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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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zu einer einigen Gemeinschaft mehr Einheit auch im Aeußern zu geben. Die
Reaction gegen die neue Agende, welche alle vereinigen sollte und verständiger¬
weise auch recht wohl konnte, hatte aber auch die Aufwallung des lutherischen
Gefühls nur zum Ausgangspunkt. Zum Widerstand trieb die Form, in
welcher diese Einigung der Parteien durchgeführt werden sollte, -- von oben
herab statt von den mündigen Gliedern der Gemeinde selbst aus, gar durch
CabinetSbefehl, statt durch eine Synode. Es lag darin, so wohlgemeint der
Versuch war und so klug selbst er den Streit zu meiden suchte, ein Cäsaro-
papismus, ein Eingreifen der weltlichen Macht in das Gebiet des Gewissens
und Glaubens, eine Bedrohung der Freiheit, wogegen die Reaction ganz im
Rechte war. Und Männer wie Guericke, die lieber ihre Stellen opferten, als
dabei nachgaben, werden uns Achtung abnöthigen, wenn sie auch in der Sache
für uns dogmatisch Unrecht haben, oder andrerseits in der supranaturalen
Reaction sich zu Uebertreibungen hinreißen ließen, die uns wissenschaftlich
unrechtfertigbar erscheinen. Das sind die Altlutheraner der neuern Zeit,
Männer, wenn auch wissenschaftlich nicht bedeutend, Gemeinden, wenn auch
mit dem Schein von Conventikeln, deren Irrthum oder geistige Unklarheit wir
beklagen können, für deren Standhaftigkeit, ja deren Freisinn auch der impo-
nirenden Staatsgewalt gegenüber wir eine Art achtungsvoller Sympathie be¬
halten. Sind sie doch auch in neuester Zeit aufs geistvollste und kräftigste
die Schützer der wackern Prediger und Lehrer Schleswig-Holsteins gegen die
fast brutale Sophistik hengstenbergischer Unchristlichkeit gewesen.

Eine ganz andere Partei und Reaction ist vie neulutherische, eine Partei,
welche die Kirche augenfälliger, massiver, herrschender haben will, mit einem
Worte katholischer. Einer Charakteristik dieser factisch kryptokatholischen,
deutsch-puseyitischen Partei, deren Haupttypus Vilmar ist, können wir uns
hier überheben, da die noch cousequenter katholischen Blätter, die gelben, in
ihrem Fache schon" ziemlich meisterhaft, wenn auch nicht ganz klug, diese Cha¬
rakteristik gegeben haben, durchschlagend treffend (C. Schwarz "Zur Ge¬
schichte der neuesten Theologie"). Es genügt, mit Verachtung dieses Treiben
zu verurtheilen, das nicht mehr lange sein Dasein fristen kann. --

Diesem Urtheil aber hat eine jüngst erschienene Schrift eine zeitgemäße
Handhabe gegeben. Sie hat fast keinen Fehler, als daß sie -- allerdings aus
speciellen Gründen -- lateinisch verfaßt ist.*) Ich will daS hier so viel
wie möglich gut machen, indem ich wenigstens den Hauptsatz daraus mittheile,
ich glaube auch am allerbesten ohne irgend welche weitere Reflexion.

Und so seien hier einige Aussprüche deS echten Luther mitgetheilt, die
Citate nach Walchs Ausgabe.



*) Os I^utKsro, rationslisini praseursol'ö ors,dio, ^ufm Ksduit 6usts,vus ?rs,vie,
8eil>ivsrü Huo<Z ^mas Aorst senior. I^ixsiae 1837.
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zu einer einigen Gemeinschaft mehr Einheit auch im Aeußern zu geben. Die
Reaction gegen die neue Agende, welche alle vereinigen sollte und verständiger¬
weise auch recht wohl konnte, hatte aber auch die Aufwallung des lutherischen
Gefühls nur zum Ausgangspunkt. Zum Widerstand trieb die Form, in
welcher diese Einigung der Parteien durchgeführt werden sollte, — von oben
herab statt von den mündigen Gliedern der Gemeinde selbst aus, gar durch
CabinetSbefehl, statt durch eine Synode. Es lag darin, so wohlgemeint der
Versuch war und so klug selbst er den Streit zu meiden suchte, ein Cäsaro-
papismus, ein Eingreifen der weltlichen Macht in das Gebiet des Gewissens
und Glaubens, eine Bedrohung der Freiheit, wogegen die Reaction ganz im
Rechte war. Und Männer wie Guericke, die lieber ihre Stellen opferten, als
dabei nachgaben, werden uns Achtung abnöthigen, wenn sie auch in der Sache
für uns dogmatisch Unrecht haben, oder andrerseits in der supranaturalen
Reaction sich zu Uebertreibungen hinreißen ließen, die uns wissenschaftlich
unrechtfertigbar erscheinen. Das sind die Altlutheraner der neuern Zeit,
Männer, wenn auch wissenschaftlich nicht bedeutend, Gemeinden, wenn auch
mit dem Schein von Conventikeln, deren Irrthum oder geistige Unklarheit wir
beklagen können, für deren Standhaftigkeit, ja deren Freisinn auch der impo-
nirenden Staatsgewalt gegenüber wir eine Art achtungsvoller Sympathie be¬
halten. Sind sie doch auch in neuester Zeit aufs geistvollste und kräftigste
die Schützer der wackern Prediger und Lehrer Schleswig-Holsteins gegen die
fast brutale Sophistik hengstenbergischer Unchristlichkeit gewesen.

Eine ganz andere Partei und Reaction ist vie neulutherische, eine Partei,
welche die Kirche augenfälliger, massiver, herrschender haben will, mit einem
Worte katholischer. Einer Charakteristik dieser factisch kryptokatholischen,
deutsch-puseyitischen Partei, deren Haupttypus Vilmar ist, können wir uns
hier überheben, da die noch cousequenter katholischen Blätter, die gelben, in
ihrem Fache schon» ziemlich meisterhaft, wenn auch nicht ganz klug, diese Cha¬
rakteristik gegeben haben, durchschlagend treffend (C. Schwarz „Zur Ge¬
schichte der neuesten Theologie"). Es genügt, mit Verachtung dieses Treiben
zu verurtheilen, das nicht mehr lange sein Dasein fristen kann. —

Diesem Urtheil aber hat eine jüngst erschienene Schrift eine zeitgemäße
Handhabe gegeben. Sie hat fast keinen Fehler, als daß sie — allerdings aus
speciellen Gründen — lateinisch verfaßt ist.*) Ich will daS hier so viel
wie möglich gut machen, indem ich wenigstens den Hauptsatz daraus mittheile,
ich glaube auch am allerbesten ohne irgend welche weitere Reflexion.

Und so seien hier einige Aussprüche deS echten Luther mitgetheilt, die
Citate nach Walchs Ausgabe.



*) Os I^utKsro, rationslisini praseursol'ö ors,dio, ^ufm Ksduit 6usts,vus ?rs,vie,
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[0427] zu einer einigen Gemeinschaft mehr Einheit auch im Aeußern zu geben. Die Reaction gegen die neue Agende, welche alle vereinigen sollte und verständiger¬ weise auch recht wohl konnte, hatte aber auch die Aufwallung des lutherischen Gefühls nur zum Ausgangspunkt. Zum Widerstand trieb die Form, in welcher diese Einigung der Parteien durchgeführt werden sollte, — von oben herab statt von den mündigen Gliedern der Gemeinde selbst aus, gar durch CabinetSbefehl, statt durch eine Synode. Es lag darin, so wohlgemeint der Versuch war und so klug selbst er den Streit zu meiden suchte, ein Cäsaro- papismus, ein Eingreifen der weltlichen Macht in das Gebiet des Gewissens und Glaubens, eine Bedrohung der Freiheit, wogegen die Reaction ganz im Rechte war. Und Männer wie Guericke, die lieber ihre Stellen opferten, als dabei nachgaben, werden uns Achtung abnöthigen, wenn sie auch in der Sache für uns dogmatisch Unrecht haben, oder andrerseits in der supranaturalen Reaction sich zu Uebertreibungen hinreißen ließen, die uns wissenschaftlich unrechtfertigbar erscheinen. Das sind die Altlutheraner der neuern Zeit, Männer, wenn auch wissenschaftlich nicht bedeutend, Gemeinden, wenn auch mit dem Schein von Conventikeln, deren Irrthum oder geistige Unklarheit wir beklagen können, für deren Standhaftigkeit, ja deren Freisinn auch der impo- nirenden Staatsgewalt gegenüber wir eine Art achtungsvoller Sympathie be¬ halten. Sind sie doch auch in neuester Zeit aufs geistvollste und kräftigste die Schützer der wackern Prediger und Lehrer Schleswig-Holsteins gegen die fast brutale Sophistik hengstenbergischer Unchristlichkeit gewesen. Eine ganz andere Partei und Reaction ist vie neulutherische, eine Partei, welche die Kirche augenfälliger, massiver, herrschender haben will, mit einem Worte katholischer. Einer Charakteristik dieser factisch kryptokatholischen, deutsch-puseyitischen Partei, deren Haupttypus Vilmar ist, können wir uns hier überheben, da die noch cousequenter katholischen Blätter, die gelben, in ihrem Fache schon» ziemlich meisterhaft, wenn auch nicht ganz klug, diese Cha¬ rakteristik gegeben haben, durchschlagend treffend (C. Schwarz „Zur Ge¬ schichte der neuesten Theologie"). Es genügt, mit Verachtung dieses Treiben zu verurtheilen, das nicht mehr lange sein Dasein fristen kann. — Diesem Urtheil aber hat eine jüngst erschienene Schrift eine zeitgemäße Handhabe gegeben. Sie hat fast keinen Fehler, als daß sie — allerdings aus speciellen Gründen — lateinisch verfaßt ist.*) Ich will daS hier so viel wie möglich gut machen, indem ich wenigstens den Hauptsatz daraus mittheile, ich glaube auch am allerbesten ohne irgend welche weitere Reflexion. Und so seien hier einige Aussprüche deS echten Luther mitgetheilt, die Citate nach Walchs Ausgabe. *) Os I^utKsro, rationslisini praseursol'ö ors,dio, ^ufm Ksduit 6usts,vus ?rs,vie, 8eil>ivsrü Huo<Z ^mas Aorst senior. I^ixsiae 1837. 83 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/427>, abgerufen am 22.07.2024.