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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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bewilligten Reserve von 80,000 Mann, den sogenannten Provinzialmilizcn,
die im Fall der Noth berufen werden sollten. Trotzdem war bis zur Ergän¬
zung der entlassenen Mannschaften und der Einübung der Neueingezogenen
die Situation nicht gefahrlos.

Der Anfang des Jahres brachte eine wichtige Veränderung in die
Zusammensetzung des Cabinets, deren weitreichende Folgen die Revolution in
ein neues Stadium treten ließen. Das bisherige Finanzsystem erwies sich
nach Aufhebung der Consumos bald als unhaltbar. Als einzigen Ersatz, um
nebst der Einführung neuer Ersparnisse den Ausfall des nächsten Quartals
zu decken, hatten die Cortes eine Anleihe von 40 Millionen Realen bewilligt.
Dies klägliche Palliativmittel -- in Wirklichkeit nichts Anderes, als eine Ver¬
mehrung der schwebenden Schuld d. h. des an den öffentlichen Einkünften
fressenden Krebses -- stieß außerdem noch in seiner Durchführung auf nicht
geringe Schwierigkeiten. Die Creditlostgkeit des Staatsschatzes war so groß,
daß Sevillano sich schließlich den nachtheiligsten Bedingungen unterwarf, und
die Realisirung dieser unbedeutenden Summen bnichte die trostlose Lage der
Finanzen im Allgemeinen nicht um einen Schritt vorwärts. Das klaffende
Deficit, welches die Aufhebung der Consumos in das Gleichgewicht der Ein¬
nahmen und Ausgaben gerissen, schnitt jede Aussicht ab, die schwebende Schuld
durch eine größere Anleihe zu tilgen. Im Gegentheil, sie mußte unfehlbar
wachsen und einem unvermeidlichen, nahen Bankerott entgegenführen. Nur
heroische Mittel konnten unter solchen Umständen helfen und Sevillano, der
Mann kleinlicher ErpedientS, trat vor dieser Nothwendigkeit zurück. In die¬
sem Äußersten trug Espartero Madoz das Portefeuille der Finanzen an. -Der
Präsident der Cortes genoß durch seine literarischen Leistungen auf diesem
Gebiete eines hohen Rufes in Spanien, und man glaubte, daß es seit lange
sein höchster Ehrgeiz sei, seine Ideen praktisch zu bethätigen. Trotzdem mochte
eS kein geringes Opfer für ihn sein, den Vorsitz einer souveränen Versamm¬
lung aufzugeben und damit eine imponirende, über den Parteien befindliche
Stellung gegen einen Posten zu vertauschen, der neben einer Last von Arbeit
und Sorge ihn den gehässigsten Angriffet, blosstettte. Doch Madoz war von
dem Schlage, wenn ein Appell an seine Thatkraft und Vaterlandsliebe ge¬
macht wurde, selbst vor der undankbarsten Aufgabe nicht zurückzuschrecken, und
in diesem Falle darf man annehmen, daß die Erfüllung seines langgenährten,
glühendsten Wunsches ihm das Opfer leicht machte. Ja es scheint, daß, als
er der Aufhebung der Consumos seine Stimme gab, -- die er mehr, als ir¬
gend ein anderer durch das Gewicht seines Ansehens und seiner Stellung
hätte verhindern können -- er nicht unabsichtlich einen Gang der Dinge be¬
förderte, der die Leitung der Finanzen in seine Hände zu bringen verhieß.
War dies wirklich der Fall, so rächte sich seine Handlungsweise an ihm, denn


bewilligten Reserve von 80,000 Mann, den sogenannten Provinzialmilizcn,
die im Fall der Noth berufen werden sollten. Trotzdem war bis zur Ergän¬
zung der entlassenen Mannschaften und der Einübung der Neueingezogenen
die Situation nicht gefahrlos.

Der Anfang des Jahres brachte eine wichtige Veränderung in die
Zusammensetzung des Cabinets, deren weitreichende Folgen die Revolution in
ein neues Stadium treten ließen. Das bisherige Finanzsystem erwies sich
nach Aufhebung der Consumos bald als unhaltbar. Als einzigen Ersatz, um
nebst der Einführung neuer Ersparnisse den Ausfall des nächsten Quartals
zu decken, hatten die Cortes eine Anleihe von 40 Millionen Realen bewilligt.
Dies klägliche Palliativmittel — in Wirklichkeit nichts Anderes, als eine Ver¬
mehrung der schwebenden Schuld d. h. des an den öffentlichen Einkünften
fressenden Krebses — stieß außerdem noch in seiner Durchführung auf nicht
geringe Schwierigkeiten. Die Creditlostgkeit des Staatsschatzes war so groß,
daß Sevillano sich schließlich den nachtheiligsten Bedingungen unterwarf, und
die Realisirung dieser unbedeutenden Summen bnichte die trostlose Lage der
Finanzen im Allgemeinen nicht um einen Schritt vorwärts. Das klaffende
Deficit, welches die Aufhebung der Consumos in das Gleichgewicht der Ein¬
nahmen und Ausgaben gerissen, schnitt jede Aussicht ab, die schwebende Schuld
durch eine größere Anleihe zu tilgen. Im Gegentheil, sie mußte unfehlbar
wachsen und einem unvermeidlichen, nahen Bankerott entgegenführen. Nur
heroische Mittel konnten unter solchen Umständen helfen und Sevillano, der
Mann kleinlicher ErpedientS, trat vor dieser Nothwendigkeit zurück. In die¬
sem Äußersten trug Espartero Madoz das Portefeuille der Finanzen an. -Der
Präsident der Cortes genoß durch seine literarischen Leistungen auf diesem
Gebiete eines hohen Rufes in Spanien, und man glaubte, daß es seit lange
sein höchster Ehrgeiz sei, seine Ideen praktisch zu bethätigen. Trotzdem mochte
eS kein geringes Opfer für ihn sein, den Vorsitz einer souveränen Versamm¬
lung aufzugeben und damit eine imponirende, über den Parteien befindliche
Stellung gegen einen Posten zu vertauschen, der neben einer Last von Arbeit
und Sorge ihn den gehässigsten Angriffet, blosstettte. Doch Madoz war von
dem Schlage, wenn ein Appell an seine Thatkraft und Vaterlandsliebe ge¬
macht wurde, selbst vor der undankbarsten Aufgabe nicht zurückzuschrecken, und
in diesem Falle darf man annehmen, daß die Erfüllung seines langgenährten,
glühendsten Wunsches ihm das Opfer leicht machte. Ja es scheint, daß, als
er der Aufhebung der Consumos seine Stimme gab, — die er mehr, als ir¬
gend ein anderer durch das Gewicht seines Ansehens und seiner Stellung
hätte verhindern können — er nicht unabsichtlich einen Gang der Dinge be¬
förderte, der die Leitung der Finanzen in seine Hände zu bringen verhieß.
War dies wirklich der Fall, so rächte sich seine Handlungsweise an ihm, denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/463>, abgerufen am 23.07.2024.