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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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zeichnet. Einige Wahrheit endlich kann man selbst den Betrachtungen nicht
absprechen, die er bei Gelegenheit der Vergleichung des süddeutschen und nord¬
deutschen Charakters über den Gesammtcharakter der Nation anstellt. Der
Deutsche, sagt er, stehe unparteiisch als der Beurtheiler und Beschauer aller
übrigen Nationen auf einem Standpunkt, von dem er sie alle übersehe' wäh¬
rend alle auf ihn zurückwirken; seine Bestimmung und gleichsam die Endabsicht
des deutschen Charakters sei ebendeshalb, eine Brücke zwischen der antiken und
der modernen Welt zu schlagen und eine Verbindung der Eigenthümlichkeiten
feiler und dieser in eine einzige Form hervorzubringen. Nicht blos von eigen¬
thümlich humboldtscher Färbung aber war diese Empfindung und dieser Begriff
deutschen Wesens: -- sie trugen nicht weniger die Farbe der Zeit." -- Doch "die
Sprache der Thatsachen ist eine mächtige Sprache. Ihr konnte sich auch Hum¬
boldt nicht verschließen. Seine andächtige Bewunderung der Kraft und Tiefe
deS deutschen Nationalgeistes ward übertäubt durch den Donner der Kanonen.
Er hatte früher nicht ein Wort des Unwillens über das Benehmen des ge-
flüchteten Kurfürsten von Mainz gehabt. Auch seine Wünsche für Preußen
und Deutschland hatten sich später nicht höher als auf Erhaltung deS Friedens
erhoben. Mit hundertmal größerem Interesse hatte er die Schöpfungen der
deutschen Dichter, als die Thorheiten der deutschen Politiker, die Schlechtig¬
keit der deutschen Regenten kritisirt; eS war ihm einer der liebsten Vorzüge sei¬
nes römischen Postens gewesen, mit diesen Dingen nichts zu thun zu haben.
Aber nun traf die Kunde der preußischen Niederlagen und Demüthigungen sein
Ohr. Nun gingen ihm die Leiden und Schicksale des Vaterlandes zu Herzen.
Nun erwehrte er sich weder des Schmerzes um den Sturz der preußischen
Macht noch des Nachdenkens über die Gründe eines so plötzlichen und schmäh¬
lichen Falles. "Wir alle sind unglücklich," so schrieb er um diese Zeit von
Rom aus an seine Jugendfreundin, Henriette Herz, "ich sage, wir alle, die
sonst ein froher und harmloser Kreis umschloß. Die Samen unsres Unglücks
lagen in unsrer damaligen Sorglosigkeit. Mir war seit lange vor dem Aus-
gang bange, und ich zitterte vor dem Augenblick der Entscheidung."

Ein Wunder freilich wäre es gewesen, wenn Humboldt, der Staatsmann,
auf einmal den theoretisch-ästhetischen Charakter seiner Bildung vergessen gemacht
hätte. Durch und durch idealistisch, es ist wahr, war seine Ansicht auch von
praktischem Wirken. Seine Philosophie des Handelns war, wie er sie in
jenem poetischen Glaubensbekenntniß während der spanischen Reise niedergelegt
hatte. Es war kantischer Transscendentalismus. Der Punkt, von dem aus
die Welt sittlich und praktisch bewegt werden könne, lag ihm, wie der, von
wo aus sie theoretisch und ästhetisch ergriffen werde, in dem "Schooß des wir¬
kenden Busens". Er dichtete ebenso, gerührt von der Erinnerung an das
Unglück seines Vaterlandes, in Albano:


zeichnet. Einige Wahrheit endlich kann man selbst den Betrachtungen nicht
absprechen, die er bei Gelegenheit der Vergleichung des süddeutschen und nord¬
deutschen Charakters über den Gesammtcharakter der Nation anstellt. Der
Deutsche, sagt er, stehe unparteiisch als der Beurtheiler und Beschauer aller
übrigen Nationen auf einem Standpunkt, von dem er sie alle übersehe' wäh¬
rend alle auf ihn zurückwirken; seine Bestimmung und gleichsam die Endabsicht
des deutschen Charakters sei ebendeshalb, eine Brücke zwischen der antiken und
der modernen Welt zu schlagen und eine Verbindung der Eigenthümlichkeiten
feiler und dieser in eine einzige Form hervorzubringen. Nicht blos von eigen¬
thümlich humboldtscher Färbung aber war diese Empfindung und dieser Begriff
deutschen Wesens: — sie trugen nicht weniger die Farbe der Zeit." — Doch „die
Sprache der Thatsachen ist eine mächtige Sprache. Ihr konnte sich auch Hum¬
boldt nicht verschließen. Seine andächtige Bewunderung der Kraft und Tiefe
deS deutschen Nationalgeistes ward übertäubt durch den Donner der Kanonen.
Er hatte früher nicht ein Wort des Unwillens über das Benehmen des ge-
flüchteten Kurfürsten von Mainz gehabt. Auch seine Wünsche für Preußen
und Deutschland hatten sich später nicht höher als auf Erhaltung deS Friedens
erhoben. Mit hundertmal größerem Interesse hatte er die Schöpfungen der
deutschen Dichter, als die Thorheiten der deutschen Politiker, die Schlechtig¬
keit der deutschen Regenten kritisirt; eS war ihm einer der liebsten Vorzüge sei¬
nes römischen Postens gewesen, mit diesen Dingen nichts zu thun zu haben.
Aber nun traf die Kunde der preußischen Niederlagen und Demüthigungen sein
Ohr. Nun gingen ihm die Leiden und Schicksale des Vaterlandes zu Herzen.
Nun erwehrte er sich weder des Schmerzes um den Sturz der preußischen
Macht noch des Nachdenkens über die Gründe eines so plötzlichen und schmäh¬
lichen Falles. „Wir alle sind unglücklich," so schrieb er um diese Zeit von
Rom aus an seine Jugendfreundin, Henriette Herz, „ich sage, wir alle, die
sonst ein froher und harmloser Kreis umschloß. Die Samen unsres Unglücks
lagen in unsrer damaligen Sorglosigkeit. Mir war seit lange vor dem Aus-
gang bange, und ich zitterte vor dem Augenblick der Entscheidung."

Ein Wunder freilich wäre es gewesen, wenn Humboldt, der Staatsmann,
auf einmal den theoretisch-ästhetischen Charakter seiner Bildung vergessen gemacht
hätte. Durch und durch idealistisch, es ist wahr, war seine Ansicht auch von
praktischem Wirken. Seine Philosophie des Handelns war, wie er sie in
jenem poetischen Glaubensbekenntniß während der spanischen Reise niedergelegt
hatte. Es war kantischer Transscendentalismus. Der Punkt, von dem aus
die Welt sittlich und praktisch bewegt werden könne, lag ihm, wie der, von
wo aus sie theoretisch und ästhetisch ergriffen werde, in dem „Schooß des wir¬
kenden Busens". Er dichtete ebenso, gerührt von der Erinnerung an das
Unglück seines Vaterlandes, in Albano:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/96>, abgerufen am 23.07.2024.