirkung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/196>, abgerufen am 27.07.2024.