Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.wacht hatten, beabsichtige" sie jetzt einige der musikalischen Hauptstädte Deutschlands Grenzboten. IV. -I8S6. ' 40
wacht hatten, beabsichtige» sie jetzt einige der musikalischen Hauptstädte Deutschlands Grenzboten. IV. -I8S6. ' 40
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wacht hatten, beabsichtige» sie jetzt einige der musikalischen Hauptstädte Deutschlands
zu besuchen. Sie werden um so freudigere Anerkennung finden, als sie in ihrem
Auftreten und in ihren Leistungen die Vorurtheile, welche sich bei uns leicht an
die Vorstellung von einem pariser Quartett heften könnten, aufs bündigste
widerlegen. Wer etwa eine geheime Furcht mitbringt vor r-affinirtcr Virtuosität
der Ausführung oder formier Excentricität der Auffassung, wird sich auss an¬
genehmste enttäuscht siudeu, Einfachheit und Maßhalten sind Vorzüge, welche dieses
Pariser Quartett vor manchem deutschen auszeichnen. Darin zeigt sich allerdings
das Großstädtische, daß eine vollkommne Sicherheit und Vollendung des Technischen
l'is ins Einzelne hinein als die nothwendige Voraussetzung der wahrhaft künst¬
lerischen Leistung unbedingt gefordert wird, ohne zu fragen, was es koste, zu der¬
selben zu gelangen. Allein sie erscheint in der That anch nicht als die Spitze der
Leistung, sondern als die Basis für das geistige Eindringen in das Wesen des
Kunstwerks. Dieses offenbart sich vor allem in der Meisterschaft, womit die einzelnen
Spieler ihre Stellung zueinander und zum Ganze» in jedem Moment klar aus¬
drücken. Mit bewundernswürdiger Feinheit ist es ausstudirt, daß stets diejenige
Stimme hervortritt, welche bedeutsam ist, jeder charakteristische Zug kommt zur
Geltung, und dabei ist Licht und Schatten sowohl gegeneinander abgewogen, daß
die Harmonie des Ganze» nirgend beeinträchtigt wird. Eine Hauptschwierigkeit
der späteren beethovenschen Quartetts, durch das reiche Detail hindurch immer dem
Faden der Entwicklung mit Sicherheit zu folgen, wird durch diese meisterhafte
Klarheit des Vertrags, welche von einem ebenso tiefen Eindringen in die Structur
des Kunstwerks, als von der echt künstlerischen Resignation des Spielenden zeugt,
dem Zuhörer zum guten Theil beseitigt. Es versteht sich, daß nicht von einem
bloßen, gewissermaßen abstracten, richtigen Accentniren die Rede ist, sondern von
einem belebten Vortrag, der namentlich durch die Nüancirnngcn in Ton und Klang¬
farbe sinnliche Energie, sozusagen Fleisch und Blut bekommt; das Adagio des
^-mon-Quartetts war in dieser Rücksicht eine ganz ausgezeichnete Leistung. Nicht
wenig wurde die Klarheit, welche in dem Zuhörer ein bewußtes und ungestörtes
Genießen möglich macht, auch durch das richtige Maß der Tempi befördert. Für
uns, die wir an ein setzendes Treiben und Jagen leider beinahe schon gewöhnt
sind, hat es etwas Auffallendes, daß das gemäßigte Tempo ans Paris zu uus
kommt; bei manchen Sätzen, wie bei der Fuge des L-clur- oder dem Scherzo des
>''->>u,'-Quartetts konnte es im ersten Augenblick auffallen, aber nicht allein die
Deutlichkeit und Übersichtlichkeit, auch die Würde und Kraft des Vortrags gewannen
entschieden dabei. Derselbe Charakter des Maßhaltens charakterisirt auch das Element
des Vortrags, welches man als das rein geistige, oder gemüthliche bezeichnen möchte;
überall sprach sich echte, warme Hingabe an das Kunstwerk aus, nirgend ein Be¬
streben, etwas ans demselben zu Gunsten des Darstellers erst zu machen, und auch
auf diesem Gebiet war der wesentliche Eindruck ein warmer und wohlthuender. Daß
bei Werken so ungewöhnlicher Art, in denen die individuelle Natur des Komponisten
wie solcher Energie sich ausspricht, verschiedene Auffassungen in mehr als einer
Hinsicht möglich, ja unvermeidlich sind, liegt auf der Hand und auch den pariser
Künstlern gegenüber ließe sich über manches discutiren. ' Namentlich dem tief
Grenzboten. IV. -I8S6. ' 40
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