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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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auf finanzielle Operationen, sondern auch auf gemeinnützige Unternehmungen
in demjenigen Staate wendete, der ihm so bereitwillig eine Heimatsstätte be-.
reitet hat. Selbst die projectirten und concessionirten Eisenbahnbauten, einerseits
von Darmstadt nach Aschaffenburg, andererseits nach Mainz scheinen noch in
weitem Felde zu stehen. Und immerhin bleiben sie vorübergehende Arbeiten
und beleben einen Theil des Landes, welcher verhältnißmäßig am wenigsten
von der Mißgunst der Zeitgestaltungen leidet. -- -- --

Wir haben Specialitäten berührt, welche minder allgemeinwichtig erscheinen'
mögen. Die Thatsachen sollten eigentlich auch vorzugsweise dazu dienen, den
Satz mit Beispielen zu belegen, daß die südwestdeutsche Auswanderung, so weit
sie durch materielle und sociale Verhältnisse bedingt ist, nirgend von einer
wirklichen Uebervölkerung, fast ebensowenig von absoluter Erwerblostgkeit und
einem Mißverhältnisse der Ernährungskräste ihrer Hauptsttze zu den Bevölke¬
rungsbedürfnissen gerechtfertigt ist. Vielmehr beruht ihr Anschwellen beinah
ausschließlich darauf, daß irgend ein Landstrich durch die Konstellationen der
modernen Verkehrs- und Erwerböentwicklungen zum Uebergange aus seinem
altgewohnte^ Schritte zu neuen Lebensthätigkeiten gedrängt wird, ohne den
Weg dafür auffinden zu können. In Baden und Würtemberg, wo ein Theil
dieses Ueberganges bereits zurückgelegt wurde und zugleich die Volksschulen
auch eine vorzügliche Ausbildung erlangten, kann in dieser Consequen; wol
angenommen werden, daß die Auswanderung mit dem Jahr 18ni ihren Höhen--
Punkt erreicht haben werde. Dies schließt nicht aus, daß sie unter besondern
Verhältnissen zeitweise wieder anschwellen kann. Auch zeigt die Auswanderungs¬
statistik, so weit sie zurückgeht, überall einen periodischen Wechsel zwischen Ebbe
und Flut. Aber was von diesen vorgeschritteneren Bevölkerungskreisen gilt,
kann nun nicht sofort als allgemeingiltige Norm auf ganz Süddeutschland
angewendet werden. Vielmehr erblicken wir in der Auswanderungsverminderung
des vorigen und jetzigen Jahres in Hessen und Nassau blos eine vorüber¬
gehende Ebbe. Ebenso in Rheinbaiern, wenn dort die bisherigen politischen
Zustände in der bisherigen Weise festgehalten werden.

Im Allgemeinen und Ganzen steht jedoch das Publicum des Mittel- und
Oberrheins einer Accommodation seines Lebens an die modernen Anforderungen
jedenfalls näher, als manche andere Gegenden Süddeutschlands. Die Haupt¬
quellen der süddeutschen Auswanderung werden sich vom Rheinufer voraus¬
sichtlich nach andern Landstrichen verlegen. Bereits seit mehren Jahren begann
denn auch aus dem Königreich Bau'ern, dabei vorwiegend aus den altbaierischen
Kreisen, eine so starke Auswanderung, wie man sie früher und nach dem
Naturell, wie nach den materiellen Verhältnissen dieses Publicums noch kurze
Zeit vorher kaum für möglich.gehalten hatte. Diese Erscheinung stimmt im


auf finanzielle Operationen, sondern auch auf gemeinnützige Unternehmungen
in demjenigen Staate wendete, der ihm so bereitwillig eine Heimatsstätte be-.
reitet hat. Selbst die projectirten und concessionirten Eisenbahnbauten, einerseits
von Darmstadt nach Aschaffenburg, andererseits nach Mainz scheinen noch in
weitem Felde zu stehen. Und immerhin bleiben sie vorübergehende Arbeiten
und beleben einen Theil des Landes, welcher verhältnißmäßig am wenigsten
von der Mißgunst der Zeitgestaltungen leidet. — — —

Wir haben Specialitäten berührt, welche minder allgemeinwichtig erscheinen'
mögen. Die Thatsachen sollten eigentlich auch vorzugsweise dazu dienen, den
Satz mit Beispielen zu belegen, daß die südwestdeutsche Auswanderung, so weit
sie durch materielle und sociale Verhältnisse bedingt ist, nirgend von einer
wirklichen Uebervölkerung, fast ebensowenig von absoluter Erwerblostgkeit und
einem Mißverhältnisse der Ernährungskräste ihrer Hauptsttze zu den Bevölke¬
rungsbedürfnissen gerechtfertigt ist. Vielmehr beruht ihr Anschwellen beinah
ausschließlich darauf, daß irgend ein Landstrich durch die Konstellationen der
modernen Verkehrs- und Erwerböentwicklungen zum Uebergange aus seinem
altgewohnte^ Schritte zu neuen Lebensthätigkeiten gedrängt wird, ohne den
Weg dafür auffinden zu können. In Baden und Würtemberg, wo ein Theil
dieses Ueberganges bereits zurückgelegt wurde und zugleich die Volksschulen
auch eine vorzügliche Ausbildung erlangten, kann in dieser Consequen; wol
angenommen werden, daß die Auswanderung mit dem Jahr 18ni ihren Höhen--
Punkt erreicht haben werde. Dies schließt nicht aus, daß sie unter besondern
Verhältnissen zeitweise wieder anschwellen kann. Auch zeigt die Auswanderungs¬
statistik, so weit sie zurückgeht, überall einen periodischen Wechsel zwischen Ebbe
und Flut. Aber was von diesen vorgeschritteneren Bevölkerungskreisen gilt,
kann nun nicht sofort als allgemeingiltige Norm auf ganz Süddeutschland
angewendet werden. Vielmehr erblicken wir in der Auswanderungsverminderung
des vorigen und jetzigen Jahres in Hessen und Nassau blos eine vorüber¬
gehende Ebbe. Ebenso in Rheinbaiern, wenn dort die bisherigen politischen
Zustände in der bisherigen Weise festgehalten werden.

Im Allgemeinen und Ganzen steht jedoch das Publicum des Mittel- und
Oberrheins einer Accommodation seines Lebens an die modernen Anforderungen
jedenfalls näher, als manche andere Gegenden Süddeutschlands. Die Haupt¬
quellen der süddeutschen Auswanderung werden sich vom Rheinufer voraus¬
sichtlich nach andern Landstrichen verlegen. Bereits seit mehren Jahren begann
denn auch aus dem Königreich Bau'ern, dabei vorwiegend aus den altbaierischen
Kreisen, eine so starke Auswanderung, wie man sie früher und nach dem
Naturell, wie nach den materiellen Verhältnissen dieses Publicums noch kurze
Zeit vorher kaum für möglich.gehalten hatte. Diese Erscheinung stimmt im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/39>, abgerufen am 23.07.2024.