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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Satire zu oberflächlich, und wenn man auf den Grund geht zu banal. Zwei
spätere Stücke: I^a ^joie iÄil peur, und I.s odapvau ac I'KorloAör, fielen da¬
gegen sehr ab; namentlich in dem ersten Stück bemerkt man eine seltsame Ver¬
wirrung rührender und komischer Motive.

Auch in der Tragödie hat sich Frau von Girardin versucht, und bei ihrem
unternehmenden Geist kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie Judith (-1843)
und Kleopatra (1847) zu ihren Heldinnen gewählt hat. Beide Stücke fielen
in die Renaissance des classischen Geschmacks, sie wurden von der Rachel ge¬
spielt und machten Glück; ihr poetischer Werth ist höchst unbedeutend. Es ist
überhaupt eine schwierige Ausgabe, ein großes Weib darzustellen, wenn man
nicht mit der zuversichtlichen Kühnheit eines Shakespeare darangehen kann.
Das zweite Drama der Frau von Girardin, einem Roman von Thvophile
Gautier nachgebildet, erinnert mehr an V. Hugos Marie Tudot, als an
Shakespeares Tragödie. Die Dichterin hat sich eifrig bemüht, die Localfarbe
wiederzugeben, aber sie kommt aus den Gewohnheiten des pariser Lebens nicht
heraus. Kleopatra spricht von der Denkerstirn ihres Bibliothekars, von dem
literarischen Königthum, sie keunt genau die Schriften Ciceros und beschwert
sich über die afrikanische Sonne, wie eine Pariserin, die nicht daran gewöhnt
ist. Die Deklamation über das Klima und die Landschaft drängt die psycho¬
logische Analyse zurück. Es fehlt nicht an Bravourarien -- Kleopatras Apo¬
strophe und die afrikanische Sonne, der sie ihre dämonische Natur Schuld gibt,
gehört dazu -- aber man sieht, daß die Effectstellen künstlich ausgearbeitet sind.
So tritt gleich zu Anfang ein Sklave aus, der seine Königin liebt und für
eine Stunde des Genusses gern den Tod leiden will; man gewährt ihm sein
Verlangen und reicht ihm dann den Giftbecher, aber er bleibt leben und dient
später als Werkzeug der Rache. Man sieht schon aus diesen Erfindungen,
noch mehr aber aus dem Stil, in welchem alle romantischen Neuerungen der
Zeit Eingang gesunden haben, daß die Rückkehr zum Klassicismus doch nicht
ernsthaft gemeint ist, wie denn auch Rachel selbst, die Muse der neuclassischen
Tragödie, ihren Corneille und Racine romantisirt.

Das eheliche Verhältniß der Frau von Girardin scheint später locker ge¬
worden zu sein, doch blieb sie die Freundin ihres Mannes und vertheidigte ihn
in den Journalen. Sie starb drei Jahre nach ihrer Mutter, 18sa, in der
Gesellschaft, deren Zierde sie war, allgemein bedauert und mit dem unbestritte¬
nen Ruhm, nächst G. Sand in der neufranzösischen Poesie die erste Muse
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' zu sein.
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Satire zu oberflächlich, und wenn man auf den Grund geht zu banal. Zwei
spätere Stücke: I^a ^joie iÄil peur, und I.s odapvau ac I'KorloAör, fielen da¬
gegen sehr ab; namentlich in dem ersten Stück bemerkt man eine seltsame Ver¬
wirrung rührender und komischer Motive.

Auch in der Tragödie hat sich Frau von Girardin versucht, und bei ihrem
unternehmenden Geist kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie Judith (-1843)
und Kleopatra (1847) zu ihren Heldinnen gewählt hat. Beide Stücke fielen
in die Renaissance des classischen Geschmacks, sie wurden von der Rachel ge¬
spielt und machten Glück; ihr poetischer Werth ist höchst unbedeutend. Es ist
überhaupt eine schwierige Ausgabe, ein großes Weib darzustellen, wenn man
nicht mit der zuversichtlichen Kühnheit eines Shakespeare darangehen kann.
Das zweite Drama der Frau von Girardin, einem Roman von Thvophile
Gautier nachgebildet, erinnert mehr an V. Hugos Marie Tudot, als an
Shakespeares Tragödie. Die Dichterin hat sich eifrig bemüht, die Localfarbe
wiederzugeben, aber sie kommt aus den Gewohnheiten des pariser Lebens nicht
heraus. Kleopatra spricht von der Denkerstirn ihres Bibliothekars, von dem
literarischen Königthum, sie keunt genau die Schriften Ciceros und beschwert
sich über die afrikanische Sonne, wie eine Pariserin, die nicht daran gewöhnt
ist. Die Deklamation über das Klima und die Landschaft drängt die psycho¬
logische Analyse zurück. Es fehlt nicht an Bravourarien — Kleopatras Apo¬
strophe und die afrikanische Sonne, der sie ihre dämonische Natur Schuld gibt,
gehört dazu — aber man sieht, daß die Effectstellen künstlich ausgearbeitet sind.
So tritt gleich zu Anfang ein Sklave aus, der seine Königin liebt und für
eine Stunde des Genusses gern den Tod leiden will; man gewährt ihm sein
Verlangen und reicht ihm dann den Giftbecher, aber er bleibt leben und dient
später als Werkzeug der Rache. Man sieht schon aus diesen Erfindungen,
noch mehr aber aus dem Stil, in welchem alle romantischen Neuerungen der
Zeit Eingang gesunden haben, daß die Rückkehr zum Klassicismus doch nicht
ernsthaft gemeint ist, wie denn auch Rachel selbst, die Muse der neuclassischen
Tragödie, ihren Corneille und Racine romantisirt.

Das eheliche Verhältniß der Frau von Girardin scheint später locker ge¬
worden zu sein, doch blieb sie die Freundin ihres Mannes und vertheidigte ihn
in den Journalen. Sie starb drei Jahre nach ihrer Mutter, 18sa, in der
Gesellschaft, deren Zierde sie war, allgemein bedauert und mit dem unbestritte¬
nen Ruhm, nächst G. Sand in der neufranzösischen Poesie die erste Muse
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/112>, abgerufen am 27.07.2024.