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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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des jüngern Geschlechts, eine zunehmende Neigung zu ungefährlichen Paradiren,
eine Lust am hohen Spiel unter der Maske von Wetten, bei dem Umschlag
der Landessitte wesentlich mitwirkten. Lange hatte der echte Fuchsjäger in rothem
Frack und weißen Lederhosen das Behagen des Jagdlebens, auch wenn er nicht auf
der Fuchsfährte war, durch sein ungehobeltes, dem Trunk zugethanes Benehmen zur
Schau getragen; er hatte geflucht, Karten gespielt, altengliche Lieder gesungen,
daß die Ahnenbilder in den ehrwürdigen Ritterhallen vergebliche Bemühungen
machten, sich zu bekreuzen; cillmälig wurde er ein Gräuel der guten Gesell¬
schaft und das Nasenrümpfen der jungen Ladies erhielt ihn in permanen¬
ten Belagerungszustand. So haben die Fuchsjagden sich zwar nicht ganz
verloren, aber doch einem Firniß unterworfen, welcher ihnen viele ihrer
charakteristischen Seiten genommen hat. Die Wettrennen sind in ihre Stelle
getreten. Ohne sie stände es jetzt mit der englischen Berittenheit weit schlim¬
mer; durch ihr Aufkommen hat sich die letztere in der unglaublichsten Weise
entfaltet. Wem nicht das Geschick zu Theil ward, einige jener großen Rennen
Englands mit Augen zu schauen, der hatte doch vielleicht Gelegenheit, einen
Nachmittag im Hydepark zuzubringen und sich an dem bunten Gemisch von
Reiterinnen und Reitern zu ergötzen, das unter der Sonne nicht seines Glei¬
chen hat. Paris bietet weder im Bois de Boulogne noch in seinen Champs
Elysees etwas Aehnliches, so sehr auch die Liebhaberei der Kaiserin Eugenie
für Sattel und Zaum die französische Damenwelt zur Nacheiferung auffordert.
Wien weiß, trotz seiner stattlichen Praterbahn, wenig von den Reizen einer
Cavalcade beider' Geschlechter im Freien. Andere Städte kommen kaum in
Betracht. Aber Hydepark! vor allem zur Zeit der Saison und wenn die Kö¬
nigin, sei es zu Pferde, sei es im Wagen, einen riäe macht! Da hat man
Gelegenheit, sich mit dem fröhlich ungebundenen Verkehr der Engländer von
seiner günstigsten Seite bekannt zu machen und eins der vorzüglichsten Mittel
zu erkennen, welches auch die höheren Classen dieses Volks gesund und
kräftig erhält. Neben der Hauptallee dieses schönen Parks zieht sich ein langer
und sehr breiter, an beiden Seiten eingehegter Weg tds rotten rc>w hin,
welcher der berittenen Welt ausschließlich gehört. Er steigt von der berüchtig¬
ten Punch-Wellingtonstatue sanft aufwärts und bietet eine hinreichende Aus¬
dehnung, um, nur einmal zurückgelegt, das ungestümste Vollblut gefügig zu
machen. Hier sieht man an Sommernachmittagen Reiter und Reiterinnen
bald in langen Reihen und lebhafter Unterhaltung Schritt halten, bald sich
in schnellen Gangarten messen, bald die zuschauenden Spaziergänger mustern,
bald wieder die Anknüpfungen des letzten Balls fester schürzen, halbverstandcne
Artigkeiten zu unbefangenerer Aeußerung herausfordern, im Keime begriffene
Neigungen argwöhnisch belauschen oder auch wol stören, durch Blicke und
Grüße bekräftigen, was im letzten Concert nur flüchtig angedeutet werden


des jüngern Geschlechts, eine zunehmende Neigung zu ungefährlichen Paradiren,
eine Lust am hohen Spiel unter der Maske von Wetten, bei dem Umschlag
der Landessitte wesentlich mitwirkten. Lange hatte der echte Fuchsjäger in rothem
Frack und weißen Lederhosen das Behagen des Jagdlebens, auch wenn er nicht auf
der Fuchsfährte war, durch sein ungehobeltes, dem Trunk zugethanes Benehmen zur
Schau getragen; er hatte geflucht, Karten gespielt, altengliche Lieder gesungen,
daß die Ahnenbilder in den ehrwürdigen Ritterhallen vergebliche Bemühungen
machten, sich zu bekreuzen; cillmälig wurde er ein Gräuel der guten Gesell¬
schaft und das Nasenrümpfen der jungen Ladies erhielt ihn in permanen¬
ten Belagerungszustand. So haben die Fuchsjagden sich zwar nicht ganz
verloren, aber doch einem Firniß unterworfen, welcher ihnen viele ihrer
charakteristischen Seiten genommen hat. Die Wettrennen sind in ihre Stelle
getreten. Ohne sie stände es jetzt mit der englischen Berittenheit weit schlim¬
mer; durch ihr Aufkommen hat sich die letztere in der unglaublichsten Weise
entfaltet. Wem nicht das Geschick zu Theil ward, einige jener großen Rennen
Englands mit Augen zu schauen, der hatte doch vielleicht Gelegenheit, einen
Nachmittag im Hydepark zuzubringen und sich an dem bunten Gemisch von
Reiterinnen und Reitern zu ergötzen, das unter der Sonne nicht seines Glei¬
chen hat. Paris bietet weder im Bois de Boulogne noch in seinen Champs
Elysees etwas Aehnliches, so sehr auch die Liebhaberei der Kaiserin Eugenie
für Sattel und Zaum die französische Damenwelt zur Nacheiferung auffordert.
Wien weiß, trotz seiner stattlichen Praterbahn, wenig von den Reizen einer
Cavalcade beider' Geschlechter im Freien. Andere Städte kommen kaum in
Betracht. Aber Hydepark! vor allem zur Zeit der Saison und wenn die Kö¬
nigin, sei es zu Pferde, sei es im Wagen, einen riäe macht! Da hat man
Gelegenheit, sich mit dem fröhlich ungebundenen Verkehr der Engländer von
seiner günstigsten Seite bekannt zu machen und eins der vorzüglichsten Mittel
zu erkennen, welches auch die höheren Classen dieses Volks gesund und
kräftig erhält. Neben der Hauptallee dieses schönen Parks zieht sich ein langer
und sehr breiter, an beiden Seiten eingehegter Weg tds rotten rc>w hin,
welcher der berittenen Welt ausschließlich gehört. Er steigt von der berüchtig¬
ten Punch-Wellingtonstatue sanft aufwärts und bietet eine hinreichende Aus¬
dehnung, um, nur einmal zurückgelegt, das ungestümste Vollblut gefügig zu
machen. Hier sieht man an Sommernachmittagen Reiter und Reiterinnen
bald in langen Reihen und lebhafter Unterhaltung Schritt halten, bald sich
in schnellen Gangarten messen, bald die zuschauenden Spaziergänger mustern,
bald wieder die Anknüpfungen des letzten Balls fester schürzen, halbverstandcne
Artigkeiten zu unbefangenerer Aeußerung herausfordern, im Keime begriffene
Neigungen argwöhnisch belauschen oder auch wol stören, durch Blicke und
Grüße bekräftigen, was im letzten Concert nur flüchtig angedeutet werden


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[0308] des jüngern Geschlechts, eine zunehmende Neigung zu ungefährlichen Paradiren, eine Lust am hohen Spiel unter der Maske von Wetten, bei dem Umschlag der Landessitte wesentlich mitwirkten. Lange hatte der echte Fuchsjäger in rothem Frack und weißen Lederhosen das Behagen des Jagdlebens, auch wenn er nicht auf der Fuchsfährte war, durch sein ungehobeltes, dem Trunk zugethanes Benehmen zur Schau getragen; er hatte geflucht, Karten gespielt, altengliche Lieder gesungen, daß die Ahnenbilder in den ehrwürdigen Ritterhallen vergebliche Bemühungen machten, sich zu bekreuzen; cillmälig wurde er ein Gräuel der guten Gesell¬ schaft und das Nasenrümpfen der jungen Ladies erhielt ihn in permanen¬ ten Belagerungszustand. So haben die Fuchsjagden sich zwar nicht ganz verloren, aber doch einem Firniß unterworfen, welcher ihnen viele ihrer charakteristischen Seiten genommen hat. Die Wettrennen sind in ihre Stelle getreten. Ohne sie stände es jetzt mit der englischen Berittenheit weit schlim¬ mer; durch ihr Aufkommen hat sich die letztere in der unglaublichsten Weise entfaltet. Wem nicht das Geschick zu Theil ward, einige jener großen Rennen Englands mit Augen zu schauen, der hatte doch vielleicht Gelegenheit, einen Nachmittag im Hydepark zuzubringen und sich an dem bunten Gemisch von Reiterinnen und Reitern zu ergötzen, das unter der Sonne nicht seines Glei¬ chen hat. Paris bietet weder im Bois de Boulogne noch in seinen Champs Elysees etwas Aehnliches, so sehr auch die Liebhaberei der Kaiserin Eugenie für Sattel und Zaum die französische Damenwelt zur Nacheiferung auffordert. Wien weiß, trotz seiner stattlichen Praterbahn, wenig von den Reizen einer Cavalcade beider' Geschlechter im Freien. Andere Städte kommen kaum in Betracht. Aber Hydepark! vor allem zur Zeit der Saison und wenn die Kö¬ nigin, sei es zu Pferde, sei es im Wagen, einen riäe macht! Da hat man Gelegenheit, sich mit dem fröhlich ungebundenen Verkehr der Engländer von seiner günstigsten Seite bekannt zu machen und eins der vorzüglichsten Mittel zu erkennen, welches auch die höheren Classen dieses Volks gesund und kräftig erhält. Neben der Hauptallee dieses schönen Parks zieht sich ein langer und sehr breiter, an beiden Seiten eingehegter Weg tds rotten rc>w hin, welcher der berittenen Welt ausschließlich gehört. Er steigt von der berüchtig¬ ten Punch-Wellingtonstatue sanft aufwärts und bietet eine hinreichende Aus¬ dehnung, um, nur einmal zurückgelegt, das ungestümste Vollblut gefügig zu machen. Hier sieht man an Sommernachmittagen Reiter und Reiterinnen bald in langen Reihen und lebhafter Unterhaltung Schritt halten, bald sich in schnellen Gangarten messen, bald die zuschauenden Spaziergänger mustern, bald wieder die Anknüpfungen des letzten Balls fester schürzen, halbverstandcne Artigkeiten zu unbefangenerer Aeußerung herausfordern, im Keime begriffene Neigungen argwöhnisch belauschen oder auch wol stören, durch Blicke und Grüße bekräftigen, was im letzten Concert nur flüchtig angedeutet werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/308>, abgerufen am 22.12.2024.