Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Welt zu erfüllen habe". Der Titel soll an Humboldts berühmtes Wert und wol
zugleich an Goethes Faust erinnernd, die Frage erörtern, welche Bedeutung der Mensch
und das menschliche Leben in dem großen Ganzen der Natur hat, das Buch soll
unter den veränderten Anschauungen, welche die Gegenwart gewonnen, das Unter¬
nehmen wiederholen, welches Herder in seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit
begonnen hat. Der Versasser gehört nicht ganz derselben wissenschaftlichen Richtung
an, deren Resultate dieses Blatt zu vertreten sucht, aber er steht ihr in Vielem so
nahe, daß wir das Recht haben, ihm, dem geistvolle" Herbartiauer, mit Hochachtung
zuzuhören, auch wo unsere Ueberzeugung von der seinen abgeht. -- Da es vorzugs-
wcis charakteristische Sätze gibt, an denen Parteigenossen wie Gegner einander
erkennen, so möge hier als bezeichnend für die Richtung des Verfassers der folgende
Satz stehen. "Wie in dem großen Weltbau der schöpferische Geist sich unverrück¬
bare Gesetze gab, nach denen er das Reich der Erscheinungen bewegt, die Fülle
des höchsten Gutes in die Uuzählbarkcit der Gewalten und Ereignisse zerstreuend
und ans ihnen sie wieder zu dem Glücke des Bewußtseins und des Genusses ver¬
dichtend: wird der Mensch, dieselben Gesetze anerkennend, die gegebene Wirklich¬
keit in Erkenntniß ihres Werthes, den Werth seiner Ideale in eine von ihm aus¬
gehende Reihe äußerlicher Gestaltungen entwickeln müssen. Zu dieser Arbeit sind
wir bestimmt, und der ehrwürdigste Zug in der Geschichte unseres Geschlechtes ist
die unversiegbare Ausdauer, mit welcher die hervorragendsten Geister aller Zeiten
sich der Vervollkommnung der äußerlichen Lebensverhältnisse, der Ueberwindung der
Natur, dem Fortschritte jeder nützliche" Kunst, der Veredlung der geselligen Formen
widmeten, obwol sie es wußten, daß der wahre Genuß des Daseins doch nnr in
jenen stillen Augenblicken des Alleinseins mit Gott /liegt, in denen jedes mensch¬
liche Tagwerk, alle Cultur und Civilisation, der Ernst und die Last des lauten
Lebens zu dem Bilde einer nnr vorläufigen Uebung von Kräften ohne bleibendes
Ergebniß znsauunenschwinden. In dieser Regsamkeit einer nicht ius Unbestimmte
irrenden Freiheit, welche die Frucht wollte ohne das langsame Wachsthum der
Pflanze, sondern mit Bewußtsein an die festen Schranken einer ihm heiligen Noth¬
wendigkeit sich bindend und deu Spuren folgend, die sie ihm vorzeichnen, wird der
Mensch das sein, was eine alte Ahnung ihn vor alleu Geschöpfen sein läßt: das
vollkommene Abbild der großen Wirklichkeit, die kleine Welt, der Mikrokosmus."




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia" Schmidt.
Ais verantwort^ Redacteur legitimirt: F, W, Grunow, -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig,
Druck von C. E, Elbert in Leipzig,


der Welt zu erfüllen habe". Der Titel soll an Humboldts berühmtes Wert und wol
zugleich an Goethes Faust erinnernd, die Frage erörtern, welche Bedeutung der Mensch
und das menschliche Leben in dem großen Ganzen der Natur hat, das Buch soll
unter den veränderten Anschauungen, welche die Gegenwart gewonnen, das Unter¬
nehmen wiederholen, welches Herder in seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit
begonnen hat. Der Versasser gehört nicht ganz derselben wissenschaftlichen Richtung
an, deren Resultate dieses Blatt zu vertreten sucht, aber er steht ihr in Vielem so
nahe, daß wir das Recht haben, ihm, dem geistvolle» Herbartiauer, mit Hochachtung
zuzuhören, auch wo unsere Ueberzeugung von der seinen abgeht. — Da es vorzugs-
wcis charakteristische Sätze gibt, an denen Parteigenossen wie Gegner einander
erkennen, so möge hier als bezeichnend für die Richtung des Verfassers der folgende
Satz stehen. „Wie in dem großen Weltbau der schöpferische Geist sich unverrück¬
bare Gesetze gab, nach denen er das Reich der Erscheinungen bewegt, die Fülle
des höchsten Gutes in die Uuzählbarkcit der Gewalten und Ereignisse zerstreuend
und ans ihnen sie wieder zu dem Glücke des Bewußtseins und des Genusses ver¬
dichtend: wird der Mensch, dieselben Gesetze anerkennend, die gegebene Wirklich¬
keit in Erkenntniß ihres Werthes, den Werth seiner Ideale in eine von ihm aus¬
gehende Reihe äußerlicher Gestaltungen entwickeln müssen. Zu dieser Arbeit sind
wir bestimmt, und der ehrwürdigste Zug in der Geschichte unseres Geschlechtes ist
die unversiegbare Ausdauer, mit welcher die hervorragendsten Geister aller Zeiten
sich der Vervollkommnung der äußerlichen Lebensverhältnisse, der Ueberwindung der
Natur, dem Fortschritte jeder nützliche» Kunst, der Veredlung der geselligen Formen
widmeten, obwol sie es wußten, daß der wahre Genuß des Daseins doch nnr in
jenen stillen Augenblicken des Alleinseins mit Gott /liegt, in denen jedes mensch¬
liche Tagwerk, alle Cultur und Civilisation, der Ernst und die Last des lauten
Lebens zu dem Bilde einer nnr vorläufigen Uebung von Kräften ohne bleibendes
Ergebniß znsauunenschwinden. In dieser Regsamkeit einer nicht ius Unbestimmte
irrenden Freiheit, welche die Frucht wollte ohne das langsame Wachsthum der
Pflanze, sondern mit Bewußtsein an die festen Schranken einer ihm heiligen Noth¬
wendigkeit sich bindend und deu Spuren folgend, die sie ihm vorzeichnen, wird der
Mensch das sein, was eine alte Ahnung ihn vor alleu Geschöpfen sein läßt: das
vollkommene Abbild der großen Wirklichkeit, die kleine Welt, der Mikrokosmus."




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt.
Ais verantwort^ Redacteur legitimirt: F, W, Grunow, — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig,
Druck von C. E, Elbert in Leipzig,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103181"/>
          <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> der Welt zu erfüllen habe". Der Titel soll an Humboldts berühmtes Wert und wol<lb/>
zugleich an Goethes Faust erinnernd, die Frage erörtern, welche Bedeutung der Mensch<lb/>
und das menschliche Leben in dem großen Ganzen der Natur hat, das Buch soll<lb/>
unter den veränderten Anschauungen, welche die Gegenwart gewonnen, das Unter¬<lb/>
nehmen wiederholen, welches Herder in seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit<lb/>
begonnen hat. Der Versasser gehört nicht ganz derselben wissenschaftlichen Richtung<lb/>
an, deren Resultate dieses Blatt zu vertreten sucht, aber er steht ihr in Vielem so<lb/>
nahe, daß wir das Recht haben, ihm, dem geistvolle» Herbartiauer, mit Hochachtung<lb/>
zuzuhören, auch wo unsere Ueberzeugung von der seinen abgeht. &#x2014; Da es vorzugs-<lb/>
wcis charakteristische Sätze gibt, an denen Parteigenossen wie Gegner einander<lb/>
erkennen, so möge hier als bezeichnend für die Richtung des Verfassers der folgende<lb/>
Satz stehen. &#x201E;Wie in dem großen Weltbau der schöpferische Geist sich unverrück¬<lb/>
bare Gesetze gab, nach denen er das Reich der Erscheinungen bewegt, die Fülle<lb/>
des höchsten Gutes in die Uuzählbarkcit der Gewalten und Ereignisse zerstreuend<lb/>
und ans ihnen sie wieder zu dem Glücke des Bewußtseins und des Genusses ver¬<lb/>
dichtend: wird der Mensch, dieselben Gesetze anerkennend, die gegebene Wirklich¬<lb/>
keit in Erkenntniß ihres Werthes, den Werth seiner Ideale in eine von ihm aus¬<lb/>
gehende Reihe äußerlicher Gestaltungen entwickeln müssen. Zu dieser Arbeit sind<lb/>
wir bestimmt, und der ehrwürdigste Zug in der Geschichte unseres Geschlechtes ist<lb/>
die unversiegbare Ausdauer, mit welcher die hervorragendsten Geister aller Zeiten<lb/>
sich der Vervollkommnung der äußerlichen Lebensverhältnisse, der Ueberwindung der<lb/>
Natur, dem Fortschritte jeder nützliche» Kunst, der Veredlung der geselligen Formen<lb/>
widmeten, obwol sie es wußten, daß der wahre Genuß des Daseins doch nnr in<lb/>
jenen stillen Augenblicken des Alleinseins mit Gott /liegt, in denen jedes mensch¬<lb/>
liche Tagwerk, alle Cultur und Civilisation, der Ernst und die Last des lauten<lb/>
Lebens zu dem Bilde einer nnr vorläufigen Uebung von Kräften ohne bleibendes<lb/>
Ergebniß znsauunenschwinden. In dieser Regsamkeit einer nicht ius Unbestimmte<lb/>
irrenden Freiheit, welche die Frucht wollte ohne das langsame Wachsthum der<lb/>
Pflanze, sondern mit Bewußtsein an die festen Schranken einer ihm heiligen Noth¬<lb/>
wendigkeit sich bindend und deu Spuren folgend, die sie ihm vorzeichnen, wird der<lb/>
Mensch das sein, was eine alte Ahnung ihn vor alleu Geschöpfen sein läßt: das<lb/>
vollkommene Abbild der großen Wirklichkeit, die kleine Welt, der Mikrokosmus."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt.<lb/>
Ais verantwort^ Redacteur legitimirt: F, W, Grunow, &#x2014; Verlag von F. L. Herbig<lb/>
in Leipzig,<lb/>
Druck von C. E, Elbert in Leipzig,</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] der Welt zu erfüllen habe". Der Titel soll an Humboldts berühmtes Wert und wol zugleich an Goethes Faust erinnernd, die Frage erörtern, welche Bedeutung der Mensch und das menschliche Leben in dem großen Ganzen der Natur hat, das Buch soll unter den veränderten Anschauungen, welche die Gegenwart gewonnen, das Unter¬ nehmen wiederholen, welches Herder in seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit begonnen hat. Der Versasser gehört nicht ganz derselben wissenschaftlichen Richtung an, deren Resultate dieses Blatt zu vertreten sucht, aber er steht ihr in Vielem so nahe, daß wir das Recht haben, ihm, dem geistvolle» Herbartiauer, mit Hochachtung zuzuhören, auch wo unsere Ueberzeugung von der seinen abgeht. — Da es vorzugs- wcis charakteristische Sätze gibt, an denen Parteigenossen wie Gegner einander erkennen, so möge hier als bezeichnend für die Richtung des Verfassers der folgende Satz stehen. „Wie in dem großen Weltbau der schöpferische Geist sich unverrück¬ bare Gesetze gab, nach denen er das Reich der Erscheinungen bewegt, die Fülle des höchsten Gutes in die Uuzählbarkcit der Gewalten und Ereignisse zerstreuend und ans ihnen sie wieder zu dem Glücke des Bewußtseins und des Genusses ver¬ dichtend: wird der Mensch, dieselben Gesetze anerkennend, die gegebene Wirklich¬ keit in Erkenntniß ihres Werthes, den Werth seiner Ideale in eine von ihm aus¬ gehende Reihe äußerlicher Gestaltungen entwickeln müssen. Zu dieser Arbeit sind wir bestimmt, und der ehrwürdigste Zug in der Geschichte unseres Geschlechtes ist die unversiegbare Ausdauer, mit welcher die hervorragendsten Geister aller Zeiten sich der Vervollkommnung der äußerlichen Lebensverhältnisse, der Ueberwindung der Natur, dem Fortschritte jeder nützliche» Kunst, der Veredlung der geselligen Formen widmeten, obwol sie es wußten, daß der wahre Genuß des Daseins doch nnr in jenen stillen Augenblicken des Alleinseins mit Gott /liegt, in denen jedes mensch¬ liche Tagwerk, alle Cultur und Civilisation, der Ernst und die Last des lauten Lebens zu dem Bilde einer nnr vorläufigen Uebung von Kräften ohne bleibendes Ergebniß znsauunenschwinden. In dieser Regsamkeit einer nicht ius Unbestimmte irrenden Freiheit, welche die Frucht wollte ohne das langsame Wachsthum der Pflanze, sondern mit Bewußtsein an die festen Schranken einer ihm heiligen Noth¬ wendigkeit sich bindend und deu Spuren folgend, die sie ihm vorzeichnen, wird der Mensch das sein, was eine alte Ahnung ihn vor alleu Geschöpfen sein läßt: das vollkommene Abbild der großen Wirklichkeit, die kleine Welt, der Mikrokosmus." Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt. Ais verantwort^ Redacteur legitimirt: F, W, Grunow, — Verlag von F. L. Herbig in Leipzig, Druck von C. E, Elbert in Leipzig,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/48>, abgerufen am 22.07.2024.