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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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die Sorgfalt und Gründlichkeit des Deutschen bei Benutzung der Quellen
erreichen.

Wenn hier als Probe seiner Darstellung die Beschreibung eines pariser
Hauses im 13. Jahrhundert zugefügt wird, so sei zugleich bemerkt, daß grade
hierbei unser Wissen mangelhafter ist, als man glauben sollte, und daß
bei andern Abschnitten dem Verfasser reicheres Detail auch Gelegenheit zu
lebhafterer Beschreibung gab. Es empfiehlt sich in d. Bl. aber grade dieser
Abschnitt, weil die Häuser der größern Städte im westlichen Deutschland
damals fast dieselbe Einrichtung hatten.

"Das Bild eines pariser Bürgerhauses im dreizehnten Jahrhundert unter¬
scheidet sich von jenem eines Herrenhauses in mannigfachen und wesentlichen
Dingen, darin stimmten sie jedoch stets überein, daß die Familienräume von
den übrigen, zu welchen auch Fremde Zutritt hatten, streng geschieden blieben.
Wir denken uns als den Bewohner einen Handwerker, der gleichzeitig auch
den Verkauf der von ihm erzeugten Waaren besorgt, dessen Haus also nebst
der Wohnung noch die Werkstätte und das Kaufgewölbe in sich schließt.

Das letztere war frei gegen die Gasse gelegen und so eingerichtet, daß
sein Perschluß gleichzeitig als Schirmdach und Verkaufstisch diente. Von
den beiden Holzläden nämlich, welche die Krambuden zur Nachtzeit und an
Festtagen sperrten, öffnete sich der obere und untere in entgegengesetzter Rich¬
tung. Der erstere wurde halb aufgezogen, so daß er ein schräges Dach bildete
und Sonne und Regen abhielt, der andere auf die Fußbank niedergelassen
und auf ihm sodann die Waare vor dem Kunden, der stets außen auf der
Straße blieb, ausgebreitet. Im Hintergrunde der Krambude befand sich die
Werkstätte, das ouvroii-, von'welchem zuweilen eine Treppe in das obere
Geschoß, so wie in den Keller führte. Unmittelbar von der Straße gelangte
man über Flur und Treppe zu den Wohnungsräumen, und zwar zunächst
zum Saale, welcher die Familie bei dem Schmause vereinigte und zur Be¬
grüßung der Gäste diente. Nur in vornehmeren Häusern gab es eine beson¬
dere Küche; sie lag in einem Hofbaue und besaß gleichfalls eine abgesonderte
Treppe. Hier zählte man überhaupt mehr Räumlichkeiten. Zum Umkreise
des Palastes gehörten Garten und Hof mit den Stallungen und den Woh¬
nungen für Fremde und Diener. Vom Hauptthore führte der Weg unmittelbar
>n den großen Saal, wo sich die Vasallen versammelten, die Gelage abge¬
halten und das Recht gesprochen wurde. Versteckt angebrachte Wendeltreppen
vermittelten den Zugang zu den Familiengemächern, die unregelmäßig, aber
dem Bedürfniß angemessen hier und dort bald vorspringend, bald in der Tiefe
der Mauer angebracht waren und von den Fremden nicht betreten wurden.
Die minder reichen Classen beZNügten sich mit einer einzigen Betlkammer, an


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die Sorgfalt und Gründlichkeit des Deutschen bei Benutzung der Quellen
erreichen.

Wenn hier als Probe seiner Darstellung die Beschreibung eines pariser
Hauses im 13. Jahrhundert zugefügt wird, so sei zugleich bemerkt, daß grade
hierbei unser Wissen mangelhafter ist, als man glauben sollte, und daß
bei andern Abschnitten dem Verfasser reicheres Detail auch Gelegenheit zu
lebhafterer Beschreibung gab. Es empfiehlt sich in d. Bl. aber grade dieser
Abschnitt, weil die Häuser der größern Städte im westlichen Deutschland
damals fast dieselbe Einrichtung hatten.

„Das Bild eines pariser Bürgerhauses im dreizehnten Jahrhundert unter¬
scheidet sich von jenem eines Herrenhauses in mannigfachen und wesentlichen
Dingen, darin stimmten sie jedoch stets überein, daß die Familienräume von
den übrigen, zu welchen auch Fremde Zutritt hatten, streng geschieden blieben.
Wir denken uns als den Bewohner einen Handwerker, der gleichzeitig auch
den Verkauf der von ihm erzeugten Waaren besorgt, dessen Haus also nebst
der Wohnung noch die Werkstätte und das Kaufgewölbe in sich schließt.

Das letztere war frei gegen die Gasse gelegen und so eingerichtet, daß
sein Perschluß gleichzeitig als Schirmdach und Verkaufstisch diente. Von
den beiden Holzläden nämlich, welche die Krambuden zur Nachtzeit und an
Festtagen sperrten, öffnete sich der obere und untere in entgegengesetzter Rich¬
tung. Der erstere wurde halb aufgezogen, so daß er ein schräges Dach bildete
und Sonne und Regen abhielt, der andere auf die Fußbank niedergelassen
und auf ihm sodann die Waare vor dem Kunden, der stets außen auf der
Straße blieb, ausgebreitet. Im Hintergrunde der Krambude befand sich die
Werkstätte, das ouvroii-, von'welchem zuweilen eine Treppe in das obere
Geschoß, so wie in den Keller führte. Unmittelbar von der Straße gelangte
man über Flur und Treppe zu den Wohnungsräumen, und zwar zunächst
zum Saale, welcher die Familie bei dem Schmause vereinigte und zur Be¬
grüßung der Gäste diente. Nur in vornehmeren Häusern gab es eine beson¬
dere Küche; sie lag in einem Hofbaue und besaß gleichfalls eine abgesonderte
Treppe. Hier zählte man überhaupt mehr Räumlichkeiten. Zum Umkreise
des Palastes gehörten Garten und Hof mit den Stallungen und den Woh¬
nungen für Fremde und Diener. Vom Hauptthore führte der Weg unmittelbar
>n den großen Saal, wo sich die Vasallen versammelten, die Gelage abge¬
halten und das Recht gesprochen wurde. Versteckt angebrachte Wendeltreppen
vermittelten den Zugang zu den Familiengemächern, die unregelmäßig, aber
dem Bedürfniß angemessen hier und dort bald vorspringend, bald in der Tiefe
der Mauer angebracht waren und von den Fremden nicht betreten wurden.
Die minder reichen Classen beZNügten sich mit einer einzigen Betlkammer, an


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[0201] die Sorgfalt und Gründlichkeit des Deutschen bei Benutzung der Quellen erreichen. Wenn hier als Probe seiner Darstellung die Beschreibung eines pariser Hauses im 13. Jahrhundert zugefügt wird, so sei zugleich bemerkt, daß grade hierbei unser Wissen mangelhafter ist, als man glauben sollte, und daß bei andern Abschnitten dem Verfasser reicheres Detail auch Gelegenheit zu lebhafterer Beschreibung gab. Es empfiehlt sich in d. Bl. aber grade dieser Abschnitt, weil die Häuser der größern Städte im westlichen Deutschland damals fast dieselbe Einrichtung hatten. „Das Bild eines pariser Bürgerhauses im dreizehnten Jahrhundert unter¬ scheidet sich von jenem eines Herrenhauses in mannigfachen und wesentlichen Dingen, darin stimmten sie jedoch stets überein, daß die Familienräume von den übrigen, zu welchen auch Fremde Zutritt hatten, streng geschieden blieben. Wir denken uns als den Bewohner einen Handwerker, der gleichzeitig auch den Verkauf der von ihm erzeugten Waaren besorgt, dessen Haus also nebst der Wohnung noch die Werkstätte und das Kaufgewölbe in sich schließt. Das letztere war frei gegen die Gasse gelegen und so eingerichtet, daß sein Perschluß gleichzeitig als Schirmdach und Verkaufstisch diente. Von den beiden Holzläden nämlich, welche die Krambuden zur Nachtzeit und an Festtagen sperrten, öffnete sich der obere und untere in entgegengesetzter Rich¬ tung. Der erstere wurde halb aufgezogen, so daß er ein schräges Dach bildete und Sonne und Regen abhielt, der andere auf die Fußbank niedergelassen und auf ihm sodann die Waare vor dem Kunden, der stets außen auf der Straße blieb, ausgebreitet. Im Hintergrunde der Krambude befand sich die Werkstätte, das ouvroii-, von'welchem zuweilen eine Treppe in das obere Geschoß, so wie in den Keller führte. Unmittelbar von der Straße gelangte man über Flur und Treppe zu den Wohnungsräumen, und zwar zunächst zum Saale, welcher die Familie bei dem Schmause vereinigte und zur Be¬ grüßung der Gäste diente. Nur in vornehmeren Häusern gab es eine beson¬ dere Küche; sie lag in einem Hofbaue und besaß gleichfalls eine abgesonderte Treppe. Hier zählte man überhaupt mehr Räumlichkeiten. Zum Umkreise des Palastes gehörten Garten und Hof mit den Stallungen und den Woh¬ nungen für Fremde und Diener. Vom Hauptthore führte der Weg unmittelbar >n den großen Saal, wo sich die Vasallen versammelten, die Gelage abge¬ halten und das Recht gesprochen wurde. Versteckt angebrachte Wendeltreppen vermittelten den Zugang zu den Familiengemächern, die unregelmäßig, aber dem Bedürfniß angemessen hier und dort bald vorspringend, bald in der Tiefe der Mauer angebracht waren und von den Fremden nicht betreten wurden. Die minder reichen Classen beZNügten sich mit einer einzigen Betlkammer, an Grenzboten. I. -I8Ü7. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/201>, abgerufen am 25.08.2024.