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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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evangelischen Kirche -- bereitet hatte. Zum ersten Male verlor der Chef der
äußersten Rechten die spöttische Ruhe, womit er die verwundbarsten Stellen
seines Systems, die schwächsten Seiten seiner Partei gegen die Angriffe seiner
Gegner zu decken pflegt. Sein Groll über die voraussichtliche Niederlage
machte sich in der leidenschaftlichen Aufforderung an die Protestanten im Hause
Luft, mit welcher er seine Rede schloß, sie möchten alle andern Rücksichten bei
Seite setzen und es nicht dulden, daß die katholischen Mitglieder, um der Regierung
eine Concession für ihre Kirche abzuzwingen -- (eine Forderung, der Herr
v. Gerlach übrigens materiell eine ziemlich rückhaltslose Zustimmung gab, gegen
die er aber zu poliren erklärte, um der freien Initiative der Negierung nicht
vorzugreifen), -- die evangelische Bevölkerung der großen Wohlthaten des in
Rede stehenden Gesetzes beraubten. Da aber unter einem großen Theile der
protestantischen Abgeordneten grade die Furcht geherrscht hatte, daß durch die
Stimmen der Katholiken ihren Confessivnsgenossen ein Gesetz auferlegt werde,
das sie ebensowenig für wohlthätig als für protestantisch hielten, so fiel die
Ausforderung des Herrn v. Gerlach auf einen höchst undankbaren Boden und
es entsproßen demselben kaum ein paar vereinzelte, schwächliche Bravos, als
der Redner die Tribüne verließ. Der rohdensche Antrag fiel hierauf mit 209
gegen 76 Se. Gegen den Vorschlag des Präsidenten, welchen das Ministerium,
die äußerste Rechte und verschiedene Bruchtheile der andern Fraktionen der
Rechten unterstützten, beschloß das Haus, die namentliche Abstimmung auf den
folgenden, statt aus den nächstfolgenden Tag zu setzen. Die Gegner des Ge¬
setzes fürchteten, wol nicht mit Unrecht, ein Zwischenraum von 48 Stunden
könne ihnen manche Stimme entführen. Die nächste Sitzung (i. März) be¬
gann mit dem Endvotum, das unter einer sehr merklichen Spannung der Ver¬
sammlung erfolgte. Eine über jede Erwartung große Mehrheit (173 gegen 134 Se.)
verwarf das Gesetz.

Der Eindruck dieses Votums im Publicum ist ein um so tieferer, als der
größte Theil desselben den parlamentarischen Verhandlungen nicht so genau
folgt und mit den Parteiverhältnissen der beiden Häuser zu wenig vertraut ist,
um nicht dadurch überrascht zu sein. Die allgemeine Stimmung und die im
Ganzen bisher sehr weitgehende Willfährigkeit der Landesvertretung gegen die
Negierung ließ die Annahme des EhescheidungSgesetzes als das weitaus Wahr¬
scheinlichste betrachten; desto lebhafter ist die Genugthuung über die Niederlage,
welche seine Verwerfung den Vertretern einer Richtung bereitet, die in unse¬
rem verstandesklaren, nüchternen, freidenkenden norddeutschen Volke niemals
in weiteren Kreisen Anklang finden wird. Man darf hoffen, daß wir fürs
erste der Wiederholung dieses Versuchs überhoben sind, dessen Ausgang nicht,
wie Herr v. Gerlach sich tröstet, die Ueberzeugung von der Untauglichkeit und
Jmmoralität unserer Ehegesetze, sondern die Ueberzeugung verbreitet und be-


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evangelischen Kirche — bereitet hatte. Zum ersten Male verlor der Chef der
äußersten Rechten die spöttische Ruhe, womit er die verwundbarsten Stellen
seines Systems, die schwächsten Seiten seiner Partei gegen die Angriffe seiner
Gegner zu decken pflegt. Sein Groll über die voraussichtliche Niederlage
machte sich in der leidenschaftlichen Aufforderung an die Protestanten im Hause
Luft, mit welcher er seine Rede schloß, sie möchten alle andern Rücksichten bei
Seite setzen und es nicht dulden, daß die katholischen Mitglieder, um der Regierung
eine Concession für ihre Kirche abzuzwingen — (eine Forderung, der Herr
v. Gerlach übrigens materiell eine ziemlich rückhaltslose Zustimmung gab, gegen
die er aber zu poliren erklärte, um der freien Initiative der Negierung nicht
vorzugreifen), — die evangelische Bevölkerung der großen Wohlthaten des in
Rede stehenden Gesetzes beraubten. Da aber unter einem großen Theile der
protestantischen Abgeordneten grade die Furcht geherrscht hatte, daß durch die
Stimmen der Katholiken ihren Confessivnsgenossen ein Gesetz auferlegt werde,
das sie ebensowenig für wohlthätig als für protestantisch hielten, so fiel die
Ausforderung des Herrn v. Gerlach auf einen höchst undankbaren Boden und
es entsproßen demselben kaum ein paar vereinzelte, schwächliche Bravos, als
der Redner die Tribüne verließ. Der rohdensche Antrag fiel hierauf mit 209
gegen 76 Se. Gegen den Vorschlag des Präsidenten, welchen das Ministerium,
die äußerste Rechte und verschiedene Bruchtheile der andern Fraktionen der
Rechten unterstützten, beschloß das Haus, die namentliche Abstimmung auf den
folgenden, statt aus den nächstfolgenden Tag zu setzen. Die Gegner des Ge¬
setzes fürchteten, wol nicht mit Unrecht, ein Zwischenraum von 48 Stunden
könne ihnen manche Stimme entführen. Die nächste Sitzung (i. März) be¬
gann mit dem Endvotum, das unter einer sehr merklichen Spannung der Ver¬
sammlung erfolgte. Eine über jede Erwartung große Mehrheit (173 gegen 134 Se.)
verwarf das Gesetz.

Der Eindruck dieses Votums im Publicum ist ein um so tieferer, als der
größte Theil desselben den parlamentarischen Verhandlungen nicht so genau
folgt und mit den Parteiverhältnissen der beiden Häuser zu wenig vertraut ist,
um nicht dadurch überrascht zu sein. Die allgemeine Stimmung und die im
Ganzen bisher sehr weitgehende Willfährigkeit der Landesvertretung gegen die
Negierung ließ die Annahme des EhescheidungSgesetzes als das weitaus Wahr¬
scheinlichste betrachten; desto lebhafter ist die Genugthuung über die Niederlage,
welche seine Verwerfung den Vertretern einer Richtung bereitet, die in unse¬
rem verstandesklaren, nüchternen, freidenkenden norddeutschen Volke niemals
in weiteren Kreisen Anklang finden wird. Man darf hoffen, daß wir fürs
erste der Wiederholung dieses Versuchs überhoben sind, dessen Ausgang nicht,
wie Herr v. Gerlach sich tröstet, die Ueberzeugung von der Untauglichkeit und
Jmmoralität unserer Ehegesetze, sondern die Ueberzeugung verbreitet und be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/443>, abgerufen am 22.12.2024.