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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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trat er in der Aufklärungszeit Berlins aus dem Staatsdienst heraus in die Kreise
der Feinfühlenden und Jdealschaffenden, er selbst unter den "schönen Seelen"
die freiste und hochsinnigste. Schnell verband er sich den Besten, er wurde
allmälig der Freund und philologische Genosse Wolfs, der begeisterte Freund und
Beirath Schillers und Goethes. Und wie verschieden die waren, von denen er sich
angezogen fühlte, stets wußte er die Gefahren einer dilettirenden Hingebung
an fremde Geistesthätigkeit durch einen tiefen langathmigen Fleiß, und durch
ein unablässiges Prüfen und Beobachten seiner selbst zu vermeiden. So lebte
er auf dem Gut seiner Frau in Thüringen, bei Schiller in Jena, dann Jahre¬
lang auf Reisen durch Deutschland, nach Spanien, nach Rom, wo er als preu¬
ßischer Resident sich festsetzte; in dieser ganzen Periode weit eifriger, aufzu¬
nehmen, als zu schaffen, ein Virtuose des feinsten und geistvollsten Genusses.
Vortrefflich ist Hayms Schilderung seines Wesens in der Zeit, in welcher er
seine Jugendschrift "Ueber die Grenzen der Wirksamkeit des Staates" schrieb. --
"Alle Züge seines geistigen Charakters haben wir in seiner ersten Jugendschrift
wie in noch geschlossener Knospe beisammen. Die stark ausgeprägte Neigung
für individuelle Eigenthümlichkeit, die hohe Achtung für die Freiheit und für
die innere Würde des Menschen, die Tendenz zur Stärke und Festigkeit
des Charakters, verbunden mit der Tendenz zu universalistischer Bildung, die
gleichgewogene Hinneigung zu dem Alterthum in der Schönheit und pla¬
stischen Vollendung seiner Bildungen, und zu dem Geiste der neuen Zeit in
seiner Vielseitigkeit, seiner Bewußtheit und seinem Subjectivismus, die stark
hervortretende Sinnlichkeit, auf deren Spitze sich der sublimste Spiritualismus
erhebt, die Empsindungstiefe neben der Gedankenklarheit, der Geschmack für
den Epikuräismus neben einer stoischen Ader, die Beschäftigung mit politisch-
praktischen Fragen neben einer ganz ins Innerliche zurückgewandten, in Ideen
lebenden Gesinnung. So erscheint uns Humboldt, der Jüngling. Dem Jüng¬
ling aber blieb im Wesentlichen auch der Mann und der Greis treu. Noch
in den Sonetten seines Alters oder in den Briefen, welche er am Abend
seines Lebens an jene Freundin schrieb, die ihm zuerst in Pyrmont begegnet
war, finden sich Stimmungen und Ansichten ausgedrückt, die nur wie eine leise
Schattirung der Sätze aussehen, die seine Jugendschrift aufstellte. Dennoch
erfuhren alle Züge dieses vielseitigen Wesens eine Vertiefung, und die Gunst
des Schicksals war es, die ihm in verschiedenen Lebensperioden bald diese
bald jene Richtung in aller Breite und Ausführlichkeit zu verfolgen gestattete.
In dem Cultus des Schönen und in der bewundernden Liebe des Alterthums
sehen wir sein jugendliches Wesen sich für jetzt am meisten zusammennelimen.
Eben dies waren die Richtungen und Bahnen, in denen am Ende des Jahr¬
hunderts der deutsche Geist überhaupt, in der Flucht vor den praktischen In¬
teressen einer kümmerlichen Gegenwart sich erging. Auch Humboldt war in.


trat er in der Aufklärungszeit Berlins aus dem Staatsdienst heraus in die Kreise
der Feinfühlenden und Jdealschaffenden, er selbst unter den „schönen Seelen"
die freiste und hochsinnigste. Schnell verband er sich den Besten, er wurde
allmälig der Freund und philologische Genosse Wolfs, der begeisterte Freund und
Beirath Schillers und Goethes. Und wie verschieden die waren, von denen er sich
angezogen fühlte, stets wußte er die Gefahren einer dilettirenden Hingebung
an fremde Geistesthätigkeit durch einen tiefen langathmigen Fleiß, und durch
ein unablässiges Prüfen und Beobachten seiner selbst zu vermeiden. So lebte
er auf dem Gut seiner Frau in Thüringen, bei Schiller in Jena, dann Jahre¬
lang auf Reisen durch Deutschland, nach Spanien, nach Rom, wo er als preu¬
ßischer Resident sich festsetzte; in dieser ganzen Periode weit eifriger, aufzu¬
nehmen, als zu schaffen, ein Virtuose des feinsten und geistvollsten Genusses.
Vortrefflich ist Hayms Schilderung seines Wesens in der Zeit, in welcher er
seine Jugendschrift „Ueber die Grenzen der Wirksamkeit des Staates" schrieb. —
„Alle Züge seines geistigen Charakters haben wir in seiner ersten Jugendschrift
wie in noch geschlossener Knospe beisammen. Die stark ausgeprägte Neigung
für individuelle Eigenthümlichkeit, die hohe Achtung für die Freiheit und für
die innere Würde des Menschen, die Tendenz zur Stärke und Festigkeit
des Charakters, verbunden mit der Tendenz zu universalistischer Bildung, die
gleichgewogene Hinneigung zu dem Alterthum in der Schönheit und pla¬
stischen Vollendung seiner Bildungen, und zu dem Geiste der neuen Zeit in
seiner Vielseitigkeit, seiner Bewußtheit und seinem Subjectivismus, die stark
hervortretende Sinnlichkeit, auf deren Spitze sich der sublimste Spiritualismus
erhebt, die Empsindungstiefe neben der Gedankenklarheit, der Geschmack für
den Epikuräismus neben einer stoischen Ader, die Beschäftigung mit politisch-
praktischen Fragen neben einer ganz ins Innerliche zurückgewandten, in Ideen
lebenden Gesinnung. So erscheint uns Humboldt, der Jüngling. Dem Jüng¬
ling aber blieb im Wesentlichen auch der Mann und der Greis treu. Noch
in den Sonetten seines Alters oder in den Briefen, welche er am Abend
seines Lebens an jene Freundin schrieb, die ihm zuerst in Pyrmont begegnet
war, finden sich Stimmungen und Ansichten ausgedrückt, die nur wie eine leise
Schattirung der Sätze aussehen, die seine Jugendschrift aufstellte. Dennoch
erfuhren alle Züge dieses vielseitigen Wesens eine Vertiefung, und die Gunst
des Schicksals war es, die ihm in verschiedenen Lebensperioden bald diese
bald jene Richtung in aller Breite und Ausführlichkeit zu verfolgen gestattete.
In dem Cultus des Schönen und in der bewundernden Liebe des Alterthums
sehen wir sein jugendliches Wesen sich für jetzt am meisten zusammennelimen.
Eben dies waren die Richtungen und Bahnen, in denen am Ende des Jahr¬
hunderts der deutsche Geist überhaupt, in der Flucht vor den praktischen In¬
teressen einer kümmerlichen Gegenwart sich erging. Auch Humboldt war in.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/94>, abgerufen am 23.07.2024.