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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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hat, aber welcher politischen Richtung der ehrenwerthe Gelehrte angehört, daS
ist der Universität Greifswald ebenso wie dem deutschen Publicum durchaus
unbekannt geblieben. -- Ob der politische Charakter des schwedischen Kammer-
Herrn und Obersten Freiherrn von Wrede Anstoß geben konnte, dürfte
ebenfalls den deutschen Naturforschern schwer auszumachen sein, wie glänzend
auch seine Verdienste um Physik sein mögen. -- Der Oberlehrer des greifs-
waldcr Gymnasiums, Gardener aber, den das Diplom als einen "sorg¬
fältigen und gewissenhaften Lehrer" bezeichnet, ist wenigstens von der Kreuz¬
zeitung nicht denuncirt worden. Oder sollte etwa er der "demokratische Doc-
tor" der. Kreuzzeitung sein, der sich im Jahr 1848 wegen seines politische"
Treibens in Untersuchung befunden hat, und dessen Promotion das denun-
cirende Blatt nicht stark genug zu schmähen weiß? --

Vielleicht mag auch manches Mitglied der Facultät sich dies gefragt haben,
denn gewiß war es nicht ihre Aufgabe gewesen, politische Conduitenlisten zu
führen, zu kennen oder nur sich darnach zu erkundigen, aber bestimmt wird es
sich dann diese Frage auch verneint haben: denn Die wird man einen Mann
als Oberlehrer an einer öffentlichen Anstalt ruhig und in Frieden belassen,
der des philosophischen Doctortitels in einem solchen Maße unwürdig ist? --
Und doch ist der Stein des Anstoßes wirklich ein, wie von allen, Seiten ver¬
sichert wird, auch von seinen ehemaligen politischen Gegnern hochgeachteter,
im Staatsdienst stehender Oberlehrer an einem neuvorpommerschen Gymnasium,
ein Mann, der in der Nähe der Universität wirksam und ihr daher durch locale
Interessen nahegerückt, auch in weitern Kreisen durch literarische Leistungen auf dem
Gebiete der lateinischen Grammatik, wie durch cicervnische, taciteische, snetonische
Studien und Ausgaben bekannt ist/ der seit Jahren nur seinem Amte und seiner
Wissenschaft in anspruchloser Zurückgezogenheit lebt. Und wenn nun dieser Mann
in, der Facultät vorgeschlagen wurde, durfte dann auch nur ein Mitglied so
kleinlich, so engherzig sein, daß es seine wissenschaftlich, seine pädagogisch an¬
erkannte Tüchtigkeit zwar achselzuckend nicht zu leugne" wagte, aber ein Veto
einlegte, -- weil dieser geachtete Lehrer der Jugend und Schriftsteller vor acht
Jahren auch einmal zur demokratischen Partei gezählt worden ist? So klein
durfte die Facultät nicht denken und es bleibe der Kreuzzeitung überlassen,
ihren Zorn gegen diesen ehrenwerihen Mann zu schleudern. Aber freilich sie
läßt nicht undeutlich merken, daß er sich in Gesellschaft befinde, die zu ihm
passe. Welches sind die übrigen Namen? Keiner derselben ist ohne zum
Theil hervorragende Verdienste als Gelehrter oder als Lehrer. Zunächst lag
es der greifswalder Facultät ohne Zweifel nahe, einen Mann, der ihr selbst
seit kurzem durch seinen Uebertritt von der theologischen Facultät angehört
und der durch seine Symbolik als ein speculativer Kopf auf dem Gebiete
theologischer Forschung sich bewährt hat, auch zu ihrem Doctor zu machen,


hat, aber welcher politischen Richtung der ehrenwerthe Gelehrte angehört, daS
ist der Universität Greifswald ebenso wie dem deutschen Publicum durchaus
unbekannt geblieben. — Ob der politische Charakter des schwedischen Kammer-
Herrn und Obersten Freiherrn von Wrede Anstoß geben konnte, dürfte
ebenfalls den deutschen Naturforschern schwer auszumachen sein, wie glänzend
auch seine Verdienste um Physik sein mögen. — Der Oberlehrer des greifs-
waldcr Gymnasiums, Gardener aber, den das Diplom als einen „sorg¬
fältigen und gewissenhaften Lehrer" bezeichnet, ist wenigstens von der Kreuz¬
zeitung nicht denuncirt worden. Oder sollte etwa er der „demokratische Doc-
tor" der. Kreuzzeitung sein, der sich im Jahr 1848 wegen seines politische»
Treibens in Untersuchung befunden hat, und dessen Promotion das denun-
cirende Blatt nicht stark genug zu schmähen weiß? —

Vielleicht mag auch manches Mitglied der Facultät sich dies gefragt haben,
denn gewiß war es nicht ihre Aufgabe gewesen, politische Conduitenlisten zu
führen, zu kennen oder nur sich darnach zu erkundigen, aber bestimmt wird es
sich dann diese Frage auch verneint haben: denn Die wird man einen Mann
als Oberlehrer an einer öffentlichen Anstalt ruhig und in Frieden belassen,
der des philosophischen Doctortitels in einem solchen Maße unwürdig ist? —
Und doch ist der Stein des Anstoßes wirklich ein, wie von allen, Seiten ver¬
sichert wird, auch von seinen ehemaligen politischen Gegnern hochgeachteter,
im Staatsdienst stehender Oberlehrer an einem neuvorpommerschen Gymnasium,
ein Mann, der in der Nähe der Universität wirksam und ihr daher durch locale
Interessen nahegerückt, auch in weitern Kreisen durch literarische Leistungen auf dem
Gebiete der lateinischen Grammatik, wie durch cicervnische, taciteische, snetonische
Studien und Ausgaben bekannt ist/ der seit Jahren nur seinem Amte und seiner
Wissenschaft in anspruchloser Zurückgezogenheit lebt. Und wenn nun dieser Mann
in, der Facultät vorgeschlagen wurde, durfte dann auch nur ein Mitglied so
kleinlich, so engherzig sein, daß es seine wissenschaftlich, seine pädagogisch an¬
erkannte Tüchtigkeit zwar achselzuckend nicht zu leugne» wagte, aber ein Veto
einlegte, — weil dieser geachtete Lehrer der Jugend und Schriftsteller vor acht
Jahren auch einmal zur demokratischen Partei gezählt worden ist? So klein
durfte die Facultät nicht denken und es bleibe der Kreuzzeitung überlassen,
ihren Zorn gegen diesen ehrenwerihen Mann zu schleudern. Aber freilich sie
läßt nicht undeutlich merken, daß er sich in Gesellschaft befinde, die zu ihm
passe. Welches sind die übrigen Namen? Keiner derselben ist ohne zum
Theil hervorragende Verdienste als Gelehrter oder als Lehrer. Zunächst lag
es der greifswalder Facultät ohne Zweifel nahe, einen Mann, der ihr selbst
seit kurzem durch seinen Uebertritt von der theologischen Facultät angehört
und der durch seine Symbolik als ein speculativer Kopf auf dem Gebiete
theologischer Forschung sich bewährt hat, auch zu ihrem Doctor zu machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/346>, abgerufen am 23.07.2024.