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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schwörungen und verdächtigte vor allem den Polizeiminister Jntonti. So er¬
wachten denn am 1i. September 183i die Neapolitaner aus dem Wahne
besserer Zeiten zu der plötzlichen Enttäuschung: der König habe seine Meinung
geändert. Ein Circular des Staatsrathspräsidenten machte die staunende Bevöl¬
kerung mit dieser Schwenkung bekannt und fand nur mit augenscheinlicher
Mühe die hinreichenden Ausdrücke des Abscheus, welche der König jetzt gegen
jegliche liberale Concession empfand.

Niemand war darüber in Zweifel, daß dieser Meinungswechsel durch den
Beichtstuhl vermittelt worden war. Die Jesuiten erhielten zahlreiche Zugeständ¬
nisse; Graf Trapani selbst, der jüngere Bruder des Königs, wurde dem Je-
suitencollegium de' Nobili übergeben. Jntonti, der Polizeiminister, mußte
binnen 2i- Stunden die Grenze überschreiten. Man nahm seine Papiere fort,
um wenigstens einen Theil seiner Spionerfahrung zu retten, und ernannte
Saverio Del Carretto zu seinem Nachfolger. Die Polizei wurde seitdem zur
Magistratura armata und trat eine Stufe höher als alle anderen Negierungs-
kräste. Der königliche Palast, die Administrationsgebäude, die Tribunale, die
Theater wurden durch sie allein beaufsichtigt. Sie zog Mahl- und Grund¬
steuer ein, besorgte Beschlagnahmen und eine Gendarmenaussage in politischen
Untersuchungen war unumstößlich. Dies war der natürliche Anfang zur völli¬
gen Korruption des Polizeiheers.

Einstweilen verkündigten, wie beim Vesuv der Fall zu sein pflegt,
kleinere Ausbrüche, unscheinbare Revvlutionskrater die Vorbereitung jenes spä¬
tern großen Ausbruches. Die Brüder Rossana und Romano, der Frate An-
gelo Peluso, der Arianeser Michele Porcaro erlagen in Versuchen solch einsei¬
tiger Widersetzlichkeit. Erst 1836 kam es zu den berüchtigten Choleraaufstän¬
den in Neapel, die sich 1837 mit größerer Heftigkeit in Sicilien wiederholten.
In zwei Monaten starben in Palermo, einer Stadt von 160,000 Einwohnern,
worunter 27,000 Mönche, Nonnen und Weltgeistliche, nicht weniger als 23,000
Menschen. Seitdem haben wir selbst vor zwei Jahren in Neapel Ähnliche
Verheerungen erlebt und begreifen gelernt, wohin die dort noch gesteigerte
Plötzlichkeit dieser Plage eine unwissende, mißtrauische und leicht gereizte Bevöl¬
kerung führen kann. Man glaubte noch 1854 an Brunnenvergiftungen und be¬
drohte die Verdächtigen, ohne sich indessen viele Gewaltthaten zu Schulden kommen
zu lassen. 1837 war die Seuche dem Volke neu und da es sich ihrer selbst nicht er¬
wehren konnte, vergriff es sich an denen, welchen es am ersten Böses zutraute;
Beamte, Edelleute, Fremde wurden mißhandelt, der Vicekönig verjagt, die
Garnison entwaffnet und, da sich Revolutionäre der Bewegung bemächtigten,
erklärte Sicilien sich frei. Doch mit dem Verschwinden der Krankheit kehrte
die Besinnung wieder. Die irgend mit Mitteln zur Flucht ausgerüsteten Siel-


schwörungen und verdächtigte vor allem den Polizeiminister Jntonti. So er¬
wachten denn am 1i. September 183i die Neapolitaner aus dem Wahne
besserer Zeiten zu der plötzlichen Enttäuschung: der König habe seine Meinung
geändert. Ein Circular des Staatsrathspräsidenten machte die staunende Bevöl¬
kerung mit dieser Schwenkung bekannt und fand nur mit augenscheinlicher
Mühe die hinreichenden Ausdrücke des Abscheus, welche der König jetzt gegen
jegliche liberale Concession empfand.

Niemand war darüber in Zweifel, daß dieser Meinungswechsel durch den
Beichtstuhl vermittelt worden war. Die Jesuiten erhielten zahlreiche Zugeständ¬
nisse; Graf Trapani selbst, der jüngere Bruder des Königs, wurde dem Je-
suitencollegium de' Nobili übergeben. Jntonti, der Polizeiminister, mußte
binnen 2i- Stunden die Grenze überschreiten. Man nahm seine Papiere fort,
um wenigstens einen Theil seiner Spionerfahrung zu retten, und ernannte
Saverio Del Carretto zu seinem Nachfolger. Die Polizei wurde seitdem zur
Magistratura armata und trat eine Stufe höher als alle anderen Negierungs-
kräste. Der königliche Palast, die Administrationsgebäude, die Tribunale, die
Theater wurden durch sie allein beaufsichtigt. Sie zog Mahl- und Grund¬
steuer ein, besorgte Beschlagnahmen und eine Gendarmenaussage in politischen
Untersuchungen war unumstößlich. Dies war der natürliche Anfang zur völli¬
gen Korruption des Polizeiheers.

Einstweilen verkündigten, wie beim Vesuv der Fall zu sein pflegt,
kleinere Ausbrüche, unscheinbare Revvlutionskrater die Vorbereitung jenes spä¬
tern großen Ausbruches. Die Brüder Rossana und Romano, der Frate An-
gelo Peluso, der Arianeser Michele Porcaro erlagen in Versuchen solch einsei¬
tiger Widersetzlichkeit. Erst 1836 kam es zu den berüchtigten Choleraaufstän¬
den in Neapel, die sich 1837 mit größerer Heftigkeit in Sicilien wiederholten.
In zwei Monaten starben in Palermo, einer Stadt von 160,000 Einwohnern,
worunter 27,000 Mönche, Nonnen und Weltgeistliche, nicht weniger als 23,000
Menschen. Seitdem haben wir selbst vor zwei Jahren in Neapel Ähnliche
Verheerungen erlebt und begreifen gelernt, wohin die dort noch gesteigerte
Plötzlichkeit dieser Plage eine unwissende, mißtrauische und leicht gereizte Bevöl¬
kerung führen kann. Man glaubte noch 1854 an Brunnenvergiftungen und be¬
drohte die Verdächtigen, ohne sich indessen viele Gewaltthaten zu Schulden kommen
zu lassen. 1837 war die Seuche dem Volke neu und da es sich ihrer selbst nicht er¬
wehren konnte, vergriff es sich an denen, welchen es am ersten Böses zutraute;
Beamte, Edelleute, Fremde wurden mißhandelt, der Vicekönig verjagt, die
Garnison entwaffnet und, da sich Revolutionäre der Bewegung bemächtigten,
erklärte Sicilien sich frei. Doch mit dem Verschwinden der Krankheit kehrte
die Besinnung wieder. Die irgend mit Mitteln zur Flucht ausgerüsteten Siel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/242>, abgerufen am 23.07.2024.