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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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alten Reichshistorikcr vor Augen habe, die in der Geschichte nichts weiter sehen,
als die Schicksale der Könige. Was in aller Welt gehen einen vernünftigen
Geschichtschreiber die geheimen Genealogien M! I'ittvr "si., cM-in just."e nur"Ul>v
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Sugenheim ihn anwendet, das Allerunfinnigste als ausgemachte Sache dargestellt
werden kann. Wir haben vor den geheimen Geschichten überhaupt keinen großen
Respect; die Hauptsachen in den großen Weltbegebenheiten sind gewöhnlich so klar,
daß man nur unbefangen hinzusehen braucht, um sie zu finden. -- Das Schlimmste
aber ist die unglaublich rohe Form der Darstellung. Sugenheim hat eine Virtuo¬
sität i" Schimpfwörtern, wie man sie nur in den ultrademokratischen Journalen
des Jahres 1848 und in den verschiedenen Organen der Kreuzzeitungspartei wieder¬
findet. Er schadet damit seinem eigentlichen Zweck, der politischen Wirksamkeit,
aus eine verhängnißvolle Weise. Uebersetzen wir uns seine Ideen aus der unge¬
stümen leidenschaftlichen Form, in der er sie vorträgt, in die Sprache der gewöhn¬
lichen Sterblichen, so kommen sie auf das heraus, was alle verständigen Patrioten
in Deutschland laut oder insgeheim wünschen und fordern; aber wie man sie hier
liest, machen sie den Eindruck einer ganz verwilderten Demagogie. Wir haben
alle Ursache, in unserer Literatur über die Fortdauer des guten Tones zu wachen,
der in Beziehung auf die allgemeine Entwicklung der Bildung gar nicht so etwas
Gleichgiltiges ist, als man gewöhnlich annimmt.

Archäologie der Hebräer. Für Freunde des Alterthums und zum Ge¬
brauche bei akademischen Vorlesungen. Von Hr. Jos. L. Saalschütz. Zweiter
Theil. Königsberg, Gebr. Bornträgcr. -- Das Buch ist das Resultat vieljähriger
angestrengter Studien und macht einen um so erfreulichem Eindruck, da der ge¬
lehrte Versasser trotz seiner Pietät gegen das Volk, dem er angehört, sich von allen
nationalen Vorurtheilen frei gemacht hat. Zwar zieht sich ein leiser schmerzlicher
Ton durch diese dem Anscheine nach mir objective Darstellung, aber dieser Ton
wird nicht verfehlen, auch bei den Fremden Anklang zu finden, da eine humane
und gebildete Auffassung alle angeerbten Idiosynkrasien zum Schweigen bringt.
Der vorliegende Band enthält folgende Abschnitte: Wissenschaft, allgemeine Sitten,
Familienwesen, Städtewesen, Rechtspflege und Polizei, religiöse Volksiustitutionen
und politische Verhältnisse. Unter diesen Abschnitten hat uns der erste am wenigsten
befriedigt. Zwar thut der Verfasser den Thatsachen keine Gewalt an; da ihm
aber immer die Kategorien der modernen Wissenschaft vorschweben, so wendet er
zuweilen Formen und Bezeichnungen an, die sich für jene unentwickelten Cultur-
verhältnisse nicht recht eignen. Besondere Auszeichnung dagegen verdient der Ab¬
schnitt über die religiösen Institutionen, die nicht blos in ihrem innern Zusammen¬
hang entwickelt, sondern auch mit reicher, durch die genaue Kenntniß des Materials
S. vermittelter Farbe ausgeführt und sinnlich belebt sind.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

alten Reichshistorikcr vor Augen habe, die in der Geschichte nichts weiter sehen,
als die Schicksale der Könige. Was in aller Welt gehen einen vernünftigen
Geschichtschreiber die geheimen Genealogien M! I'ittvr «si., cM-in just.»e nur»Ul>v
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Sugenheim ihn anwendet, das Allerunfinnigste als ausgemachte Sache dargestellt
werden kann. Wir haben vor den geheimen Geschichten überhaupt keinen großen
Respect; die Hauptsachen in den großen Weltbegebenheiten sind gewöhnlich so klar,
daß man nur unbefangen hinzusehen braucht, um sie zu finden. — Das Schlimmste
aber ist die unglaublich rohe Form der Darstellung. Sugenheim hat eine Virtuo¬
sität i» Schimpfwörtern, wie man sie nur in den ultrademokratischen Journalen
des Jahres 1848 und in den verschiedenen Organen der Kreuzzeitungspartei wieder¬
findet. Er schadet damit seinem eigentlichen Zweck, der politischen Wirksamkeit,
aus eine verhängnißvolle Weise. Uebersetzen wir uns seine Ideen aus der unge¬
stümen leidenschaftlichen Form, in der er sie vorträgt, in die Sprache der gewöhn¬
lichen Sterblichen, so kommen sie auf das heraus, was alle verständigen Patrioten
in Deutschland laut oder insgeheim wünschen und fordern; aber wie man sie hier
liest, machen sie den Eindruck einer ganz verwilderten Demagogie. Wir haben
alle Ursache, in unserer Literatur über die Fortdauer des guten Tones zu wachen,
der in Beziehung auf die allgemeine Entwicklung der Bildung gar nicht so etwas
Gleichgiltiges ist, als man gewöhnlich annimmt.

Archäologie der Hebräer. Für Freunde des Alterthums und zum Ge¬
brauche bei akademischen Vorlesungen. Von Hr. Jos. L. Saalschütz. Zweiter
Theil. Königsberg, Gebr. Bornträgcr. — Das Buch ist das Resultat vieljähriger
angestrengter Studien und macht einen um so erfreulichem Eindruck, da der ge¬
lehrte Versasser trotz seiner Pietät gegen das Volk, dem er angehört, sich von allen
nationalen Vorurtheilen frei gemacht hat. Zwar zieht sich ein leiser schmerzlicher
Ton durch diese dem Anscheine nach mir objective Darstellung, aber dieser Ton
wird nicht verfehlen, auch bei den Fremden Anklang zu finden, da eine humane
und gebildete Auffassung alle angeerbten Idiosynkrasien zum Schweigen bringt.
Der vorliegende Band enthält folgende Abschnitte: Wissenschaft, allgemeine Sitten,
Familienwesen, Städtewesen, Rechtspflege und Polizei, religiöse Volksiustitutionen
und politische Verhältnisse. Unter diesen Abschnitten hat uns der erste am wenigsten
befriedigt. Zwar thut der Verfasser den Thatsachen keine Gewalt an; da ihm
aber immer die Kategorien der modernen Wissenschaft vorschweben, so wendet er
zuweilen Formen und Bezeichnungen an, die sich für jene unentwickelten Cultur-
verhältnisse nicht recht eignen. Besondere Auszeichnung dagegen verdient der Ab¬
schnitt über die religiösen Institutionen, die nicht blos in ihrem innern Zusammen¬
hang entwickelt, sondern auch mit reicher, durch die genaue Kenntniß des Materials
S. vermittelter Farbe ausgeführt und sinnlich belebt sind.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/248>, abgerufen am 22.07.2024.