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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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thia. Die Magdalena fehlt. Ist diese Gruppe auch etwas zu gedrängt, so
zieht sie doch an durch die Milde der Auffassung.

Tenerani ist etwa SO Jahre alt; das lange graue Haar, die schwarzen
Brauen, die seine, gebogene Nase vollenden bei ihm das Urbild eines echten
Jtalieners.

Von Bienaimss Arbeiten sahen wir nichts. Er ist ebenfalls Schüler
von Thorwaldsen.

Dagegen haben wir Tadolini, den Nachfolger Canovas, nicht unbesucht
lassen wollen. Aehnlich den alten Künstlerfamilien Italiens, von denen uns
Vasari so manche Geschlechtsregister aufbewahrt hat, sehen wir hier nicht
weniger als drei Söhne des alten Meisters um ihn beschäftigt. Eine große
Menge Schüler und Arbeiter füllen die vielen Räume des Ateliers. In der
Mitte das 41 Palm hohe Reiterbild des nämlichen Bolivar, der uns schon
in Teneranis Werkstatt begegnete. DaS Pferd galoppirt und so stützt sich das
Bild auf die Hintersüße und den Schweif des Thiers. Der Reiter hat den
Hut grüßend in der Hand. Während wir dies schreiben, ist man in München
mit dem Bronzegüsse dieses kolossalen Werks beschäftigt. Der Ort seiner
letzten Bestimmung ist der Marktplatz Linas und zwölf Marmorbilder als
Allegorien ebenso vieler Monate sollen das Reiterbild im weiten Kreise um¬
geben. Das Ganze wird sich erst an Ort und Stelle übersehen und beurtheilen
lassen. Wir fanden in den Einzelnheiten nichts, was einer glücklichen Wir¬
kung bedenklich im Wege zu stehen schien.

Unter den übrigen Arbeiten Tadolinis verdient die Nymphe Digma,
angebliche Erfinderin des Fischnetzes, Erwähnung, da sie bereits die siebente
Copie erlebte, und den Namen des Künstlers unter Dilettanten und Liebhabern
besonders populär machte. Sie ist venusartig, nur unten bekleidet und steht
mit dem Stumpf einer Angelruthe in der Hand. Zu ihren Füßen das Netz,
welches ihre Berühmtheit ausmacht. Es ist mit vielen kunstreichen Maschen
gearbeitet, zwar nur das Werk rein technischen Fleißes, aber, weil in Marmor,
dennoch bestechend. Eine ranzende Bacchantin mit Amor als Lyraspieler ist
völlig im canovaschen Geschick und von der besten Wirkung; ebenso hat
die liegende Esmeralda mit der Ziege viel Graziöses. Dagegen verliert die
canovasche florentiner Venus, welche Tadolini copirte, durch den von
letzterem hinzugefügten schelmisch lauschenden Amor die letzte Spur von Naivetät.
Er behauptet zwar, Cano v a habe immer einen solchen Zusatz selbst beabsichtigt,
doch da diesen sein guter Stern davor bewahrte, sollte der Schüler sich ge¬
hütet haben, dies Zeugniß entschiedenen Geschmacks für Ueberladung sich selbst
auszustellen. Es scheint sonst der thorwaldsensche Geist größerer Einfachheit
an andern Werken Tadolinis nicht spurlos vörübergewcht zu sein. ' Sie tragen
zwar das Gepräge der Nachahmung, doch halten sie sich von jener Süßlichkeit


thia. Die Magdalena fehlt. Ist diese Gruppe auch etwas zu gedrängt, so
zieht sie doch an durch die Milde der Auffassung.

Tenerani ist etwa SO Jahre alt; das lange graue Haar, die schwarzen
Brauen, die seine, gebogene Nase vollenden bei ihm das Urbild eines echten
Jtalieners.

Von Bienaimss Arbeiten sahen wir nichts. Er ist ebenfalls Schüler
von Thorwaldsen.

Dagegen haben wir Tadolini, den Nachfolger Canovas, nicht unbesucht
lassen wollen. Aehnlich den alten Künstlerfamilien Italiens, von denen uns
Vasari so manche Geschlechtsregister aufbewahrt hat, sehen wir hier nicht
weniger als drei Söhne des alten Meisters um ihn beschäftigt. Eine große
Menge Schüler und Arbeiter füllen die vielen Räume des Ateliers. In der
Mitte das 41 Palm hohe Reiterbild des nämlichen Bolivar, der uns schon
in Teneranis Werkstatt begegnete. DaS Pferd galoppirt und so stützt sich das
Bild auf die Hintersüße und den Schweif des Thiers. Der Reiter hat den
Hut grüßend in der Hand. Während wir dies schreiben, ist man in München
mit dem Bronzegüsse dieses kolossalen Werks beschäftigt. Der Ort seiner
letzten Bestimmung ist der Marktplatz Linas und zwölf Marmorbilder als
Allegorien ebenso vieler Monate sollen das Reiterbild im weiten Kreise um¬
geben. Das Ganze wird sich erst an Ort und Stelle übersehen und beurtheilen
lassen. Wir fanden in den Einzelnheiten nichts, was einer glücklichen Wir¬
kung bedenklich im Wege zu stehen schien.

Unter den übrigen Arbeiten Tadolinis verdient die Nymphe Digma,
angebliche Erfinderin des Fischnetzes, Erwähnung, da sie bereits die siebente
Copie erlebte, und den Namen des Künstlers unter Dilettanten und Liebhabern
besonders populär machte. Sie ist venusartig, nur unten bekleidet und steht
mit dem Stumpf einer Angelruthe in der Hand. Zu ihren Füßen das Netz,
welches ihre Berühmtheit ausmacht. Es ist mit vielen kunstreichen Maschen
gearbeitet, zwar nur das Werk rein technischen Fleißes, aber, weil in Marmor,
dennoch bestechend. Eine ranzende Bacchantin mit Amor als Lyraspieler ist
völlig im canovaschen Geschick und von der besten Wirkung; ebenso hat
die liegende Esmeralda mit der Ziege viel Graziöses. Dagegen verliert die
canovasche florentiner Venus, welche Tadolini copirte, durch den von
letzterem hinzugefügten schelmisch lauschenden Amor die letzte Spur von Naivetät.
Er behauptet zwar, Cano v a habe immer einen solchen Zusatz selbst beabsichtigt,
doch da diesen sein guter Stern davor bewahrte, sollte der Schüler sich ge¬
hütet haben, dies Zeugniß entschiedenen Geschmacks für Ueberladung sich selbst
auszustellen. Es scheint sonst der thorwaldsensche Geist größerer Einfachheit
an andern Werken Tadolinis nicht spurlos vörübergewcht zu sein. ' Sie tragen
zwar das Gepräge der Nachahmung, doch halten sie sich von jener Süßlichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/77>, abgerufen am 23.07.2024.