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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wieder herstellen und sie noch verschlimmern, jede Aufklärung ersticken und
jede Einrichtung der Freiheit zerstören, sie wollen in ihren Handen die geist¬
liche und weltliche Gewalt vereinigen, Laienthum und Klerus, Staat und
Kirche, Fürsten und Völker, Rom und Italien, Europa und die Welt der
Gesellschaft Jesu einverleiben. Da indeß ein so schöner Plan steh nicht leicht
ausführen laßt, so lange menschliche Erkenntniß blüht und fortschreitet, so
suchen die ehrwürdigen Väter die Geister zur Finsterniß des Mittelalters
zurückzuführen. Ihre Anhänger sind theils alle diejenigen, welche aus Un¬
wissenheit oder Aberglauben ihren fanatischen Eifer theilen, theils alle die,
welche aus Liebe zum Gewinn ihr Patronat erstreben."

"Die weltlichen Absolutisten", fährt Gioberti fort, "wollen daS ab¬
solute Regiment, allenfalls durch einige communale Freiheiten beschränkt, aber
sie sind erklärte Gegner der Priesterherrschaft und stellen die Unabhängigkeit
des Staates als Princip jeder Civilisation auf. Ihr Kopf und ihr Arm
ist Oestreich."

Als Repräsentanten des weltlichen Despotismus bezeichnet Gioberti
den König Ferdinand von Neapel, als Repräsentanten des geist¬
lichen Absolutismus den Cardinal Antonelli. Beide verfolgt er mit
gleichem Haß. Ueber den weltlichen Absolutismus sagt er: "Er ist" kei¬
ner edlen und großen Idee fähig. Diesem Geschlechte ist widerfahren, was
gewissen verderblichen Pflanzen begegnet, welche, wenn sie unter eine glühende
Sonne versetzt werden, noch giftiger sich erweisen." Ueber den Cardinal
Antonelli sagt Gioberti: "Antonelli hat nichts von der Rechtlichkeit und Fer¬
tigkeit des Staatsmannes, er schließt sich jeder "Partei an, durch die er seine
Zwecke zu erreichen hofft. 1848 spielte er den Liberalen, heute übertrifft er
an Gewaltsamkeit die Sanfebisten. Ohne wahren Geist, unwissend, ohne
Geschäftskenntniß und Geschäftstüchtigkeit, aber vollendet in den Intriguen
und Listen, welche oft den ganzen Geist mittelmäßiger Köpfe ausmachen, hat
er die Zeit der Verbannung in Zaitta dazu benutzt, heuchlerisch des Vertrauens
deS Papstes steh zu bemächtigen, ihm gegen die Wahrheit die Ohren und
gegen das Gute das Herz zu verschließen, sich zum Herrn seines Gedankens
und seines Willens zu machen. Ob die Diplomaten damals, wie man sagt,
den armen Papst gezwungen haben, alle politische Gewalt diesem Cardinal zu
überlassen, kann ich nicht versichern. Gewiß ist, daß Antonelli seitdem der
wahre Papst und wenn nicht der erste Urheber, doch der allmächtige Voll¬
zieher einer Politik gewesen ist, welche heute (18S1) mit der Politik deS
Königs von Neapel um die Palme streitet."

So urtheilt Gioberti, kein Revolutionär, sondern 1831 Gesandter Sar¬
diniens in Paris und kurz vorher Minister der auswärtigen Angelegenheiten
in Turin.


Grenzboten. I. 18ö7. SA

wieder herstellen und sie noch verschlimmern, jede Aufklärung ersticken und
jede Einrichtung der Freiheit zerstören, sie wollen in ihren Handen die geist¬
liche und weltliche Gewalt vereinigen, Laienthum und Klerus, Staat und
Kirche, Fürsten und Völker, Rom und Italien, Europa und die Welt der
Gesellschaft Jesu einverleiben. Da indeß ein so schöner Plan steh nicht leicht
ausführen laßt, so lange menschliche Erkenntniß blüht und fortschreitet, so
suchen die ehrwürdigen Väter die Geister zur Finsterniß des Mittelalters
zurückzuführen. Ihre Anhänger sind theils alle diejenigen, welche aus Un¬
wissenheit oder Aberglauben ihren fanatischen Eifer theilen, theils alle die,
welche aus Liebe zum Gewinn ihr Patronat erstreben."

„Die weltlichen Absolutisten", fährt Gioberti fort, „wollen daS ab¬
solute Regiment, allenfalls durch einige communale Freiheiten beschränkt, aber
sie sind erklärte Gegner der Priesterherrschaft und stellen die Unabhängigkeit
des Staates als Princip jeder Civilisation auf. Ihr Kopf und ihr Arm
ist Oestreich."

Als Repräsentanten des weltlichen Despotismus bezeichnet Gioberti
den König Ferdinand von Neapel, als Repräsentanten des geist¬
lichen Absolutismus den Cardinal Antonelli. Beide verfolgt er mit
gleichem Haß. Ueber den weltlichen Absolutismus sagt er: „Er ist" kei¬
ner edlen und großen Idee fähig. Diesem Geschlechte ist widerfahren, was
gewissen verderblichen Pflanzen begegnet, welche, wenn sie unter eine glühende
Sonne versetzt werden, noch giftiger sich erweisen." Ueber den Cardinal
Antonelli sagt Gioberti: „Antonelli hat nichts von der Rechtlichkeit und Fer¬
tigkeit des Staatsmannes, er schließt sich jeder »Partei an, durch die er seine
Zwecke zu erreichen hofft. 1848 spielte er den Liberalen, heute übertrifft er
an Gewaltsamkeit die Sanfebisten. Ohne wahren Geist, unwissend, ohne
Geschäftskenntniß und Geschäftstüchtigkeit, aber vollendet in den Intriguen
und Listen, welche oft den ganzen Geist mittelmäßiger Köpfe ausmachen, hat
er die Zeit der Verbannung in Zaitta dazu benutzt, heuchlerisch des Vertrauens
deS Papstes steh zu bemächtigen, ihm gegen die Wahrheit die Ohren und
gegen das Gute das Herz zu verschließen, sich zum Herrn seines Gedankens
und seines Willens zu machen. Ob die Diplomaten damals, wie man sagt,
den armen Papst gezwungen haben, alle politische Gewalt diesem Cardinal zu
überlassen, kann ich nicht versichern. Gewiß ist, daß Antonelli seitdem der
wahre Papst und wenn nicht der erste Urheber, doch der allmächtige Voll¬
zieher einer Politik gewesen ist, welche heute (18S1) mit der Politik deS
Königs von Neapel um die Palme streitet."

So urtheilt Gioberti, kein Revolutionär, sondern 1831 Gesandter Sar¬
diniens in Paris und kurz vorher Minister der auswärtigen Angelegenheiten
in Turin.


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[0417] wieder herstellen und sie noch verschlimmern, jede Aufklärung ersticken und jede Einrichtung der Freiheit zerstören, sie wollen in ihren Handen die geist¬ liche und weltliche Gewalt vereinigen, Laienthum und Klerus, Staat und Kirche, Fürsten und Völker, Rom und Italien, Europa und die Welt der Gesellschaft Jesu einverleiben. Da indeß ein so schöner Plan steh nicht leicht ausführen laßt, so lange menschliche Erkenntniß blüht und fortschreitet, so suchen die ehrwürdigen Väter die Geister zur Finsterniß des Mittelalters zurückzuführen. Ihre Anhänger sind theils alle diejenigen, welche aus Un¬ wissenheit oder Aberglauben ihren fanatischen Eifer theilen, theils alle die, welche aus Liebe zum Gewinn ihr Patronat erstreben." „Die weltlichen Absolutisten", fährt Gioberti fort, „wollen daS ab¬ solute Regiment, allenfalls durch einige communale Freiheiten beschränkt, aber sie sind erklärte Gegner der Priesterherrschaft und stellen die Unabhängigkeit des Staates als Princip jeder Civilisation auf. Ihr Kopf und ihr Arm ist Oestreich." Als Repräsentanten des weltlichen Despotismus bezeichnet Gioberti den König Ferdinand von Neapel, als Repräsentanten des geist¬ lichen Absolutismus den Cardinal Antonelli. Beide verfolgt er mit gleichem Haß. Ueber den weltlichen Absolutismus sagt er: „Er ist" kei¬ ner edlen und großen Idee fähig. Diesem Geschlechte ist widerfahren, was gewissen verderblichen Pflanzen begegnet, welche, wenn sie unter eine glühende Sonne versetzt werden, noch giftiger sich erweisen." Ueber den Cardinal Antonelli sagt Gioberti: „Antonelli hat nichts von der Rechtlichkeit und Fer¬ tigkeit des Staatsmannes, er schließt sich jeder »Partei an, durch die er seine Zwecke zu erreichen hofft. 1848 spielte er den Liberalen, heute übertrifft er an Gewaltsamkeit die Sanfebisten. Ohne wahren Geist, unwissend, ohne Geschäftskenntniß und Geschäftstüchtigkeit, aber vollendet in den Intriguen und Listen, welche oft den ganzen Geist mittelmäßiger Köpfe ausmachen, hat er die Zeit der Verbannung in Zaitta dazu benutzt, heuchlerisch des Vertrauens deS Papstes steh zu bemächtigen, ihm gegen die Wahrheit die Ohren und gegen das Gute das Herz zu verschließen, sich zum Herrn seines Gedankens und seines Willens zu machen. Ob die Diplomaten damals, wie man sagt, den armen Papst gezwungen haben, alle politische Gewalt diesem Cardinal zu überlassen, kann ich nicht versichern. Gewiß ist, daß Antonelli seitdem der wahre Papst und wenn nicht der erste Urheber, doch der allmächtige Voll¬ zieher einer Politik gewesen ist, welche heute (18S1) mit der Politik deS Königs von Neapel um die Palme streitet." So urtheilt Gioberti, kein Revolutionär, sondern 1831 Gesandter Sar¬ diniens in Paris und kurz vorher Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Turin. Grenzboten. I. 18ö7. SA

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/417>, abgerufen am 25.08.2024.