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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Art. i. Die im Lutherthum gebornen Kinder müssen selbst in dem Fall,
daß die Eltern die Staatskirche verlassen haben, ,,in der reinen evangelischen
Lehre dieser Kirche" unterrichtet werden. Wenn ein Vormund oder Verwandter,
der den religiösen Unterricht eines lutherischen Kindes zu überwachen hat, dem¬
selben andere Lehren mittheilt als die durch das Symbol festgestellten, erleidet
er die im Art. 3. festgesetzten Strafen.

Art. ü. Die Mitglieder der Kirche haben das Recht, aus einem religiösen
Beweggrunde unter sich Versammlungen zu halten, insofern sie nichts thun,
was dem Gesetz oder der Moral zuwiderläuft. Das Gesetz, welches Versamm¬
lungen dieser Art verbietet, ist abgeschafft. Wenn solche Versammlungen ohne
Mitwirkung des Pfarrers sich bilden, so kann man weder ihm noch der Polizei
den Eintritt versagen. Die Polizei so wie der Pfarrer haben das Recht, die
Versammlungen auszulösen, wenn dieselben nach ihrer Ansicht gegen Gesetz
und Moral verstoßen. Die Versammlungen dürfen nicht während der Zeit
des öffentlichen Gottesdienstes stattfinden, es sei denn, daß sie besondere Er¬
laubniß dazu erhalten. Wer gegen diese Vorschriften zu einer religiösen Ver¬
sammlung das L^cal hergibt, zahlt 13 bis 3l) Thaler Strafe; wer an einer
unerlaubten religiösen Versammlung Theil nimmt, zahlt i- Thaler Strafe.

Man steht, das Gesetz läßt den Proselyten straflos, es verbietet aber daS
Proselytenmacher. Während die Staatskirche alle Mittel anwenden kann,
um Andersgläubige zu bekehren, werden die Mitglieder anderer Confesstonen
bestraft, sobald sie Andersgläubige für ihre Confession zu gewinnen suchen.
Die Eltern, welche aus der lutherischen Staatskirche ausscheiden, sind gezwun¬
gen, ihre Kinder in den Lehren dieser Kirche unterrichten zu lassen, wodurch
daS Familienleben vernichtet wird. Die königliche Proposition kann höchstens
diejenigen Christen der "Erweckung" befriedigen, welche nichts weiter verlangen,
als sich untereinander frei versammeln zu dürfen, ohne ihr Verhältniß zu der
bestehenden Staatskirche zu lösen.

Diese Proposttion ist von dem höchsten Gerichtshof des Landes begutachtet
und mit Zusätzen versehen worden, welche die Unduldsamkeit derselben noch
erhöhen. Einer dieser Zusätze lautet: "Wenn ein Fremder, der als Schwede
naturalistrt ist, Lehren verbreitet, welche dem lutherischen Glauben zuwider¬
laufen, oder Proselyten macht, so verliert er sein Bürgerrecht und muß mit
Landesverweisung bestraft werden." Fragt man, warum der Fremde und natu-
ralistrte Schwede härter bestraft wird, als der Eingeborne, so lautet die Ant¬
wort: "Weil man allerdings gegen Landeskinder duldsam sein muß; ein Fremder
aber darf sich nicht über Unduldsamkeit beklagen, die er selbst veranlaßt, und
da er lediglich in sein Vaterland zurückgeschickt wird, wo, wie vorauszusetzen,
ein guter Empfang seiner wartet, so kann eine solche Strafe für ihn nur un¬
erheblich sein."


Art. i. Die im Lutherthum gebornen Kinder müssen selbst in dem Fall,
daß die Eltern die Staatskirche verlassen haben, ,,in der reinen evangelischen
Lehre dieser Kirche" unterrichtet werden. Wenn ein Vormund oder Verwandter,
der den religiösen Unterricht eines lutherischen Kindes zu überwachen hat, dem¬
selben andere Lehren mittheilt als die durch das Symbol festgestellten, erleidet
er die im Art. 3. festgesetzten Strafen.

Art. ü. Die Mitglieder der Kirche haben das Recht, aus einem religiösen
Beweggrunde unter sich Versammlungen zu halten, insofern sie nichts thun,
was dem Gesetz oder der Moral zuwiderläuft. Das Gesetz, welches Versamm¬
lungen dieser Art verbietet, ist abgeschafft. Wenn solche Versammlungen ohne
Mitwirkung des Pfarrers sich bilden, so kann man weder ihm noch der Polizei
den Eintritt versagen. Die Polizei so wie der Pfarrer haben das Recht, die
Versammlungen auszulösen, wenn dieselben nach ihrer Ansicht gegen Gesetz
und Moral verstoßen. Die Versammlungen dürfen nicht während der Zeit
des öffentlichen Gottesdienstes stattfinden, es sei denn, daß sie besondere Er¬
laubniß dazu erhalten. Wer gegen diese Vorschriften zu einer religiösen Ver¬
sammlung das L^cal hergibt, zahlt 13 bis 3l) Thaler Strafe; wer an einer
unerlaubten religiösen Versammlung Theil nimmt, zahlt i- Thaler Strafe.

Man steht, das Gesetz läßt den Proselyten straflos, es verbietet aber daS
Proselytenmacher. Während die Staatskirche alle Mittel anwenden kann,
um Andersgläubige zu bekehren, werden die Mitglieder anderer Confesstonen
bestraft, sobald sie Andersgläubige für ihre Confession zu gewinnen suchen.
Die Eltern, welche aus der lutherischen Staatskirche ausscheiden, sind gezwun¬
gen, ihre Kinder in den Lehren dieser Kirche unterrichten zu lassen, wodurch
daS Familienleben vernichtet wird. Die königliche Proposition kann höchstens
diejenigen Christen der „Erweckung" befriedigen, welche nichts weiter verlangen,
als sich untereinander frei versammeln zu dürfen, ohne ihr Verhältniß zu der
bestehenden Staatskirche zu lösen.

Diese Proposttion ist von dem höchsten Gerichtshof des Landes begutachtet
und mit Zusätzen versehen worden, welche die Unduldsamkeit derselben noch
erhöhen. Einer dieser Zusätze lautet: „Wenn ein Fremder, der als Schwede
naturalistrt ist, Lehren verbreitet, welche dem lutherischen Glauben zuwider¬
laufen, oder Proselyten macht, so verliert er sein Bürgerrecht und muß mit
Landesverweisung bestraft werden." Fragt man, warum der Fremde und natu-
ralistrte Schwede härter bestraft wird, als der Eingeborne, so lautet die Ant¬
wort: „Weil man allerdings gegen Landeskinder duldsam sein muß; ein Fremder
aber darf sich nicht über Unduldsamkeit beklagen, die er selbst veranlaßt, und
da er lediglich in sein Vaterland zurückgeschickt wird, wo, wie vorauszusetzen,
ein guter Empfang seiner wartet, so kann eine solche Strafe für ihn nur un¬
erheblich sein."


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[0164] Art. i. Die im Lutherthum gebornen Kinder müssen selbst in dem Fall, daß die Eltern die Staatskirche verlassen haben, ,,in der reinen evangelischen Lehre dieser Kirche" unterrichtet werden. Wenn ein Vormund oder Verwandter, der den religiösen Unterricht eines lutherischen Kindes zu überwachen hat, dem¬ selben andere Lehren mittheilt als die durch das Symbol festgestellten, erleidet er die im Art. 3. festgesetzten Strafen. Art. ü. Die Mitglieder der Kirche haben das Recht, aus einem religiösen Beweggrunde unter sich Versammlungen zu halten, insofern sie nichts thun, was dem Gesetz oder der Moral zuwiderläuft. Das Gesetz, welches Versamm¬ lungen dieser Art verbietet, ist abgeschafft. Wenn solche Versammlungen ohne Mitwirkung des Pfarrers sich bilden, so kann man weder ihm noch der Polizei den Eintritt versagen. Die Polizei so wie der Pfarrer haben das Recht, die Versammlungen auszulösen, wenn dieselben nach ihrer Ansicht gegen Gesetz und Moral verstoßen. Die Versammlungen dürfen nicht während der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes stattfinden, es sei denn, daß sie besondere Er¬ laubniß dazu erhalten. Wer gegen diese Vorschriften zu einer religiösen Ver¬ sammlung das L^cal hergibt, zahlt 13 bis 3l) Thaler Strafe; wer an einer unerlaubten religiösen Versammlung Theil nimmt, zahlt i- Thaler Strafe. Man steht, das Gesetz läßt den Proselyten straflos, es verbietet aber daS Proselytenmacher. Während die Staatskirche alle Mittel anwenden kann, um Andersgläubige zu bekehren, werden die Mitglieder anderer Confesstonen bestraft, sobald sie Andersgläubige für ihre Confession zu gewinnen suchen. Die Eltern, welche aus der lutherischen Staatskirche ausscheiden, sind gezwun¬ gen, ihre Kinder in den Lehren dieser Kirche unterrichten zu lassen, wodurch daS Familienleben vernichtet wird. Die königliche Proposition kann höchstens diejenigen Christen der „Erweckung" befriedigen, welche nichts weiter verlangen, als sich untereinander frei versammeln zu dürfen, ohne ihr Verhältniß zu der bestehenden Staatskirche zu lösen. Diese Proposttion ist von dem höchsten Gerichtshof des Landes begutachtet und mit Zusätzen versehen worden, welche die Unduldsamkeit derselben noch erhöhen. Einer dieser Zusätze lautet: „Wenn ein Fremder, der als Schwede naturalistrt ist, Lehren verbreitet, welche dem lutherischen Glauben zuwider¬ laufen, oder Proselyten macht, so verliert er sein Bürgerrecht und muß mit Landesverweisung bestraft werden." Fragt man, warum der Fremde und natu- ralistrte Schwede härter bestraft wird, als der Eingeborne, so lautet die Ant¬ wort: „Weil man allerdings gegen Landeskinder duldsam sein muß; ein Fremder aber darf sich nicht über Unduldsamkeit beklagen, die er selbst veranlaßt, und da er lediglich in sein Vaterland zurückgeschickt wird, wo, wie vorauszusetzen, ein guter Empfang seiner wartet, so kann eine solche Strafe für ihn nur un¬ erheblich sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/164>, abgerufen am 28.07.2024.