Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

höchsten Geistern der Nation wie durch lange Muße verwöhnte Mann, in
einer fast unausgesetzten politischen Thätigkeit als Mithandelnder an den größten
Weltereignissen lebte. Er wurde als Cultusminister nach Berlin berufen, die Univer¬
sität Berlin ward unter seinen Auspicien gegründet, er wurde Gesandter in Wien,
war während der Freiheitskriege als Diplomat thätig, dann mit Hardenberg
Vertreter Preußens auf dem wiener Kongreß und beim zweiten pariser Frie¬
den. Als nach dem Frieden die Reaction eintrat, trennte er sich von Harden-
berg, der ihn fürchtete; wurde eine kurze Zeit Gesandter in London, und trat
noch einmal in das Ministerium, als die Verfassungsfrage aufgenommen wer¬
den sollte. Nach den Demokratenverfolgungen und karlsbader Konferenzen
paßte er nicht mehr für den preußischen Staatsdienst, und jetzt hatte er ein
Recht, aus ihm zu scheiden. Er löste sich von der Politik wie von einer lästi¬
gen Verpflichtung. Während dieser ganzen Zeit macht Humboldt einen eigen¬
thümlichen und wahrhaft wunderbaren Eindruck. Er trat nicht völlig vorgebildet '
in seine großartige politische Thätigkeit. Seine lange Ruhe hatte ihm das
nicht geben können, was auch der größten Kraft-nur durch frühe Gewöhnung
an die Geschäfte zu Theil wird, die Zähigkeit, Geschmeidigkeit und das rast¬
lose Behagen am Feilschen und Handeln; und daß er diese Eigenschaften nicht
besaß, ist für Preußen vielleicht bei den Friedensverhandlungen nachtheilig gewesen.
Aber er brachte doch mit, was alle andern Diplomaten in geringerm Grade
besaßen, eine ungeheure Arbeitskraft, Scharfsinn und eine Subtilität der Dia¬
lektik, die ihn zu einem furchtbaren Gegner machten. Vor allem eine Hoheit
des Geistes, sehr geneigt, in den humanster Formen die eigne Überlegenheit
fühlen zu lassen, wo es nöthig war. So schritt er durch die Conferenzsäle wie
ein Fürst, der sich herabläßt, einmal die Handgriffe eines gewöhnlichen Sol¬
daten durchzumachen. Die Welt, in welcher er vorher gelebt hatte, die Götter
Griechenlands und seine philosophischen und sprachlichen Studien hatten ihn
vollständig gefeit gegen das Jmponirende und Verwirrende der Staatsactionen,
durch welche daS Schicksal Europas bestimmt wurde. Ihm selbst kam das
freilich mehr zu Gute, als dem Staat, den er vertrat. Immer kämpfte er, von
Hardenberg schlecht unterstützt, ja verrathen, tapfer für Preußens Recht, aber
wenn er durch seine unwiderstehliche Logik und durch alle Waffen eines edeln
und freien Geistes seine Gegner gedemüthigt hatte, dann lag ihm nach dem
Sieg in der Debatte vielleicht die Hauptsache, der Sieg in der Sache selbst,
zu wenig am Herzen. Doch ist uns nicht möglich, daS innere Getriebe
im Abschluß des großen europäischen Friedens und in der darauf folgenden
Restauration vollständig zu übersehen; auch was wir von Humbo-ldtS Thätig¬
keit wissen, genügt nicht, um das Urtheil überall sicherzustellen, und wenn der
Verfasser der Biographie irgendwo Ursache hatte, die Unvollständigkeit seiner
Quellen zu bedauern, so war es bei diesem Theile seines Werks.


höchsten Geistern der Nation wie durch lange Muße verwöhnte Mann, in
einer fast unausgesetzten politischen Thätigkeit als Mithandelnder an den größten
Weltereignissen lebte. Er wurde als Cultusminister nach Berlin berufen, die Univer¬
sität Berlin ward unter seinen Auspicien gegründet, er wurde Gesandter in Wien,
war während der Freiheitskriege als Diplomat thätig, dann mit Hardenberg
Vertreter Preußens auf dem wiener Kongreß und beim zweiten pariser Frie¬
den. Als nach dem Frieden die Reaction eintrat, trennte er sich von Harden-
berg, der ihn fürchtete; wurde eine kurze Zeit Gesandter in London, und trat
noch einmal in das Ministerium, als die Verfassungsfrage aufgenommen wer¬
den sollte. Nach den Demokratenverfolgungen und karlsbader Konferenzen
paßte er nicht mehr für den preußischen Staatsdienst, und jetzt hatte er ein
Recht, aus ihm zu scheiden. Er löste sich von der Politik wie von einer lästi¬
gen Verpflichtung. Während dieser ganzen Zeit macht Humboldt einen eigen¬
thümlichen und wahrhaft wunderbaren Eindruck. Er trat nicht völlig vorgebildet '
in seine großartige politische Thätigkeit. Seine lange Ruhe hatte ihm das
nicht geben können, was auch der größten Kraft-nur durch frühe Gewöhnung
an die Geschäfte zu Theil wird, die Zähigkeit, Geschmeidigkeit und das rast¬
lose Behagen am Feilschen und Handeln; und daß er diese Eigenschaften nicht
besaß, ist für Preußen vielleicht bei den Friedensverhandlungen nachtheilig gewesen.
Aber er brachte doch mit, was alle andern Diplomaten in geringerm Grade
besaßen, eine ungeheure Arbeitskraft, Scharfsinn und eine Subtilität der Dia¬
lektik, die ihn zu einem furchtbaren Gegner machten. Vor allem eine Hoheit
des Geistes, sehr geneigt, in den humanster Formen die eigne Überlegenheit
fühlen zu lassen, wo es nöthig war. So schritt er durch die Conferenzsäle wie
ein Fürst, der sich herabläßt, einmal die Handgriffe eines gewöhnlichen Sol¬
daten durchzumachen. Die Welt, in welcher er vorher gelebt hatte, die Götter
Griechenlands und seine philosophischen und sprachlichen Studien hatten ihn
vollständig gefeit gegen das Jmponirende und Verwirrende der Staatsactionen,
durch welche daS Schicksal Europas bestimmt wurde. Ihm selbst kam das
freilich mehr zu Gute, als dem Staat, den er vertrat. Immer kämpfte er, von
Hardenberg schlecht unterstützt, ja verrathen, tapfer für Preußens Recht, aber
wenn er durch seine unwiderstehliche Logik und durch alle Waffen eines edeln
und freien Geistes seine Gegner gedemüthigt hatte, dann lag ihm nach dem
Sieg in der Debatte vielleicht die Hauptsache, der Sieg in der Sache selbst,
zu wenig am Herzen. Doch ist uns nicht möglich, daS innere Getriebe
im Abschluß des großen europäischen Friedens und in der darauf folgenden
Restauration vollständig zu übersehen; auch was wir von Humbo-ldtS Thätig¬
keit wissen, genügt nicht, um das Urtheil überall sicherzustellen, und wenn der
Verfasser der Biographie irgendwo Ursache hatte, die Unvollständigkeit seiner
Quellen zu bedauern, so war es bei diesem Theile seines Werks.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102693"/>
          <p xml:id="ID_311" prev="#ID_310"> höchsten Geistern der Nation wie durch lange Muße verwöhnte Mann, in<lb/>
einer fast unausgesetzten politischen Thätigkeit als Mithandelnder an den größten<lb/>
Weltereignissen lebte. Er wurde als Cultusminister nach Berlin berufen, die Univer¬<lb/>
sität Berlin ward unter seinen Auspicien gegründet, er wurde Gesandter in Wien,<lb/>
war während der Freiheitskriege als Diplomat thätig, dann mit Hardenberg<lb/>
Vertreter Preußens auf dem wiener Kongreß und beim zweiten pariser Frie¬<lb/>
den. Als nach dem Frieden die Reaction eintrat, trennte er sich von Harden-<lb/>
berg, der ihn fürchtete; wurde eine kurze Zeit Gesandter in London, und trat<lb/>
noch einmal in das Ministerium, als die Verfassungsfrage aufgenommen wer¬<lb/>
den sollte. Nach den Demokratenverfolgungen und karlsbader Konferenzen<lb/>
paßte er nicht mehr für den preußischen Staatsdienst, und jetzt hatte er ein<lb/>
Recht, aus ihm zu scheiden. Er löste sich von der Politik wie von einer lästi¬<lb/>
gen Verpflichtung. Während dieser ganzen Zeit macht Humboldt einen eigen¬<lb/>
thümlichen und wahrhaft wunderbaren Eindruck. Er trat nicht völlig vorgebildet '<lb/>
in seine großartige politische Thätigkeit. Seine lange Ruhe hatte ihm das<lb/>
nicht geben können, was auch der größten Kraft-nur durch frühe Gewöhnung<lb/>
an die Geschäfte zu Theil wird, die Zähigkeit, Geschmeidigkeit und das rast¬<lb/>
lose Behagen am Feilschen und Handeln; und daß er diese Eigenschaften nicht<lb/>
besaß, ist für Preußen vielleicht bei den Friedensverhandlungen nachtheilig gewesen.<lb/>
Aber er brachte doch mit, was alle andern Diplomaten in geringerm Grade<lb/>
besaßen, eine ungeheure Arbeitskraft, Scharfsinn und eine Subtilität der Dia¬<lb/>
lektik, die ihn zu einem furchtbaren Gegner machten. Vor allem eine Hoheit<lb/>
des Geistes, sehr geneigt, in den humanster Formen die eigne Überlegenheit<lb/>
fühlen zu lassen, wo es nöthig war. So schritt er durch die Conferenzsäle wie<lb/>
ein Fürst, der sich herabläßt, einmal die Handgriffe eines gewöhnlichen Sol¬<lb/>
daten durchzumachen. Die Welt, in welcher er vorher gelebt hatte, die Götter<lb/>
Griechenlands und seine philosophischen und sprachlichen Studien hatten ihn<lb/>
vollständig gefeit gegen das Jmponirende und Verwirrende der Staatsactionen,<lb/>
durch welche daS Schicksal Europas bestimmt wurde. Ihm selbst kam das<lb/>
freilich mehr zu Gute, als dem Staat, den er vertrat. Immer kämpfte er, von<lb/>
Hardenberg schlecht unterstützt, ja verrathen, tapfer für Preußens Recht, aber<lb/>
wenn er durch seine unwiderstehliche Logik und durch alle Waffen eines edeln<lb/>
und freien Geistes seine Gegner gedemüthigt hatte, dann lag ihm nach dem<lb/>
Sieg in der Debatte vielleicht die Hauptsache, der Sieg in der Sache selbst,<lb/>
zu wenig am Herzen. Doch ist uns nicht möglich, daS innere Getriebe<lb/>
im Abschluß des großen europäischen Friedens und in der darauf folgenden<lb/>
Restauration vollständig zu übersehen; auch was wir von Humbo-ldtS Thätig¬<lb/>
keit wissen, genügt nicht, um das Urtheil überall sicherzustellen, und wenn der<lb/>
Verfasser der Biographie irgendwo Ursache hatte, die Unvollständigkeit seiner<lb/>
Quellen zu bedauern, so war es bei diesem Theile seines Werks.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] höchsten Geistern der Nation wie durch lange Muße verwöhnte Mann, in einer fast unausgesetzten politischen Thätigkeit als Mithandelnder an den größten Weltereignissen lebte. Er wurde als Cultusminister nach Berlin berufen, die Univer¬ sität Berlin ward unter seinen Auspicien gegründet, er wurde Gesandter in Wien, war während der Freiheitskriege als Diplomat thätig, dann mit Hardenberg Vertreter Preußens auf dem wiener Kongreß und beim zweiten pariser Frie¬ den. Als nach dem Frieden die Reaction eintrat, trennte er sich von Harden- berg, der ihn fürchtete; wurde eine kurze Zeit Gesandter in London, und trat noch einmal in das Ministerium, als die Verfassungsfrage aufgenommen wer¬ den sollte. Nach den Demokratenverfolgungen und karlsbader Konferenzen paßte er nicht mehr für den preußischen Staatsdienst, und jetzt hatte er ein Recht, aus ihm zu scheiden. Er löste sich von der Politik wie von einer lästi¬ gen Verpflichtung. Während dieser ganzen Zeit macht Humboldt einen eigen¬ thümlichen und wahrhaft wunderbaren Eindruck. Er trat nicht völlig vorgebildet ' in seine großartige politische Thätigkeit. Seine lange Ruhe hatte ihm das nicht geben können, was auch der größten Kraft-nur durch frühe Gewöhnung an die Geschäfte zu Theil wird, die Zähigkeit, Geschmeidigkeit und das rast¬ lose Behagen am Feilschen und Handeln; und daß er diese Eigenschaften nicht besaß, ist für Preußen vielleicht bei den Friedensverhandlungen nachtheilig gewesen. Aber er brachte doch mit, was alle andern Diplomaten in geringerm Grade besaßen, eine ungeheure Arbeitskraft, Scharfsinn und eine Subtilität der Dia¬ lektik, die ihn zu einem furchtbaren Gegner machten. Vor allem eine Hoheit des Geistes, sehr geneigt, in den humanster Formen die eigne Überlegenheit fühlen zu lassen, wo es nöthig war. So schritt er durch die Conferenzsäle wie ein Fürst, der sich herabläßt, einmal die Handgriffe eines gewöhnlichen Sol¬ daten durchzumachen. Die Welt, in welcher er vorher gelebt hatte, die Götter Griechenlands und seine philosophischen und sprachlichen Studien hatten ihn vollständig gefeit gegen das Jmponirende und Verwirrende der Staatsactionen, durch welche daS Schicksal Europas bestimmt wurde. Ihm selbst kam das freilich mehr zu Gute, als dem Staat, den er vertrat. Immer kämpfte er, von Hardenberg schlecht unterstützt, ja verrathen, tapfer für Preußens Recht, aber wenn er durch seine unwiderstehliche Logik und durch alle Waffen eines edeln und freien Geistes seine Gegner gedemüthigt hatte, dann lag ihm nach dem Sieg in der Debatte vielleicht die Hauptsache, der Sieg in der Sache selbst, zu wenig am Herzen. Doch ist uns nicht möglich, daS innere Getriebe im Abschluß des großen europäischen Friedens und in der darauf folgenden Restauration vollständig zu übersehen; auch was wir von Humbo-ldtS Thätig¬ keit wissen, genügt nicht, um das Urtheil überall sicherzustellen, und wenn der Verfasser der Biographie irgendwo Ursache hatte, die Unvollständigkeit seiner Quellen zu bedauern, so war es bei diesem Theile seines Werks.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/98>, abgerufen am 23.07.2024.