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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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deren Initiative er so kühn ergriffen hatte, Gegnern abzutreten, denen er ge¬
hässige Undankbarkeit vorwarf und die er als theoretisirende, unfähige Politiker
geringschätzte. Er glaubte, die Nothwendigkeit werde am Tag nach seinem
Siege die Progressisten zwingen, ihn gegen den Hof zu unterstützen, und be¬
dachte nicht, daß. bis eine überfallene und niedergeworfene Partei den natür¬
lichen Gefühlen der Rache und Schadenfreude entsagt haben würde, sein Sturz
bereits entschieden sein könnte. So von Leidenschaft getrieben und vom Hofe
mit jeder Art von Versprechung getäuscht, schritt er dazu, sein eignes Werk zu
zerstören und dem Regiment der Willkür, das er mit dem Schwert gefällt, mit
dem Schwerte wieder Bahn zu brechen.

Der spanische Staatsstreich mit allen ihn begleitenden Umständen ist noch
in so frischem Gedächtniß, daß eine ins Einzelne gehende Darstellung desselben
um so weniger hier am Orte wäre, als wir es uns zur Aufgabe gestellt haben,
die Ereignisse zu beleuchten, nicht zu erzählen. Es genügt, daran zu erinnern,
wie die Königin, nach anscheinend dringender, an Espartero gerichteter Bitte,
sich mit O'Dommel zu einigen, zur. großen Ueberraschung des Siegesherzogs
für den Grafen von Lucera sich entschied und diesem nach dem Rücktritt sämmtlicher
Minister die Bildung des neuen Cabinets übertrug, dessen Zusammensetzung
bereits vorbereitet war, und dessen Ernennung wenige Stunden nach der
Auflösung des alten, am Morgen des 1i. Juli in der Gaceta erschien. Nächst
O'Dommel, als Präsident und Kriegsminister, ^war die wichtigste Persönlichkeit
darin Rios Rosas, der das Portefeuille des Innern bekleidete. Sein Name
war eine gegen die Progressisten gerichtete Herausforderung, und seine Wahl
zum Kollegen der schwerste und folgenreichste der Mißgriffe, zu denen O'Dommel
durch die Einflüsterungen des Hofes sich verleiten ließ. Denn wenn sich Rios
Rosas' auch seit länger als einem Jahre von den Ultras der Moderados ge¬
trennt hatte, so war er nichtsdestoweniger in beharrlicher Opposition gegen
das Verfassungswerk und die ganze von den Cortes erlassene Gesetzgebung
geblieben, und sein Eintritt in das Cabinet an der Spitze eines so einflu߬
reichen Departements war allein schon ein antiprogresststischeS Programm.
Mit ihm figurirten noch zwei Moderados im Ministerium, Collado, der erste
Finanzminister nach der Julirevolution für die öffentlichen Arbeiten, und Pastor
Diaz, ein ehemaliger Puritano, für das Auswärtige. Cantero, ein geachteter
Bankier und gemäßigter Prvgressist, war bei dem Amtsantritt der neuen Ver¬
waltung . thatsächlich das einzige ihr angehörende Mitglied jener Farbe. Er
hatte die Finanzen übernommen. Außer ihm waren, aber nur nominell, noch
zwei Progressisten, der hochgeachtete Luzuriaga, als Justizminister, und Bayarri,
ein noch junger und wenig bekannter Abgeordneter der Cortes als Marine-
.minister, dem Cabinet beigefügt. Beide waren abwesend von Madrid und
ohne ihr Vorwissen ernannt; man hatte ihrer Namen sich bedient, in der mehr


deren Initiative er so kühn ergriffen hatte, Gegnern abzutreten, denen er ge¬
hässige Undankbarkeit vorwarf und die er als theoretisirende, unfähige Politiker
geringschätzte. Er glaubte, die Nothwendigkeit werde am Tag nach seinem
Siege die Progressisten zwingen, ihn gegen den Hof zu unterstützen, und be¬
dachte nicht, daß. bis eine überfallene und niedergeworfene Partei den natür¬
lichen Gefühlen der Rache und Schadenfreude entsagt haben würde, sein Sturz
bereits entschieden sein könnte. So von Leidenschaft getrieben und vom Hofe
mit jeder Art von Versprechung getäuscht, schritt er dazu, sein eignes Werk zu
zerstören und dem Regiment der Willkür, das er mit dem Schwert gefällt, mit
dem Schwerte wieder Bahn zu brechen.

Der spanische Staatsstreich mit allen ihn begleitenden Umständen ist noch
in so frischem Gedächtniß, daß eine ins Einzelne gehende Darstellung desselben
um so weniger hier am Orte wäre, als wir es uns zur Aufgabe gestellt haben,
die Ereignisse zu beleuchten, nicht zu erzählen. Es genügt, daran zu erinnern,
wie die Königin, nach anscheinend dringender, an Espartero gerichteter Bitte,
sich mit O'Dommel zu einigen, zur. großen Ueberraschung des Siegesherzogs
für den Grafen von Lucera sich entschied und diesem nach dem Rücktritt sämmtlicher
Minister die Bildung des neuen Cabinets übertrug, dessen Zusammensetzung
bereits vorbereitet war, und dessen Ernennung wenige Stunden nach der
Auflösung des alten, am Morgen des 1i. Juli in der Gaceta erschien. Nächst
O'Dommel, als Präsident und Kriegsminister, ^war die wichtigste Persönlichkeit
darin Rios Rosas, der das Portefeuille des Innern bekleidete. Sein Name
war eine gegen die Progressisten gerichtete Herausforderung, und seine Wahl
zum Kollegen der schwerste und folgenreichste der Mißgriffe, zu denen O'Dommel
durch die Einflüsterungen des Hofes sich verleiten ließ. Denn wenn sich Rios
Rosas' auch seit länger als einem Jahre von den Ultras der Moderados ge¬
trennt hatte, so war er nichtsdestoweniger in beharrlicher Opposition gegen
das Verfassungswerk und die ganze von den Cortes erlassene Gesetzgebung
geblieben, und sein Eintritt in das Cabinet an der Spitze eines so einflu߬
reichen Departements war allein schon ein antiprogresststischeS Programm.
Mit ihm figurirten noch zwei Moderados im Ministerium, Collado, der erste
Finanzminister nach der Julirevolution für die öffentlichen Arbeiten, und Pastor
Diaz, ein ehemaliger Puritano, für das Auswärtige. Cantero, ein geachteter
Bankier und gemäßigter Prvgressist, war bei dem Amtsantritt der neuen Ver¬
waltung . thatsächlich das einzige ihr angehörende Mitglied jener Farbe. Er
hatte die Finanzen übernommen. Außer ihm waren, aber nur nominell, noch
zwei Progressisten, der hochgeachtete Luzuriaga, als Justizminister, und Bayarri,
ein noch junger und wenig bekannter Abgeordneter der Cortes als Marine-
.minister, dem Cabinet beigefügt. Beide waren abwesend von Madrid und
ohne ihr Vorwissen ernannt; man hatte ihrer Namen sich bedient, in der mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/53>, abgerufen am 23.07.2024.