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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Das waren harte Ausdrucks und man darf sich nicht wundern, daß die
aus leidenschaftlichen Jakobinern zusammengesetzte Municipalität die Auffüh¬
rung des Stücks mit Gewalt hintertrieb, wol aber darf es Wunder nehmen,
daß der Nationalconvent damals noch so viel aus Principien hielt, für diesen
Fall die Theaterfreiheit wieder herzustellen. Bald änderte sich die Sache. Ein
viel milderes Stück von Franyois NeufclMeau: ?am6la wurde im August vom
Wohlfahrtsausschuß verboten und sämmtliche Schauspieler eingesperrt. -- Chv-
niers Popularität litt sehr bedeutend bei seinem nächsten Versuch, Tension,
welcher einige Tage nach der Hinrichtung deS Königs ausgeführt wurde. .Dies
Mal konnte ClMier seine reactionäre Gesinnung nicht verleugnen. "Es schien
mir möglich," sagt er, "in unsern finstern, stürmischen Tagen, wo schlechte
Bürger. ungestraft Raub und Mord predigen, die Stimme der Menschlichkeit
hören zu lassen." Aber diese Absicht war nicht mehr zeitgemäß. Wenn auch
das Thema des Stücks, die Befreiung eines jungen Mädchens, das fünfzehn
Jahre in den Kerkern eines Klosters geschmachtet, durch einen würdigen Prä¬
laten, noch im Geschmack der Zeit war,*) so war man doch entrüstet, von
einem Geistlichen, einer schwarzen Bestie, wie man sich damals höflich aus¬
drückte, tugendhafte Ansichten zu vernehmen, man beschuldigte den Dichter,
der in dem Stück Christus einen tugendhaften Sansculotten nannte, des
religiösen Fanatismus, und verbot die weitere Ausführung des Stücks,
weil es die republikanischen Grundsätze entnerve. Uebrigens hat eS nirgend
Anklang gesunden, es war in Beziehung auf den dramatischen Werth das
Schwächste, was Chvnier geschrieben hat. Leider war seine wohlmeinende Ge¬
sinnung nicht von jenem festen, unerschütterlichen Muth getragen, an dem sich
ni Stunden der allgemeinen Verwilderung ein Charakter erprobt. ClMier
stimmte nicht selten aus Furcht für dieselben Grundsätze, die er von der Bühne
aus verdammte. Indeß wurde dadurch das Mißtrauen, das man in ihn setzte,
nicht beseitigt. Als er den Timoleon Anfangs 4794 zur Ausführung brin¬
gen wollte, schickte ihm der Wohlfahrtsausschuß einen Inquisitor zu, der mit
großem Verdruß das Stück anhörte, in welchem von der Tyrannei gesprochen
wurde, die ohne Scheu den Namen der Freiheit usurpire.**) Als nun gar der
Vers vorkam: crois xlus, eir toi gu'un läolre ambitieux, konnte der Ab-




*) Nach rsIiMsuLö von Diderot waren zu Anfange der Revolution eine Reihe von
Melodramatischen Klostcrgeschichten auf die Bühne gebracht, von denen sich La Harpes No-
^ins, Mevoes Lss rigusui-L An eloltrs und Mouvels I^hö viotiiuss LloZtrvss im Gedächtniß
erhalten haben.
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v'un wssyns rsvsrs eonvraut son traut liviäs,
vsurxsnt sans xudsur is nom as libsrts,
L,ouis Ali sein 6s Oorintds u" obs,r gnsangwuts....
N'sse-on jarwms txrg,n qu's,of<z un äiaäsiuö?..

Das waren harte Ausdrucks und man darf sich nicht wundern, daß die
aus leidenschaftlichen Jakobinern zusammengesetzte Municipalität die Auffüh¬
rung des Stücks mit Gewalt hintertrieb, wol aber darf es Wunder nehmen,
daß der Nationalconvent damals noch so viel aus Principien hielt, für diesen
Fall die Theaterfreiheit wieder herzustellen. Bald änderte sich die Sache. Ein
viel milderes Stück von Franyois NeufclMeau: ?am6la wurde im August vom
Wohlfahrtsausschuß verboten und sämmtliche Schauspieler eingesperrt. — Chv-
niers Popularität litt sehr bedeutend bei seinem nächsten Versuch, Tension,
welcher einige Tage nach der Hinrichtung deS Königs ausgeführt wurde. .Dies
Mal konnte ClMier seine reactionäre Gesinnung nicht verleugnen. „Es schien
mir möglich," sagt er, „in unsern finstern, stürmischen Tagen, wo schlechte
Bürger. ungestraft Raub und Mord predigen, die Stimme der Menschlichkeit
hören zu lassen." Aber diese Absicht war nicht mehr zeitgemäß. Wenn auch
das Thema des Stücks, die Befreiung eines jungen Mädchens, das fünfzehn
Jahre in den Kerkern eines Klosters geschmachtet, durch einen würdigen Prä¬
laten, noch im Geschmack der Zeit war,*) so war man doch entrüstet, von
einem Geistlichen, einer schwarzen Bestie, wie man sich damals höflich aus¬
drückte, tugendhafte Ansichten zu vernehmen, man beschuldigte den Dichter,
der in dem Stück Christus einen tugendhaften Sansculotten nannte, des
religiösen Fanatismus, und verbot die weitere Ausführung des Stücks,
weil es die republikanischen Grundsätze entnerve. Uebrigens hat eS nirgend
Anklang gesunden, es war in Beziehung auf den dramatischen Werth das
Schwächste, was Chvnier geschrieben hat. Leider war seine wohlmeinende Ge¬
sinnung nicht von jenem festen, unerschütterlichen Muth getragen, an dem sich
ni Stunden der allgemeinen Verwilderung ein Charakter erprobt. ClMier
stimmte nicht selten aus Furcht für dieselben Grundsätze, die er von der Bühne
aus verdammte. Indeß wurde dadurch das Mißtrauen, das man in ihn setzte,
nicht beseitigt. Als er den Timoleon Anfangs 4794 zur Ausführung brin¬
gen wollte, schickte ihm der Wohlfahrtsausschuß einen Inquisitor zu, der mit
großem Verdruß das Stück anhörte, in welchem von der Tyrannei gesprochen
wurde, die ohne Scheu den Namen der Freiheit usurpire.**) Als nun gar der
Vers vorkam: crois xlus, eir toi gu'un läolre ambitieux, konnte der Ab-




*) Nach rsIiMsuLö von Diderot waren zu Anfange der Revolution eine Reihe von
Melodramatischen Klostcrgeschichten auf die Bühne gebracht, von denen sich La Harpes No-
^ins, Mevoes Lss rigusui-L An eloltrs und Mouvels I^hö viotiiuss LloZtrvss im Gedächtniß
erhalten haben.
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vsurxsnt sans xudsur is nom as libsrts,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/191>, abgerufen am 28.07.2024.