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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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lassen den Brief durch ihre Hände gehen, und zum Schlüsse wird dem Har¬
renden sein Brief mit einem Scheine für die Kasse eingehändigt, wonach er
einige Gran ausgezahlt erhält. Diese Kasse kann ein bewährter Ortssinn
wol ausfindig machen, doch trifft sichs häufig, daß sie geschlossen ist und
dieses oder jenes Festtags wegen heute nicht wieder geöffnet wird. Für solchen
Fall mag der Reclamant sich aus ein anderes Mal vertrösten lassen. Geht es
ihm glücklicher, so erwägt er auf dem Heimwege, ob der Zeitverlust im dum¬
pfen Bureau unter einem Himmel, wie derjenige Neapels, in einer Stadt, die
ihm mit jeder Minute Neues bietet und wo er jede Secunde auslaufen sollte,
nicht schwerer zu verschmerzen ist, als der wiederholte Einblick in dieses Privat¬
geschäft einer königlichen Beamtenstube. Von zehn Reclamanten wird nicht
einer zum zweiten Mal im Postgebäude seine Studien zu erneuern Lust haben.
Ohnehin muß man natürlich die Briefe so lange uneröffnet lassen, obschon, wie
das beschädigte Siegel ausweist, ein amtlicher Einbruch der eignen Lectüre
bereits in den meisten Fällen vorausging. Wohnt man vollends in Villeg-
giatura und erhält seine Briefe von Neapel zugesandt, so hört jede Möglich¬
keit, Portoraub abzuwenden, auf.

Viele andere Erfahrungen, welche Schlagschatten auf den Geist der Re¬
gierung werfen, persönlich zu machen, dazu hat der Fremde bei kurzem Aufent¬
halt nicht immer Gelegenheit. Douane, Paß, Briefpost -- das sind seine Be¬
rührungspunkte mit der Beamtenwelt. Findet er, daß ihn Facchini und Vermie-
ther Übervortheilen, so kommt das bei ihm auf Rechnung des italienischen
Volkscharakters, ohne daß er im Allgemeinen bedenkt, wie das tägliche Bei¬
spiel einer gesetzlosen Gesetzvollstreckung in solchen Erscheinungen nur seine
bittern Früchte trägt.

In die Gefängnisse gelangt er nicht leicht. Passirt er jedoch kleinere
Orte, wie z. B. Mola ti Gaeta, Sorrento u. a., so streckt nicht selten ein
Gefangener unmittelbar neben ihm durch das Gitterfenster eines Kerkers
zur ebenen Erde die bettelnde Hand oder eine lange Angelruthe mit einem
Bettclkorbe! entgegen und er hat kaum sein Almosen hineingelegt, so gellt
ihm schon der Lärm und das rohe Lustgeschrei der gefangenen Kameraden
nach, und gute Freunde der Eingesperrten, Weiber, Männer, Kinder, ja die
Wache selbst, nehmen an den Späßen Theil, die jene Gabe in der Kerker¬
stube hervorgerufen hat. Auch mit dieser Seite der Gesetzgebung, die den
traurigen Ernst der Gefangenschaft zu einer Farce für müßige Zuschauer um¬
stimmt, hat er Mühe sich zu befreunden, so gern er bereit ist, dem heitern
Himmel und der südlichen Leichthäbigkeit Rechnung zu tragen. Ebensowenig
begreift ers, wenn uuter den Galeerensträflingen in gelben Jacken, welche
täglich den S. Luciastrand sperren, einzelne in farbigen Glacehandschuhen, die
Cigarre im Munde, cinherftolziren.


lassen den Brief durch ihre Hände gehen, und zum Schlüsse wird dem Har¬
renden sein Brief mit einem Scheine für die Kasse eingehändigt, wonach er
einige Gran ausgezahlt erhält. Diese Kasse kann ein bewährter Ortssinn
wol ausfindig machen, doch trifft sichs häufig, daß sie geschlossen ist und
dieses oder jenes Festtags wegen heute nicht wieder geöffnet wird. Für solchen
Fall mag der Reclamant sich aus ein anderes Mal vertrösten lassen. Geht es
ihm glücklicher, so erwägt er auf dem Heimwege, ob der Zeitverlust im dum¬
pfen Bureau unter einem Himmel, wie derjenige Neapels, in einer Stadt, die
ihm mit jeder Minute Neues bietet und wo er jede Secunde auslaufen sollte,
nicht schwerer zu verschmerzen ist, als der wiederholte Einblick in dieses Privat¬
geschäft einer königlichen Beamtenstube. Von zehn Reclamanten wird nicht
einer zum zweiten Mal im Postgebäude seine Studien zu erneuern Lust haben.
Ohnehin muß man natürlich die Briefe so lange uneröffnet lassen, obschon, wie
das beschädigte Siegel ausweist, ein amtlicher Einbruch der eignen Lectüre
bereits in den meisten Fällen vorausging. Wohnt man vollends in Villeg-
giatura und erhält seine Briefe von Neapel zugesandt, so hört jede Möglich¬
keit, Portoraub abzuwenden, auf.

Viele andere Erfahrungen, welche Schlagschatten auf den Geist der Re¬
gierung werfen, persönlich zu machen, dazu hat der Fremde bei kurzem Aufent¬
halt nicht immer Gelegenheit. Douane, Paß, Briefpost — das sind seine Be¬
rührungspunkte mit der Beamtenwelt. Findet er, daß ihn Facchini und Vermie-
ther Übervortheilen, so kommt das bei ihm auf Rechnung des italienischen
Volkscharakters, ohne daß er im Allgemeinen bedenkt, wie das tägliche Bei¬
spiel einer gesetzlosen Gesetzvollstreckung in solchen Erscheinungen nur seine
bittern Früchte trägt.

In die Gefängnisse gelangt er nicht leicht. Passirt er jedoch kleinere
Orte, wie z. B. Mola ti Gaeta, Sorrento u. a., so streckt nicht selten ein
Gefangener unmittelbar neben ihm durch das Gitterfenster eines Kerkers
zur ebenen Erde die bettelnde Hand oder eine lange Angelruthe mit einem
Bettclkorbe! entgegen und er hat kaum sein Almosen hineingelegt, so gellt
ihm schon der Lärm und das rohe Lustgeschrei der gefangenen Kameraden
nach, und gute Freunde der Eingesperrten, Weiber, Männer, Kinder, ja die
Wache selbst, nehmen an den Späßen Theil, die jene Gabe in der Kerker¬
stube hervorgerufen hat. Auch mit dieser Seite der Gesetzgebung, die den
traurigen Ernst der Gefangenschaft zu einer Farce für müßige Zuschauer um¬
stimmt, hat er Mühe sich zu befreunden, so gern er bereit ist, dem heitern
Himmel und der südlichen Leichthäbigkeit Rechnung zu tragen. Ebensowenig
begreift ers, wenn uuter den Galeerensträflingen in gelben Jacken, welche
täglich den S. Luciastrand sperren, einzelne in farbigen Glacehandschuhen, die
Cigarre im Munde, cinherftolziren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/236>, abgerufen am 23.07.2024.