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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Masse folgte ihm unbedingt, und bei dem heftigen und plötzlichen Wechsel
seiner Ansichten in Beziehung auf die Korngesetze konnte er sich wenigstens
die Möglichkeit denken, die ganze Partei oder wenigstens den größern Theil
derselben mit sich fortzureißen, so wie er mit Ausnahme des Lords Stanley,
eines bekehrten Whig, alle ihre namhaften Führer mit sich fortgerissen hatte.
Vielleicht wäre die Sache in der That nicht unmöglich gewesen, er hatte sie
aber sehr erschwert durch die harte, schroffe Verschlossenheit, mit der er der
Masse gegenübertrat; und als sich nun dieser Masse, die von allen ihren
alten Vertretern verlassen war, in Lord Bentinck plötzlich und unerwar¬
tet ein sehr talentvoller Führer anbot, konnte die Reaction nicht aus¬
bleiben.

Peel hat lange Zeit für die Aristokratie gewirkt, er hat sich aber persönlich
stets von ihr geschieden. Er behielt bis an das Ende seines Lebens das stolze
Bewußtsein des Bürgerstandes, und es war noch sein Einfluß, als nach
seinem Tode seine Gemahlin für sich und ihre Kinder die Standeserhöhung
verschmähte, weil sie den historischen Namen Peel fortführen wollte; eine Rück¬
sicht, die bisher noch keinem Engländer eingefallen ist. Er ist auch nie ein
Hofmann gewesen; er fühlte sich nur wohl in der riesigen Arbeit seiner Staats-
geschäfte und seines Landlebens. Er ist nicht in dem Sinn ein großer Mann,
daß er ein neues Princip selbstständig in die Geschichte eingeführt hat, aber
er hat den nothwendigen Uebergang von der alten Zeit zur neuen mit dem
raschen Ergreifen deS richtigen Augenblicks und mit jener Verbindung von
Kühnheit und Besonnenheit durchgeführt, die den wahrhaft conservativen
Staatsmann, nicht jenes Zerrbild, das man gewöhnlich darunter versteht,
charakterisirt. Die Leidenschaft der Parteien wird sich allmälig beruhigen, daS
Volk wird sein Andenken bewahren, so lange es überhaupt in England histo¬
rische Erinnerungen gibt.

Guizot hat auf das lebhafteste das Gefühl dieser conservativen Bedeutung.
Er möchte in der Anknüpfung der neuen an die alte Zeit gern seinem Vorbild
nachahmen; er hat sein Vorhaben auch jetzt noch nicht aufgegeben, aber er
versucht es aus einem sonderbaren Wege. Er sucht, um die historische Mon¬
archie wieder herzustellen, eine Fusion zwischen den Dynastien und vergißt
dabei ganz, daß die Dynastien in Frankreich keine andere Bedeutung mehr
haben, als zu den Zeiten der Aork und Lancaster, daß von dem abstracten
Recht in Frankreich nicht mehr die Rede ist, und daß die Dynastien jetzt nur
noch die Träger der Parteien sind. An den Grafen von Chambord knüpft
sich die Idee der Avelö- und Pfaffenherrschaft, des Jesuitismus und der Choua-
nerie, an den Grafen von Paris die Idee des bürgerlichen Staats. Daß
Guizot zwischen diesen Ideen, zwischen dem Leben und dem Tode, eine Fusion
für möglich hält, zeigt aufs deutlichste, daß sein Begriff eines conservativen


Masse folgte ihm unbedingt, und bei dem heftigen und plötzlichen Wechsel
seiner Ansichten in Beziehung auf die Korngesetze konnte er sich wenigstens
die Möglichkeit denken, die ganze Partei oder wenigstens den größern Theil
derselben mit sich fortzureißen, so wie er mit Ausnahme des Lords Stanley,
eines bekehrten Whig, alle ihre namhaften Führer mit sich fortgerissen hatte.
Vielleicht wäre die Sache in der That nicht unmöglich gewesen, er hatte sie
aber sehr erschwert durch die harte, schroffe Verschlossenheit, mit der er der
Masse gegenübertrat; und als sich nun dieser Masse, die von allen ihren
alten Vertretern verlassen war, in Lord Bentinck plötzlich und unerwar¬
tet ein sehr talentvoller Führer anbot, konnte die Reaction nicht aus¬
bleiben.

Peel hat lange Zeit für die Aristokratie gewirkt, er hat sich aber persönlich
stets von ihr geschieden. Er behielt bis an das Ende seines Lebens das stolze
Bewußtsein des Bürgerstandes, und es war noch sein Einfluß, als nach
seinem Tode seine Gemahlin für sich und ihre Kinder die Standeserhöhung
verschmähte, weil sie den historischen Namen Peel fortführen wollte; eine Rück¬
sicht, die bisher noch keinem Engländer eingefallen ist. Er ist auch nie ein
Hofmann gewesen; er fühlte sich nur wohl in der riesigen Arbeit seiner Staats-
geschäfte und seines Landlebens. Er ist nicht in dem Sinn ein großer Mann,
daß er ein neues Princip selbstständig in die Geschichte eingeführt hat, aber
er hat den nothwendigen Uebergang von der alten Zeit zur neuen mit dem
raschen Ergreifen deS richtigen Augenblicks und mit jener Verbindung von
Kühnheit und Besonnenheit durchgeführt, die den wahrhaft conservativen
Staatsmann, nicht jenes Zerrbild, das man gewöhnlich darunter versteht,
charakterisirt. Die Leidenschaft der Parteien wird sich allmälig beruhigen, daS
Volk wird sein Andenken bewahren, so lange es überhaupt in England histo¬
rische Erinnerungen gibt.

Guizot hat auf das lebhafteste das Gefühl dieser conservativen Bedeutung.
Er möchte in der Anknüpfung der neuen an die alte Zeit gern seinem Vorbild
nachahmen; er hat sein Vorhaben auch jetzt noch nicht aufgegeben, aber er
versucht es aus einem sonderbaren Wege. Er sucht, um die historische Mon¬
archie wieder herzustellen, eine Fusion zwischen den Dynastien und vergißt
dabei ganz, daß die Dynastien in Frankreich keine andere Bedeutung mehr
haben, als zu den Zeiten der Aork und Lancaster, daß von dem abstracten
Recht in Frankreich nicht mehr die Rede ist, und daß die Dynastien jetzt nur
noch die Träger der Parteien sind. An den Grafen von Chambord knüpft
sich die Idee der Avelö- und Pfaffenherrschaft, des Jesuitismus und der Choua-
nerie, an den Grafen von Paris die Idee des bürgerlichen Staats. Daß
Guizot zwischen diesen Ideen, zwischen dem Leben und dem Tode, eine Fusion
für möglich hält, zeigt aufs deutlichste, daß sein Begriff eines conservativen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/439>, abgerufen am 23.07.2024.