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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Wein, viele Gartenblumen, fast alles Gemüse; die älteste Fabrikation wollener,
baumwollener und seidener Stoffe, alle ältesten Maschinen, z. B. Wassermühlen,
die Bergwerks- und Hüttenindustrie, und so Unzähliges, bis auf die ältesten
Formen unserer Kleider, des Hausraths, der Stühle, Tische, Schränke, sogar die
Felder unserer Thürflügel. Und wenn es möglich wäre abzuwägen, was aus
dem Alterthum und was aus ureigener Erfindung der Germanen unser Leben
umgibt, so würde noch jetzt nach 1300 Jahren sich so viel Römisches in unsern
Feldern, Gärten, Häusern, an unserem Leibe, ja auch in unserer Seele finden,
daß man wol das Recht hätte zu fragen, ob unsere Urahnen mehr unter dem
Schutz des Vater Jovis oder des wilden Wuotan gestanden haben.

So hatte sich mit zahllosem Andern, auch das verachtete Geschlecht der
Gladiatoren, Histrionen, Thymeliker durch die Stürme der Völkerwanderung
erhalten und von Rom aus unter die Barbarenstämme verbreitet. Sie führten
den blutigen Vandalenhausen die unzüchtigen römischen Pantomimen auf; sie
standen vor den Hütten des fränkischen Häuptlings und pfiffen und spielten
fremdartige Weisen, welche vielleicht einst mit den Orgien asiatischer Götter
nach Rom gekommen waren; sie mischten sich unter die gothische Gemeinde,
welche aus der neugebauten Kirche auf den Kirchhof strömte, und öffneten dort
ihren Kasten, um einen Affen mit rother Jacke als fremdes Ungeheuer zu zeigen,
oder die grotesken Figuren altlateinischer Drathpuppen, den Maccus, Bucco,
Papus und wie sonst die antiken Väter unserer Hanswurste heißen, vor der
Gemeindejugend vorzuführen, welche vor dem fremden Wunder die großen
blauen Augen weit ausriß. Unterdeß erboten sich wol andere Glieder der
Gauklerbande, den Kriegern der Gemeinde, welche nach dem Gottesdienste zum
Gelage zogen, gegen Bezahlung ein Kampfspiel mit scharfen Waffen aufzuführen,
mit den Kunstgriffen und Gefahren des römischen Circus; dann schloß sich wol
auf der Stelle ein Ring der trotzigen Männer und verfolgte mit leidenschaftlicher
Spannung die Wechselfälle des Kampfes um "Lohn", den die Zuschauer um
so mehr bewunderten, je blutiger er wurde, während sie die Elenden, die so für
Geld kämpften, mit nicht größerer Achtung betrachteten, als zwei Wölfe oder
hungrige Hunde. Aber für die vornehmen Zuschauer gab es noch andere lockende
Künste. Auch fahrende Frauen zogen mit den Männern durch die deutschen
Stämme; gewandt, frech, womöglich in glänzendem Aufzuge; Tänzerinnen,
Sängerinnen, Schauspielerinnen. Wenn sie das griechische Tamburin oder die
asiatische Klapper in den üppigen Windungen eines bacchischen Tanzes
schwangen, so waren sie den deutschen Baronen und geistlichen Herrn zwar
in der Regel unwiderstehlich, ernsten Leuten aber äußerst anstößig. Schon im
Jahr SSÄ schritt ein Frankenkönig gegen den Unfug der fremden fahrenden
Weiber ein, und der würdige Hinkmar warnt seine Priester väterlich vor diesen


6j*

Wein, viele Gartenblumen, fast alles Gemüse; die älteste Fabrikation wollener,
baumwollener und seidener Stoffe, alle ältesten Maschinen, z. B. Wassermühlen,
die Bergwerks- und Hüttenindustrie, und so Unzähliges, bis auf die ältesten
Formen unserer Kleider, des Hausraths, der Stühle, Tische, Schränke, sogar die
Felder unserer Thürflügel. Und wenn es möglich wäre abzuwägen, was aus
dem Alterthum und was aus ureigener Erfindung der Germanen unser Leben
umgibt, so würde noch jetzt nach 1300 Jahren sich so viel Römisches in unsern
Feldern, Gärten, Häusern, an unserem Leibe, ja auch in unserer Seele finden,
daß man wol das Recht hätte zu fragen, ob unsere Urahnen mehr unter dem
Schutz des Vater Jovis oder des wilden Wuotan gestanden haben.

So hatte sich mit zahllosem Andern, auch das verachtete Geschlecht der
Gladiatoren, Histrionen, Thymeliker durch die Stürme der Völkerwanderung
erhalten und von Rom aus unter die Barbarenstämme verbreitet. Sie führten
den blutigen Vandalenhausen die unzüchtigen römischen Pantomimen auf; sie
standen vor den Hütten des fränkischen Häuptlings und pfiffen und spielten
fremdartige Weisen, welche vielleicht einst mit den Orgien asiatischer Götter
nach Rom gekommen waren; sie mischten sich unter die gothische Gemeinde,
welche aus der neugebauten Kirche auf den Kirchhof strömte, und öffneten dort
ihren Kasten, um einen Affen mit rother Jacke als fremdes Ungeheuer zu zeigen,
oder die grotesken Figuren altlateinischer Drathpuppen, den Maccus, Bucco,
Papus und wie sonst die antiken Väter unserer Hanswurste heißen, vor der
Gemeindejugend vorzuführen, welche vor dem fremden Wunder die großen
blauen Augen weit ausriß. Unterdeß erboten sich wol andere Glieder der
Gauklerbande, den Kriegern der Gemeinde, welche nach dem Gottesdienste zum
Gelage zogen, gegen Bezahlung ein Kampfspiel mit scharfen Waffen aufzuführen,
mit den Kunstgriffen und Gefahren des römischen Circus; dann schloß sich wol
auf der Stelle ein Ring der trotzigen Männer und verfolgte mit leidenschaftlicher
Spannung die Wechselfälle des Kampfes um „Lohn", den die Zuschauer um
so mehr bewunderten, je blutiger er wurde, während sie die Elenden, die so für
Geld kämpften, mit nicht größerer Achtung betrachteten, als zwei Wölfe oder
hungrige Hunde. Aber für die vornehmen Zuschauer gab es noch andere lockende
Künste. Auch fahrende Frauen zogen mit den Männern durch die deutschen
Stämme; gewandt, frech, womöglich in glänzendem Aufzuge; Tänzerinnen,
Sängerinnen, Schauspielerinnen. Wenn sie das griechische Tamburin oder die
asiatische Klapper in den üppigen Windungen eines bacchischen Tanzes
schwangen, so waren sie den deutschen Baronen und geistlichen Herrn zwar
in der Regel unwiderstehlich, ernsten Leuten aber äußerst anstößig. Schon im
Jahr SSÄ schritt ein Frankenkönig gegen den Unfug der fremden fahrenden
Weiber ein, und der würdige Hinkmar warnt seine Priester väterlich vor diesen


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[0515] Wein, viele Gartenblumen, fast alles Gemüse; die älteste Fabrikation wollener, baumwollener und seidener Stoffe, alle ältesten Maschinen, z. B. Wassermühlen, die Bergwerks- und Hüttenindustrie, und so Unzähliges, bis auf die ältesten Formen unserer Kleider, des Hausraths, der Stühle, Tische, Schränke, sogar die Felder unserer Thürflügel. Und wenn es möglich wäre abzuwägen, was aus dem Alterthum und was aus ureigener Erfindung der Germanen unser Leben umgibt, so würde noch jetzt nach 1300 Jahren sich so viel Römisches in unsern Feldern, Gärten, Häusern, an unserem Leibe, ja auch in unserer Seele finden, daß man wol das Recht hätte zu fragen, ob unsere Urahnen mehr unter dem Schutz des Vater Jovis oder des wilden Wuotan gestanden haben. So hatte sich mit zahllosem Andern, auch das verachtete Geschlecht der Gladiatoren, Histrionen, Thymeliker durch die Stürme der Völkerwanderung erhalten und von Rom aus unter die Barbarenstämme verbreitet. Sie führten den blutigen Vandalenhausen die unzüchtigen römischen Pantomimen auf; sie standen vor den Hütten des fränkischen Häuptlings und pfiffen und spielten fremdartige Weisen, welche vielleicht einst mit den Orgien asiatischer Götter nach Rom gekommen waren; sie mischten sich unter die gothische Gemeinde, welche aus der neugebauten Kirche auf den Kirchhof strömte, und öffneten dort ihren Kasten, um einen Affen mit rother Jacke als fremdes Ungeheuer zu zeigen, oder die grotesken Figuren altlateinischer Drathpuppen, den Maccus, Bucco, Papus und wie sonst die antiken Väter unserer Hanswurste heißen, vor der Gemeindejugend vorzuführen, welche vor dem fremden Wunder die großen blauen Augen weit ausriß. Unterdeß erboten sich wol andere Glieder der Gauklerbande, den Kriegern der Gemeinde, welche nach dem Gottesdienste zum Gelage zogen, gegen Bezahlung ein Kampfspiel mit scharfen Waffen aufzuführen, mit den Kunstgriffen und Gefahren des römischen Circus; dann schloß sich wol auf der Stelle ein Ring der trotzigen Männer und verfolgte mit leidenschaftlicher Spannung die Wechselfälle des Kampfes um „Lohn", den die Zuschauer um so mehr bewunderten, je blutiger er wurde, während sie die Elenden, die so für Geld kämpften, mit nicht größerer Achtung betrachteten, als zwei Wölfe oder hungrige Hunde. Aber für die vornehmen Zuschauer gab es noch andere lockende Künste. Auch fahrende Frauen zogen mit den Männern durch die deutschen Stämme; gewandt, frech, womöglich in glänzendem Aufzuge; Tänzerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen. Wenn sie das griechische Tamburin oder die asiatische Klapper in den üppigen Windungen eines bacchischen Tanzes schwangen, so waren sie den deutschen Baronen und geistlichen Herrn zwar in der Regel unwiderstehlich, ernsten Leuten aber äußerst anstößig. Schon im Jahr SSÄ schritt ein Frankenkönig gegen den Unfug der fremden fahrenden Weiber ein, und der würdige Hinkmar warnt seine Priester väterlich vor diesen 6j*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/515>, abgerufen am 22.07.2024.