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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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gerüstet sein müsse, als im Gebiet der unmittelbaren Politik. Es ist das auch
eine,von den Segnungen des constitutionellen Systems, daß es die Wissenschaft
zum Leben in eine unmittelbare Beziehung setzt. Wenn man in den Kammern
auch nur in den seltensten Fällen darauf ausgehen kaun, den Gegner zu überzeugen,
so wird man doch dnrch seine Gründe genöthigt, seine eignen Ueberzeugungen zu
befestigen und zu vertiefen. Die Frage über den Werth der historischen Schule ist
keine Parteifrage mehr. Der Liberalismus muß steh ebenso aus sie beziehen, wie
die Reaction. Mit dieser Anerkennung der Geschichtswissenschaft hängt zusammen,
daß man über den Beruf der verschiedenen Zeiten zum politischen Fortschritt sich
ein unbefangenes Urtheil bildet und die Männer gerechter beurtheilt, die den Fort¬
schritt förderten, indem ste sich fest auf den Boden der gegebenen Zustände stellten
und dem Anschein nach als Vertheidiger dieser Zustände auftraten. Obgleich ein
Gelehrter im strengsten Sinn des Worts, war die Grundrichtung Mösers doch vor¬
wiegend praktisch, und wenn er auch jeden gewaltsamen Umsturz, jeder unhistorischen
Neuerung abhold war, so arbeitete doch sein warmer, menschenfreundlicher Geist
unablässig im Dienst des gesunden Forschritts, und er hat in dem kleinen Kreise,
ans den er mit Recht seine unmittelbare Thätigkeit beschränkte, Großes gewirkt. --
Es ist aber nicht blos die politische Rechtfertigung Mösers, was der Versasser der
vorliegenden Schrift unternimmt, er sucht die Totalität seiner Natur nachzubilden,
jenes gesunde, in naturwüchsiger Kraft aufblühende Gemüth, das zuweilen eine
gewisse derbe Schalkheit nicht verleugnen konnte, das aber selbst in der ironischen
Haltung die deutsche Ehrlichkeit durchscheinen ließ. -- Möchte dieses einsichtsvolle und
warm ausgesprochene Urtheil dazu beitragen, das Volk zur Lectüre jener Schriften
anzuregen, die im Ganzen mehr besprochen als gelesen werden.

I-a tizuv ol, Henri IV. pur 1. Uivtlelel,, ?"iis, Lliiunmor. -- Die Ge¬
schichte der Ligue bildet den vierten Band der Geschichte des 16. Jahrhunderts,
Und die weitere Fortsetzung wird nächstens erwartet. Wir behalten uns vor, in
der Reihe der französischen Geschichtschreiber das gesammte Werk und die Stellung,
welche der Versasser in der Entwicklung der französischen Enltnr einnimmt, näher
zu erörtern. Zunächst nur einige Bemerkungen über den vorliegenden Band. Wie
in allen seinen Schriften, kommt es dem Verfasser auch hier vorzugsweise darauf
an, durch ein Sprühfeuer feiner und geistvoller Bemerkungen ein überraschendes
Licht auf die eigenthümliche geistige Bildung einer bestimmten Periode zu werfen.
Er verschmäht die geordnete ausführliche Erzählung, welche die Geschichte vor un¬
sern Augen vorgehen läßt, und nimmt einen Standpunkt ein, der durch seine wei¬
ten Perspektiven, durch die grellen Kontraste in Licht und Schatten den bekannten
Thatsachen ein neues, zuweilen seltsames Ansetzn gibt. Nicht daß er gegen die
Thatsachen glcichgUtig wäre, im Gegentheil hat er über die Details sehr sorgfäl¬
tige Studien gemacht; aber er benutzt sie nnr zu einer schärfern Entwicklung der
Ideen. Für uns Deutsche hat das Buch insofern eine große Wichtigkeit, als es
uns zeigt, wie sehr bei unsern Nachbarn das Verständniß der protestantischen Be¬
wegung vertieft ist. Die AnMrung des vorigen Jahrhunderts griff zwar gleich¬
falls die katholische Kirche an und ließ insofern die Reformation gelten, als sie
zuerst die geschlossene Macht der Hierarchie gebrochen hatte; der innere Kern dieses


gerüstet sein müsse, als im Gebiet der unmittelbaren Politik. Es ist das auch
eine,von den Segnungen des constitutionellen Systems, daß es die Wissenschaft
zum Leben in eine unmittelbare Beziehung setzt. Wenn man in den Kammern
auch nur in den seltensten Fällen darauf ausgehen kaun, den Gegner zu überzeugen,
so wird man doch dnrch seine Gründe genöthigt, seine eignen Ueberzeugungen zu
befestigen und zu vertiefen. Die Frage über den Werth der historischen Schule ist
keine Parteifrage mehr. Der Liberalismus muß steh ebenso aus sie beziehen, wie
die Reaction. Mit dieser Anerkennung der Geschichtswissenschaft hängt zusammen,
daß man über den Beruf der verschiedenen Zeiten zum politischen Fortschritt sich
ein unbefangenes Urtheil bildet und die Männer gerechter beurtheilt, die den Fort¬
schritt förderten, indem ste sich fest auf den Boden der gegebenen Zustände stellten
und dem Anschein nach als Vertheidiger dieser Zustände auftraten. Obgleich ein
Gelehrter im strengsten Sinn des Worts, war die Grundrichtung Mösers doch vor¬
wiegend praktisch, und wenn er auch jeden gewaltsamen Umsturz, jeder unhistorischen
Neuerung abhold war, so arbeitete doch sein warmer, menschenfreundlicher Geist
unablässig im Dienst des gesunden Forschritts, und er hat in dem kleinen Kreise,
ans den er mit Recht seine unmittelbare Thätigkeit beschränkte, Großes gewirkt. —
Es ist aber nicht blos die politische Rechtfertigung Mösers, was der Versasser der
vorliegenden Schrift unternimmt, er sucht die Totalität seiner Natur nachzubilden,
jenes gesunde, in naturwüchsiger Kraft aufblühende Gemüth, das zuweilen eine
gewisse derbe Schalkheit nicht verleugnen konnte, das aber selbst in der ironischen
Haltung die deutsche Ehrlichkeit durchscheinen ließ. — Möchte dieses einsichtsvolle und
warm ausgesprochene Urtheil dazu beitragen, das Volk zur Lectüre jener Schriften
anzuregen, die im Ganzen mehr besprochen als gelesen werden.

I-a tizuv ol, Henri IV. pur 1. Uivtlelel,, ?«iis, Lliiunmor. — Die Ge¬
schichte der Ligue bildet den vierten Band der Geschichte des 16. Jahrhunderts,
Und die weitere Fortsetzung wird nächstens erwartet. Wir behalten uns vor, in
der Reihe der französischen Geschichtschreiber das gesammte Werk und die Stellung,
welche der Versasser in der Entwicklung der französischen Enltnr einnimmt, näher
zu erörtern. Zunächst nur einige Bemerkungen über den vorliegenden Band. Wie
in allen seinen Schriften, kommt es dem Verfasser auch hier vorzugsweise darauf
an, durch ein Sprühfeuer feiner und geistvoller Bemerkungen ein überraschendes
Licht auf die eigenthümliche geistige Bildung einer bestimmten Periode zu werfen.
Er verschmäht die geordnete ausführliche Erzählung, welche die Geschichte vor un¬
sern Augen vorgehen läßt, und nimmt einen Standpunkt ein, der durch seine wei¬
ten Perspektiven, durch die grellen Kontraste in Licht und Schatten den bekannten
Thatsachen ein neues, zuweilen seltsames Ansetzn gibt. Nicht daß er gegen die
Thatsachen glcichgUtig wäre, im Gegentheil hat er über die Details sehr sorgfäl¬
tige Studien gemacht; aber er benutzt sie nnr zu einer schärfern Entwicklung der
Ideen. Für uns Deutsche hat das Buch insofern eine große Wichtigkeit, als es
uns zeigt, wie sehr bei unsern Nachbarn das Verständniß der protestantischen Be¬
wegung vertieft ist. Die AnMrung des vorigen Jahrhunderts griff zwar gleich¬
falls die katholische Kirche an und ließ insofern die Reformation gelten, als sie
zuerst die geschlossene Macht der Hierarchie gebrochen hatte; der innere Kern dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/207>, abgerufen am 22.12.2024.