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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ihn ohne Zögern eine Gelegenheit ergreifen, die ihm den Vortheil gewährte,
die Gegenpartei zu überraschen und in einem Augenblick anzugreifen, wo ste
zur Abwehr nicht vorbereitet war. Denn es steht außer Zweifel, daß die
Puros an die Möglichkeit des Versuchs, Espartero aus dem Ministerium zu
drängen, nicht glaubten, daß der Siegesherzog selbst nicht im Geringsten
daraus gefaßt war, und daß sie daher durch EScosuraS Forderung, O'Dommel
entweder zum Austritt zu zwingen, oder, gab er nach, in die Strömung
ihrer Politik hineinzuziehn hofften, um ihn baldigst ohne Gefahr über Bord
werfen zu können. Der Kriegsminister war jedoch besser gerüstet, alö seine
Gegner aHuten. Die wichtigsten Posten im Heere waren mit Offizieren von
vicalvaristischer o,der moderirter Farbe -- auf letztere konnte er, so weit eS
den Kampf gegen die Revolution betraf, unbedingt zählen -- besetzt, eine für
eine voraussichtlich furchtbare Straßenschlacht zeugende Truppenmacht war unter
dem Vorwand beabsichtigter Feldmanöver in und um Madrid versammelt, mit
verschiedenen Politikern liberal moderirter oder gemäßigter progressistischer Ge¬
sinnung die sofortige Bildung eines neuen Cabinets vereinbart, die Königin
und der Hof entschlossen, aus das gewagte Spiel, bei dem O'Dommel seinen
Kopf und Jsabella ihre Krone einsetzte, einzugehn. So war man im Stande,
ohne die Zögerung einer Stunde, sobald die Krisis eintrat, zur That zu
schreiten. Aber der Graf von Lucera hatte, indem er die in seiner Stellung
ungeheuere Verantwortlichkeit eines Staatsstreichs einging, nur gegen die
nähere, unmittelbare Gefahr Vorsorge getroffen. War es daS stolze Selbst¬
vertrauen einer muthigen, hochfahrenden Natur, war es die Bedrängniß einer
Lage, die ihm keinen Ausweg gestattete, als sein Spiel verloren zu geben,
oder mit raschem Entschluß seinen Gegnern zuvorzukommen, er hatte das
Uebergewicht unterschätzt, das einen Sieg über seine Widersacher von Links
seinen Widersachern von Rechts geben mußte. Und doch waren ihm weder
die rastlose Thätigkeit, noch die verwegenen Hoffnungen dieser letztern un¬
bekannt.

Er wußte, daß hinter ihm Factionen standen, die ihn nur als ihr Werk¬
zeug betrachteten. Die Anhänger des Narvaez, die Polacos -- diesen Bei¬
namen trägt die Coterie, deren Haupt Sartorius ist ---, die klerikale Partei
besaßen die Sympathien deS Hofes in ungleich höherem Grade, als er, der
Rebell von Vicalvaro. Ihre Machinationen blieben fruchtlos, so lange er,
wie bisher im Verein mit Espartero, das Gewicht populärer Gewalten ihnen
entgegenstellen konnte, sie wurden allmächtig, wenn er diese Gewalten zerbrach.
Indem er sich anschickte, nicht blos die demokratischen und >ogressistischen
Extreme, sondern auch die zahlreiche und mächtige Verbindung der Puros,
den Siegesherzog selbst mit dem ganzen Einfluß seiner Volksgunst durch einen
gewaltsamen Schlag in die politische Ohnmacht zurückzuschleudern, aus der sie


ihn ohne Zögern eine Gelegenheit ergreifen, die ihm den Vortheil gewährte,
die Gegenpartei zu überraschen und in einem Augenblick anzugreifen, wo ste
zur Abwehr nicht vorbereitet war. Denn es steht außer Zweifel, daß die
Puros an die Möglichkeit des Versuchs, Espartero aus dem Ministerium zu
drängen, nicht glaubten, daß der Siegesherzog selbst nicht im Geringsten
daraus gefaßt war, und daß sie daher durch EScosuraS Forderung, O'Dommel
entweder zum Austritt zu zwingen, oder, gab er nach, in die Strömung
ihrer Politik hineinzuziehn hofften, um ihn baldigst ohne Gefahr über Bord
werfen zu können. Der Kriegsminister war jedoch besser gerüstet, alö seine
Gegner aHuten. Die wichtigsten Posten im Heere waren mit Offizieren von
vicalvaristischer o,der moderirter Farbe — auf letztere konnte er, so weit eS
den Kampf gegen die Revolution betraf, unbedingt zählen — besetzt, eine für
eine voraussichtlich furchtbare Straßenschlacht zeugende Truppenmacht war unter
dem Vorwand beabsichtigter Feldmanöver in und um Madrid versammelt, mit
verschiedenen Politikern liberal moderirter oder gemäßigter progressistischer Ge¬
sinnung die sofortige Bildung eines neuen Cabinets vereinbart, die Königin
und der Hof entschlossen, aus das gewagte Spiel, bei dem O'Dommel seinen
Kopf und Jsabella ihre Krone einsetzte, einzugehn. So war man im Stande,
ohne die Zögerung einer Stunde, sobald die Krisis eintrat, zur That zu
schreiten. Aber der Graf von Lucera hatte, indem er die in seiner Stellung
ungeheuere Verantwortlichkeit eines Staatsstreichs einging, nur gegen die
nähere, unmittelbare Gefahr Vorsorge getroffen. War es daS stolze Selbst¬
vertrauen einer muthigen, hochfahrenden Natur, war es die Bedrängniß einer
Lage, die ihm keinen Ausweg gestattete, als sein Spiel verloren zu geben,
oder mit raschem Entschluß seinen Gegnern zuvorzukommen, er hatte das
Uebergewicht unterschätzt, das einen Sieg über seine Widersacher von Links
seinen Widersachern von Rechts geben mußte. Und doch waren ihm weder
die rastlose Thätigkeit, noch die verwegenen Hoffnungen dieser letztern un¬
bekannt.

Er wußte, daß hinter ihm Factionen standen, die ihn nur als ihr Werk¬
zeug betrachteten. Die Anhänger des Narvaez, die Polacos — diesen Bei¬
namen trägt die Coterie, deren Haupt Sartorius ist —-, die klerikale Partei
besaßen die Sympathien deS Hofes in ungleich höherem Grade, als er, der
Rebell von Vicalvaro. Ihre Machinationen blieben fruchtlos, so lange er,
wie bisher im Verein mit Espartero, das Gewicht populärer Gewalten ihnen
entgegenstellen konnte, sie wurden allmächtig, wenn er diese Gewalten zerbrach.
Indem er sich anschickte, nicht blos die demokratischen und >ogressistischen
Extreme, sondern auch die zahlreiche und mächtige Verbindung der Puros,
den Siegesherzog selbst mit dem ganzen Einfluß seiner Volksgunst durch einen
gewaltsamen Schlag in die politische Ohnmacht zurückzuschleudern, aus der sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/51>, abgerufen am 23.07.2024.