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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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dahin: daß es für dies Mal sein Bewenden haben möge, daß der Grenadier
sich aber künftig keine solche Geschenke machen lassen solle. Freilich glaubte
sich der König selbst während der stürmischen Nevolutionsstunden und auf der
Reise nach Gaöta vor aller Gefahr dadurch gesichert, daß er den schweren
Mantel des heiligen Januarius unablässig trug. --

So ungefähr sind die ersten Eindrücke Neapels. Eine Landschaft für
Selige, sehr ärgerliche Beamte und ein Volk, das man nicht versteht. Wer
aber längere Zeit im Lande lebt, dem erscheinen Negierung und Volk in immer
düsteren Farben, und er wird selbst in dem goldnen Licht des Tages zuweilen
den Gedanken nicht loswerden, daß er unter Gebannten wandelt, welche einem
finstern Fluche verfallen sind, und die einst ein unterirdischer Donner aus dem
Reiche der Lebenden hinabrufen wird zu der finstern Unterwelt.

Wir wollen im Folgenden dieser Seite der Metropole unsere Aufmerk¬
samkeit widmen.

Es wird hierbei vor allem die Zeit der letzten revolutionären Ereignisse,
also 1847 und -1858, ins Auge zu fassen sein, da die Geschichte derselben
noch wenig bekannt ist und dennoch den Schlüssel zur Beurtheilung der gegen¬
wärtigen Sachlage in den beiden Sicilien abgeben muß.

Durchblättert man Neapels Vergangenheit, so findet man wol hin und
wieder kurze Abschnitte, von denen der Geschichtschreiber, weil eben keine Revo¬
lutionen zum Ausbruch kamen, uns versichert, diese Zeit über habe das Volk
sich glücklich gefühlt. Bei Lichte besehen ist die Natur der Bevölkerung aber,
nicht weniger als der Vesuv, so lange ihre Geschichte begonnen hat, noch nie
ihrem vulkanischen Charakter untreu geworden, und es wird wenige Jahr¬
zehnte geben, wo sie friedlicher Entwicklung in der ihr natürlichen Richtung
sich bewußt ward.

Zum großen Theil ist hieran die geographische Lage des Landes Schuld.
Mehr noch als seine Schönheit reizte die fremden Eroberer die Abenteuerlichkeit
feiner leicht zugänglichen Küsten. Griechen, Römer, Sarazenen, Normannen,
Spanier, Brüten, Franzosen -- Deutsche vor allen -- haben sich in die
Angelegenheiten des Landes gemischt, ihm seine Herrscher gegeben oder be-
stritten und was Neapel selbst betrifft, so hat es nicht viel länger als vier¬
zehn Tage lang das freilich zweifelhafte Glück genossen, unter dem, Scepter
eines wirklich Eingebornen zu stehen -- unter Masaniello, dem Fischer-
Herzog.

Diese Wehrlostgkeit machte es zum schadhaften Flecken des ganzen italie¬
nischen Stiefels. Man konnte die Insel Sicilien sich nicht selbst überlassen,
weil sie zu schwach war, um sich selbst zu vertheidigen, und von Sicilien aus
jeder fremde Eroberer bereits die Thürklinke in, der Hand hielt, um ins Haus
selbst einzudringen.


dahin: daß es für dies Mal sein Bewenden haben möge, daß der Grenadier
sich aber künftig keine solche Geschenke machen lassen solle. Freilich glaubte
sich der König selbst während der stürmischen Nevolutionsstunden und auf der
Reise nach Gaöta vor aller Gefahr dadurch gesichert, daß er den schweren
Mantel des heiligen Januarius unablässig trug. —

So ungefähr sind die ersten Eindrücke Neapels. Eine Landschaft für
Selige, sehr ärgerliche Beamte und ein Volk, das man nicht versteht. Wer
aber längere Zeit im Lande lebt, dem erscheinen Negierung und Volk in immer
düsteren Farben, und er wird selbst in dem goldnen Licht des Tages zuweilen
den Gedanken nicht loswerden, daß er unter Gebannten wandelt, welche einem
finstern Fluche verfallen sind, und die einst ein unterirdischer Donner aus dem
Reiche der Lebenden hinabrufen wird zu der finstern Unterwelt.

Wir wollen im Folgenden dieser Seite der Metropole unsere Aufmerk¬
samkeit widmen.

Es wird hierbei vor allem die Zeit der letzten revolutionären Ereignisse,
also 1847 und -1858, ins Auge zu fassen sein, da die Geschichte derselben
noch wenig bekannt ist und dennoch den Schlüssel zur Beurtheilung der gegen¬
wärtigen Sachlage in den beiden Sicilien abgeben muß.

Durchblättert man Neapels Vergangenheit, so findet man wol hin und
wieder kurze Abschnitte, von denen der Geschichtschreiber, weil eben keine Revo¬
lutionen zum Ausbruch kamen, uns versichert, diese Zeit über habe das Volk
sich glücklich gefühlt. Bei Lichte besehen ist die Natur der Bevölkerung aber,
nicht weniger als der Vesuv, so lange ihre Geschichte begonnen hat, noch nie
ihrem vulkanischen Charakter untreu geworden, und es wird wenige Jahr¬
zehnte geben, wo sie friedlicher Entwicklung in der ihr natürlichen Richtung
sich bewußt ward.

Zum großen Theil ist hieran die geographische Lage des Landes Schuld.
Mehr noch als seine Schönheit reizte die fremden Eroberer die Abenteuerlichkeit
feiner leicht zugänglichen Küsten. Griechen, Römer, Sarazenen, Normannen,
Spanier, Brüten, Franzosen — Deutsche vor allen — haben sich in die
Angelegenheiten des Landes gemischt, ihm seine Herrscher gegeben oder be-
stritten und was Neapel selbst betrifft, so hat es nicht viel länger als vier¬
zehn Tage lang das freilich zweifelhafte Glück genossen, unter dem, Scepter
eines wirklich Eingebornen zu stehen — unter Masaniello, dem Fischer-
Herzog.

Diese Wehrlostgkeit machte es zum schadhaften Flecken des ganzen italie¬
nischen Stiefels. Man konnte die Insel Sicilien sich nicht selbst überlassen,
weil sie zu schwach war, um sich selbst zu vertheidigen, und von Sicilien aus
jeder fremde Eroberer bereits die Thürklinke in, der Hand hielt, um ins Haus
selbst einzudringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/238>, abgerufen am 23.07.2024.