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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Bürgermeister erließ Warnungen ans die Dörfer, weil aber die Wache der
Stadt noch nicht gut bestellt und bewahrt war, und weil uns die Botschaft
von Hein Czirnau des Abends kam, so kamen die Feinde am Morgen früh,
als der Tag anbrach, über die Mauer, Denn sie waren am Abend schon zu
guter Zeit um die Stadt gezogen und versteckten sich und drückten sich hinter
die Berge und in die Felsen und rüsteten in der Nacht Leitern mit sehr guter
Muße. Die Leitern nämlich waren ganz kurz, jede von vier Sprossen, so daß
vier von den Leiterstücken kaum auf die Mauer reichten; und das erste Stück
der Leiter hatte vorn ein Rädlein oder eine Scheibe, wenn man die an die
Mauer setzte, so fuhr sie an der Mauer hinauf und ward nicht gehemmt. Die
andern Leitern oder Stücke aber waren so zugerichtet und gemacht, daß eine
in die andere paßte und ein Stück das andere faßte mit einem eisernen Band.
Wie sie dieselben hinterlistig und boshaft schon früher gegen uns angelegt
hatten. Dieselbigen Leitern hatten sie in der Nacht an die Mauer dorthin
gebracht, wo die Stadt und der Berg an der Stadt am allerhöchsten ist, n"d
die Leitern waren so breit und weit, daß zwei von den Feinden nebeneinander
liefen und hinaufstiegen. Als sie nun die Leitern vierfach angelegt hatten und
der Tag anbrach, da finge" sie an vierfach hinaufzusteigen. Als sie nun auf
die Mauer kamen, da fanden sie stadtwärtö keinen Gang auf der Mauer, und
sie mußten auf der Mauer einen weiten Weg wutschen, rutschen und kriechen,
bis sie ay, ein Wachhaus kamen, an dem fanden sie eine Treppe, und so kamen
sie leider zu uns in die Stadt. Und als nun viele von ihnen hereingekommen
waren, da fingen sie an grausam zu schreien und zu brüllen wie die Teufel
und auszutrompeten. Das geschah am letzten Donnerstag vor Bartholomäi.
Als wir solches grausame Geschrei und Getümmel hörten, da erschraken wir
kläglich; wer da fliehen und laufen konnte, der lief auf die Thorthürme oder
auf den Kirchthurm und auf andere Thürme; nur auf das Haus konnten
wir nicht kommen, da die Feinde zunächst dem Schloß in die Stadt gestiegen
kamen, und wer auf das Haus wollte, den erschlugen sie auf dem Wege. Als
nun die Leute aus der Stadt sich verkrochen und still hielten, da gingen die
Hussen mit großen Haufen in die Stadr, etliche liefen der Kirche zu, etliche
den besten Häusern, so daß ihrer wol achte zu mir kamen. Und sie stießen
mir den Kramladen auf und stellten, zwei von sich an die Hausthür mit bloßen
Schwertern und ließen niemand in das Haus, so lange bis sie meinen Kram
und das Geräth) ganz und gar ausgetheilt und ausgebeutet hatten. Meine
Frau lag die Zeit in ihren Sechswochen, Gott sei ihr gnädig; die hatte doch
auch gute Sachen bei sich, als ihr Bettgewand und ihre Kleider in der Stube,
worin sie lag. Und doch thaten sie ihr die Ehre an, daß keiner der Feinde
in die Stube zu ihr gehen wollte. Nur zwei von ihnen, die mit ihr wohl¬
bekannt waren und denen sie viel Gutes in unserm Hause gethan hatte, die'


ZS'

Bürgermeister erließ Warnungen ans die Dörfer, weil aber die Wache der
Stadt noch nicht gut bestellt und bewahrt war, und weil uns die Botschaft
von Hein Czirnau des Abends kam, so kamen die Feinde am Morgen früh,
als der Tag anbrach, über die Mauer, Denn sie waren am Abend schon zu
guter Zeit um die Stadt gezogen und versteckten sich und drückten sich hinter
die Berge und in die Felsen und rüsteten in der Nacht Leitern mit sehr guter
Muße. Die Leitern nämlich waren ganz kurz, jede von vier Sprossen, so daß
vier von den Leiterstücken kaum auf die Mauer reichten; und das erste Stück
der Leiter hatte vorn ein Rädlein oder eine Scheibe, wenn man die an die
Mauer setzte, so fuhr sie an der Mauer hinauf und ward nicht gehemmt. Die
andern Leitern oder Stücke aber waren so zugerichtet und gemacht, daß eine
in die andere paßte und ein Stück das andere faßte mit einem eisernen Band.
Wie sie dieselben hinterlistig und boshaft schon früher gegen uns angelegt
hatten. Dieselbigen Leitern hatten sie in der Nacht an die Mauer dorthin
gebracht, wo die Stadt und der Berg an der Stadt am allerhöchsten ist, n»d
die Leitern waren so breit und weit, daß zwei von den Feinden nebeneinander
liefen und hinaufstiegen. Als sie nun die Leitern vierfach angelegt hatten und
der Tag anbrach, da finge» sie an vierfach hinaufzusteigen. Als sie nun auf
die Mauer kamen, da fanden sie stadtwärtö keinen Gang auf der Mauer, und
sie mußten auf der Mauer einen weiten Weg wutschen, rutschen und kriechen,
bis sie ay, ein Wachhaus kamen, an dem fanden sie eine Treppe, und so kamen
sie leider zu uns in die Stadt. Und als nun viele von ihnen hereingekommen
waren, da fingen sie an grausam zu schreien und zu brüllen wie die Teufel
und auszutrompeten. Das geschah am letzten Donnerstag vor Bartholomäi.
Als wir solches grausame Geschrei und Getümmel hörten, da erschraken wir
kläglich; wer da fliehen und laufen konnte, der lief auf die Thorthürme oder
auf den Kirchthurm und auf andere Thürme; nur auf das Haus konnten
wir nicht kommen, da die Feinde zunächst dem Schloß in die Stadt gestiegen
kamen, und wer auf das Haus wollte, den erschlugen sie auf dem Wege. Als
nun die Leute aus der Stadt sich verkrochen und still hielten, da gingen die
Hussen mit großen Haufen in die Stadr, etliche liefen der Kirche zu, etliche
den besten Häusern, so daß ihrer wol achte zu mir kamen. Und sie stießen
mir den Kramladen auf und stellten, zwei von sich an die Hausthür mit bloßen
Schwertern und ließen niemand in das Haus, so lange bis sie meinen Kram
und das Geräth) ganz und gar ausgetheilt und ausgebeutet hatten. Meine
Frau lag die Zeit in ihren Sechswochen, Gott sei ihr gnädig; die hatte doch
auch gute Sachen bei sich, als ihr Bettgewand und ihre Kleider in der Stube,
worin sie lag. Und doch thaten sie ihr die Ehre an, daß keiner der Feinde
in die Stube zu ihr gehen wollte. Nur zwei von ihnen, die mit ihr wohl¬
bekannt waren und denen sie viel Gutes in unserm Hause gethan hatte, die'


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[0203] Bürgermeister erließ Warnungen ans die Dörfer, weil aber die Wache der Stadt noch nicht gut bestellt und bewahrt war, und weil uns die Botschaft von Hein Czirnau des Abends kam, so kamen die Feinde am Morgen früh, als der Tag anbrach, über die Mauer, Denn sie waren am Abend schon zu guter Zeit um die Stadt gezogen und versteckten sich und drückten sich hinter die Berge und in die Felsen und rüsteten in der Nacht Leitern mit sehr guter Muße. Die Leitern nämlich waren ganz kurz, jede von vier Sprossen, so daß vier von den Leiterstücken kaum auf die Mauer reichten; und das erste Stück der Leiter hatte vorn ein Rädlein oder eine Scheibe, wenn man die an die Mauer setzte, so fuhr sie an der Mauer hinauf und ward nicht gehemmt. Die andern Leitern oder Stücke aber waren so zugerichtet und gemacht, daß eine in die andere paßte und ein Stück das andere faßte mit einem eisernen Band. Wie sie dieselben hinterlistig und boshaft schon früher gegen uns angelegt hatten. Dieselbigen Leitern hatten sie in der Nacht an die Mauer dorthin gebracht, wo die Stadt und der Berg an der Stadt am allerhöchsten ist, n»d die Leitern waren so breit und weit, daß zwei von den Feinden nebeneinander liefen und hinaufstiegen. Als sie nun die Leitern vierfach angelegt hatten und der Tag anbrach, da finge» sie an vierfach hinaufzusteigen. Als sie nun auf die Mauer kamen, da fanden sie stadtwärtö keinen Gang auf der Mauer, und sie mußten auf der Mauer einen weiten Weg wutschen, rutschen und kriechen, bis sie ay, ein Wachhaus kamen, an dem fanden sie eine Treppe, und so kamen sie leider zu uns in die Stadt. Und als nun viele von ihnen hereingekommen waren, da fingen sie an grausam zu schreien und zu brüllen wie die Teufel und auszutrompeten. Das geschah am letzten Donnerstag vor Bartholomäi. Als wir solches grausame Geschrei und Getümmel hörten, da erschraken wir kläglich; wer da fliehen und laufen konnte, der lief auf die Thorthürme oder auf den Kirchthurm und auf andere Thürme; nur auf das Haus konnten wir nicht kommen, da die Feinde zunächst dem Schloß in die Stadt gestiegen kamen, und wer auf das Haus wollte, den erschlugen sie auf dem Wege. Als nun die Leute aus der Stadt sich verkrochen und still hielten, da gingen die Hussen mit großen Haufen in die Stadr, etliche liefen der Kirche zu, etliche den besten Häusern, so daß ihrer wol achte zu mir kamen. Und sie stießen mir den Kramladen auf und stellten, zwei von sich an die Hausthür mit bloßen Schwertern und ließen niemand in das Haus, so lange bis sie meinen Kram und das Geräth) ganz und gar ausgetheilt und ausgebeutet hatten. Meine Frau lag die Zeit in ihren Sechswochen, Gott sei ihr gnädig; die hatte doch auch gute Sachen bei sich, als ihr Bettgewand und ihre Kleider in der Stube, worin sie lag. Und doch thaten sie ihr die Ehre an, daß keiner der Feinde in die Stube zu ihr gehen wollte. Nur zwei von ihnen, die mit ihr wohl¬ bekannt waren und denen sie viel Gutes in unserm Hause gethan hatte, die' ZS'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/203>, abgerufen am 23.07.2024.