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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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natürlichen Leibfarben. Kapellmeister verschreiben das Requiem an Mignon
aus dem Leihinstitnt, und können sogar das reichardtsche "Nach Sevilla, nach
Sevilla" Tage lang nicht aus dem Kopfe bringen. Musensöhne aller Art sieht
man gesenkten Hauptes die leersten Straßen durchwandern und tiefsinnigen
Betrachtungen über das Begeisternde eines Dahinschreitens auf Marmor- oder
gar Lavapflaster nachhängen. Ja, es gibt wohlgewachsene Leute, welche Fried¬
rich des Großen Versicherung: er gäbe gern eine Rippe hin, wenn er dafür
einen Ritt auf der Via Appia machen könnte, erst jetzt zu begreifen anfangen.

Während der Begünstigte des Glücks solche Verstimmungen, Nachtgedanken
und Seufzer in der Heimath hervorruft und selbst den Paßrevisoren, so oft
sie ihm nach Italien weiter Visiren, eine vorübergehende Beklemmung nicht
ersparen kann, steuert er frohen Muthes dem Ziele seiner Wünsche zu und
fühlt bei dem Wehen milderer Lüfte einen Reif nach dem andern von seiner
Brust sich lösen. Wie gern verliert er den letzten schwarzgelben Schlagbaum
aus den Augen und mit welcher Freude gewahrt er, daß des Südens Kinder
ihn verstehen, wenn er Vino und Birra auch noch nicht im rein toscanischen
Dialekt ausspricht.

Endlich erblickt er Rom. Ueber Ponte Molle führt sein Weg. Die
Niederlage des Marentius an dieser Stelle kümmert ihn wenig; er hat Ander¬
sens und Wenzels Schilderungen über die Ponte-Mollefeierlichkeit, über den
Bajaccoorden der römischen Künstler gelesen. Die Zeiten sind verändert, die
Feste haben aufgehört; er wird auf seine Weise von dem Ernst der ewigen
Stadt gefaßt, und rollt mit eines Marius würdigen Gedanken durch die ele¬
gante Porta del Popolo.

In der That, wenn es den alten Künstlern nicht wie alternden Leuten
überhaupt geht, die da so gern die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart
lobpreisen, so ist mit den Zeiten der Romantik der rechte Daseinsgenuß dem
römischen Künstler abhanden gekommen. Die Leute haben zu viel Firniß an¬
genommen; zu selten werden die Fälle, wo mehr als zwei die Eigenthums¬
rechte an einen Frack theilen; die biidungslose Jovialität des dänischen Phi-
dias unterstützt nicht mehr den studentischen Ton bei Pfeifen und Cigarren¬
qualm, der so manches Heimweh heilte. Man hat sich bis zur Gründung
eines förmlichen CassinoS aufgeschwungen, das an Pracht und Statllichkeit
allen Künstlersammelplätzen jenseit der Alpen spottet; man gibt Bälle und
Concerte mit Einführung, huldigt dem zahlungsfähigen Albion und seinen
marmor- und leinwandlüsternen Abkömmlingen jenseit des Oceans und ist im
Ganzen von der Idee zurückgekommen, daß der Umgang mit Ocker und Bim-
stein denjenigen mit der übrigen Welt überflüssig mache.

Eine Anzahl Grollender findet der neue Ankömmling natürlich vor. Ist
sein Zweck nicht, im Quartier-des Monte Pincio sein dauerndes Weltbürger-


natürlichen Leibfarben. Kapellmeister verschreiben das Requiem an Mignon
aus dem Leihinstitnt, und können sogar das reichardtsche „Nach Sevilla, nach
Sevilla" Tage lang nicht aus dem Kopfe bringen. Musensöhne aller Art sieht
man gesenkten Hauptes die leersten Straßen durchwandern und tiefsinnigen
Betrachtungen über das Begeisternde eines Dahinschreitens auf Marmor- oder
gar Lavapflaster nachhängen. Ja, es gibt wohlgewachsene Leute, welche Fried¬
rich des Großen Versicherung: er gäbe gern eine Rippe hin, wenn er dafür
einen Ritt auf der Via Appia machen könnte, erst jetzt zu begreifen anfangen.

Während der Begünstigte des Glücks solche Verstimmungen, Nachtgedanken
und Seufzer in der Heimath hervorruft und selbst den Paßrevisoren, so oft
sie ihm nach Italien weiter Visiren, eine vorübergehende Beklemmung nicht
ersparen kann, steuert er frohen Muthes dem Ziele seiner Wünsche zu und
fühlt bei dem Wehen milderer Lüfte einen Reif nach dem andern von seiner
Brust sich lösen. Wie gern verliert er den letzten schwarzgelben Schlagbaum
aus den Augen und mit welcher Freude gewahrt er, daß des Südens Kinder
ihn verstehen, wenn er Vino und Birra auch noch nicht im rein toscanischen
Dialekt ausspricht.

Endlich erblickt er Rom. Ueber Ponte Molle führt sein Weg. Die
Niederlage des Marentius an dieser Stelle kümmert ihn wenig; er hat Ander¬
sens und Wenzels Schilderungen über die Ponte-Mollefeierlichkeit, über den
Bajaccoorden der römischen Künstler gelesen. Die Zeiten sind verändert, die
Feste haben aufgehört; er wird auf seine Weise von dem Ernst der ewigen
Stadt gefaßt, und rollt mit eines Marius würdigen Gedanken durch die ele¬
gante Porta del Popolo.

In der That, wenn es den alten Künstlern nicht wie alternden Leuten
überhaupt geht, die da so gern die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart
lobpreisen, so ist mit den Zeiten der Romantik der rechte Daseinsgenuß dem
römischen Künstler abhanden gekommen. Die Leute haben zu viel Firniß an¬
genommen; zu selten werden die Fälle, wo mehr als zwei die Eigenthums¬
rechte an einen Frack theilen; die biidungslose Jovialität des dänischen Phi-
dias unterstützt nicht mehr den studentischen Ton bei Pfeifen und Cigarren¬
qualm, der so manches Heimweh heilte. Man hat sich bis zur Gründung
eines förmlichen CassinoS aufgeschwungen, das an Pracht und Statllichkeit
allen Künstlersammelplätzen jenseit der Alpen spottet; man gibt Bälle und
Concerte mit Einführung, huldigt dem zahlungsfähigen Albion und seinen
marmor- und leinwandlüsternen Abkömmlingen jenseit des Oceans und ist im
Ganzen von der Idee zurückgekommen, daß der Umgang mit Ocker und Bim-
stein denjenigen mit der übrigen Welt überflüssig mache.

Eine Anzahl Grollender findet der neue Ankömmling natürlich vor. Ist
sein Zweck nicht, im Quartier-des Monte Pincio sein dauerndes Weltbürger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/370>, abgerufen am 23.07.2024.