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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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jedes Mal zu erröthen, wenn ein eleganter Train in Staubwolken gehüllt auf
der Landstraße vorbeirasselte. Ein angesehener Mann, den man in Horazens
Zeit auf der Straße nach Tivoli, von nur fünf Sklaven begleitet angetroffen
hatte, die Küchenutensilien trugen und obendrein noch zu Fuße gingen, hatte
sich unwiderruflich prostituirt. Alles dieses steigerte sich je länger desto mehr. Von
Heliogabal wird erzählt, daß er, noch ehe er Aussicht auf den Kaiserthron hatte,
nie anders als mit einem Gefolge von sechzig Wagen reiste, was freilich uner¬
hört gefunden wurde; indessen diese orientalischen Gewohnheiten influirten direct
und indirect immer nachdrücklicher auf die Sitten des Occidents.

Dann kam daS Departement der Korrespondenz, der Literatur und Ge¬
lehrsamkeit. Man ließ sich im Bade, im Bett und bei Tisch vorlesen. Gute
Vorleser waren geschätzt und noch schwerer zu finden als jetzt; denn die ge¬
schriebenen Bücher, oft fehlerhaft geschrieben, wenig oder gar nicht interpungirt,
oft ohne Absätze zwischen den Worten, waren nicht leicht zu lesen. Sehr all¬
gemein war die Sitte des Dictirens, auch der Briefe; man hatte Secretäre
für die griechische und für die lateinische Korrespondenz, auch Stenographen.
Die Stenographie ist eine von den Künsten, die in unsrer Zeit zum zweiten
Mal hat erfunden werden müssen; die erste Erfindung (vielleicht nur eine we¬
sentliche Verbesserung) wird Ciceros Secretär Tiro beigelegt. Andere Secretäre
benutzte man als Amanuensen bei Studien und schriftstellerischen Arbeiten, sie
machten Notizen, Excerpte und Collectaneen. Wieder andre gelehrte Sklaven
wurden zur Aufsicht und Verwahrung der Bibliotheken verwandt, auch diese
hatten zwei Abtheilungen, eine griechische und eine lateinische; sie schrieben neue
Bücher ab, revidirten, corrigirten und ordneten die alten, und hatten ein Per¬
sonal von Untergebenen, !die die äußere Ausstattung der Bücher , das-Leimen
und Glätten des Papyrus u. s. w. besorgten. Einen gelehrten griechischen
Philologen soll ein vornehmer Römer in der letzten Zeit der Republik für
30,000 Thaler gekauft haben; man sieht, wie sehr die Philologen seitdem im
Preise gesunken sind. Viele, die gelehrte Discurse führten und mit Citaten um
sich warfen, hatten sich diese Brocken von ihren Sklaven beibringen lassen.
Seneca erzählt folgende Anekdote: Ein gewisser CalvisiuS SabinuS, den er
noch gekannt hatte, war ein sehr reicher Mann, er hatte daS "Vermögen eines
Freigelassenen", aber auch den Geist eines solchen; nie, sagt Seneca, habe er
einen Menschen gekannt, der mit geringerm Anstande reich gewesen wäre. Er
hatte ein so schlechtes Gedächtniß, daß Namen wie Achilles, Priamus ihm jeden
Augenblick entfielen; nichtsdestoweniger hatte er die Caprice, für gelehrt
gelten zu wollen. Er ließ nun einen seiner Sklaven den ganzen Homer aus¬
wendig lernen, einen andern den Hestod, und vertheilte ebenso die neuen grie¬
chischen Lyriker unter neue Sklaven; dies waren die Dichter, die hauptsächlich
aus der Schule gelesen wurden. Diese Sklaven mußten bei seinen Gastmäh-


jedes Mal zu erröthen, wenn ein eleganter Train in Staubwolken gehüllt auf
der Landstraße vorbeirasselte. Ein angesehener Mann, den man in Horazens
Zeit auf der Straße nach Tivoli, von nur fünf Sklaven begleitet angetroffen
hatte, die Küchenutensilien trugen und obendrein noch zu Fuße gingen, hatte
sich unwiderruflich prostituirt. Alles dieses steigerte sich je länger desto mehr. Von
Heliogabal wird erzählt, daß er, noch ehe er Aussicht auf den Kaiserthron hatte,
nie anders als mit einem Gefolge von sechzig Wagen reiste, was freilich uner¬
hört gefunden wurde; indessen diese orientalischen Gewohnheiten influirten direct
und indirect immer nachdrücklicher auf die Sitten des Occidents.

Dann kam daS Departement der Korrespondenz, der Literatur und Ge¬
lehrsamkeit. Man ließ sich im Bade, im Bett und bei Tisch vorlesen. Gute
Vorleser waren geschätzt und noch schwerer zu finden als jetzt; denn die ge¬
schriebenen Bücher, oft fehlerhaft geschrieben, wenig oder gar nicht interpungirt,
oft ohne Absätze zwischen den Worten, waren nicht leicht zu lesen. Sehr all¬
gemein war die Sitte des Dictirens, auch der Briefe; man hatte Secretäre
für die griechische und für die lateinische Korrespondenz, auch Stenographen.
Die Stenographie ist eine von den Künsten, die in unsrer Zeit zum zweiten
Mal hat erfunden werden müssen; die erste Erfindung (vielleicht nur eine we¬
sentliche Verbesserung) wird Ciceros Secretär Tiro beigelegt. Andere Secretäre
benutzte man als Amanuensen bei Studien und schriftstellerischen Arbeiten, sie
machten Notizen, Excerpte und Collectaneen. Wieder andre gelehrte Sklaven
wurden zur Aufsicht und Verwahrung der Bibliotheken verwandt, auch diese
hatten zwei Abtheilungen, eine griechische und eine lateinische; sie schrieben neue
Bücher ab, revidirten, corrigirten und ordneten die alten, und hatten ein Per¬
sonal von Untergebenen, !die die äußere Ausstattung der Bücher , das-Leimen
und Glätten des Papyrus u. s. w. besorgten. Einen gelehrten griechischen
Philologen soll ein vornehmer Römer in der letzten Zeit der Republik für
30,000 Thaler gekauft haben; man sieht, wie sehr die Philologen seitdem im
Preise gesunken sind. Viele, die gelehrte Discurse führten und mit Citaten um
sich warfen, hatten sich diese Brocken von ihren Sklaven beibringen lassen.
Seneca erzählt folgende Anekdote: Ein gewisser CalvisiuS SabinuS, den er
noch gekannt hatte, war ein sehr reicher Mann, er hatte daS „Vermögen eines
Freigelassenen", aber auch den Geist eines solchen; nie, sagt Seneca, habe er
einen Menschen gekannt, der mit geringerm Anstande reich gewesen wäre. Er
hatte ein so schlechtes Gedächtniß, daß Namen wie Achilles, Priamus ihm jeden
Augenblick entfielen; nichtsdestoweniger hatte er die Caprice, für gelehrt
gelten zu wollen. Er ließ nun einen seiner Sklaven den ganzen Homer aus¬
wendig lernen, einen andern den Hestod, und vertheilte ebenso die neuen grie¬
chischen Lyriker unter neue Sklaven; dies waren die Dichter, die hauptsächlich
aus der Schule gelesen wurden. Diese Sklaven mußten bei seinen Gastmäh-


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[0142] jedes Mal zu erröthen, wenn ein eleganter Train in Staubwolken gehüllt auf der Landstraße vorbeirasselte. Ein angesehener Mann, den man in Horazens Zeit auf der Straße nach Tivoli, von nur fünf Sklaven begleitet angetroffen hatte, die Küchenutensilien trugen und obendrein noch zu Fuße gingen, hatte sich unwiderruflich prostituirt. Alles dieses steigerte sich je länger desto mehr. Von Heliogabal wird erzählt, daß er, noch ehe er Aussicht auf den Kaiserthron hatte, nie anders als mit einem Gefolge von sechzig Wagen reiste, was freilich uner¬ hört gefunden wurde; indessen diese orientalischen Gewohnheiten influirten direct und indirect immer nachdrücklicher auf die Sitten des Occidents. Dann kam daS Departement der Korrespondenz, der Literatur und Ge¬ lehrsamkeit. Man ließ sich im Bade, im Bett und bei Tisch vorlesen. Gute Vorleser waren geschätzt und noch schwerer zu finden als jetzt; denn die ge¬ schriebenen Bücher, oft fehlerhaft geschrieben, wenig oder gar nicht interpungirt, oft ohne Absätze zwischen den Worten, waren nicht leicht zu lesen. Sehr all¬ gemein war die Sitte des Dictirens, auch der Briefe; man hatte Secretäre für die griechische und für die lateinische Korrespondenz, auch Stenographen. Die Stenographie ist eine von den Künsten, die in unsrer Zeit zum zweiten Mal hat erfunden werden müssen; die erste Erfindung (vielleicht nur eine we¬ sentliche Verbesserung) wird Ciceros Secretär Tiro beigelegt. Andere Secretäre benutzte man als Amanuensen bei Studien und schriftstellerischen Arbeiten, sie machten Notizen, Excerpte und Collectaneen. Wieder andre gelehrte Sklaven wurden zur Aufsicht und Verwahrung der Bibliotheken verwandt, auch diese hatten zwei Abtheilungen, eine griechische und eine lateinische; sie schrieben neue Bücher ab, revidirten, corrigirten und ordneten die alten, und hatten ein Per¬ sonal von Untergebenen, !die die äußere Ausstattung der Bücher , das-Leimen und Glätten des Papyrus u. s. w. besorgten. Einen gelehrten griechischen Philologen soll ein vornehmer Römer in der letzten Zeit der Republik für 30,000 Thaler gekauft haben; man sieht, wie sehr die Philologen seitdem im Preise gesunken sind. Viele, die gelehrte Discurse führten und mit Citaten um sich warfen, hatten sich diese Brocken von ihren Sklaven beibringen lassen. Seneca erzählt folgende Anekdote: Ein gewisser CalvisiuS SabinuS, den er noch gekannt hatte, war ein sehr reicher Mann, er hatte daS „Vermögen eines Freigelassenen", aber auch den Geist eines solchen; nie, sagt Seneca, habe er einen Menschen gekannt, der mit geringerm Anstande reich gewesen wäre. Er hatte ein so schlechtes Gedächtniß, daß Namen wie Achilles, Priamus ihm jeden Augenblick entfielen; nichtsdestoweniger hatte er die Caprice, für gelehrt gelten zu wollen. Er ließ nun einen seiner Sklaven den ganzen Homer aus¬ wendig lernen, einen andern den Hestod, und vertheilte ebenso die neuen grie¬ chischen Lyriker unter neue Sklaven; dies waren die Dichter, die hauptsächlich aus der Schule gelesen wurden. Diese Sklaven mußten bei seinen Gastmäh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/142>, abgerufen am 01.09.2024.