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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Als eines Tages ein gewisser Bruder Gaspar zum ersten Mal zugegen. war,
sagte die Unsichtbare ""Da ist der Bruder Gaspar"", worüber dieser sehr er¬
staunte; aber ein Ungläubiger unter der Gesellschaft fragte die treue Michelle,
woher die Unsichtbare den Bruder Gaspar kenne. Da dieses Mädchen nicht
wußte, warum man ihr die Frage stellte und nicht gehört hatte, was jene
gesprochen, so antwortete sie ehrlich genug, man habe es ihnen am Morgen
gesagt, daß er kommen werde, ihn beschrieben und gesagt, daß man ihn Bruder
Gaspar rufen müsse und das sei denn auch geschehen, um ihn vortreten zu
machen und ihm einen guten Platz zu verschaffen, wie man eS bei Neuan¬
kommenden gewöhnlich mache. Bruder Gaspar gab nach dieser Aufklärung
zu, daß das Wunder weniger groß sei, als er gedacht habe." Nachdem der
Verfasser noch eine ähnliche Betrügerei erzählt hat, kommt er auf die Geschichte
von der zerschlagenen Marmorplatte, worüber er sagt: "Der erste Präsident
des Senats, welcher grade nicht zur Stelle war, beauftragte einen recht respec-
tabeln Mann mit der Untersuchung dieser Thatsache. Dieser fand die Mei¬
nungen sehr getheilt. Einige behaupteten boshaft, die Platte sei zersprungen
gewesen, andere, sie habe hohl gelegen, sie sei also leicht zu zerbrechen gewesen;
die meisten aber blieben dabei, ebenso wie die Unsichtbare selbst, daß sie die¬
selbe wirklich mit dem Kopfe zerschlagen habe. Hierauf gab der Abgesandte
sein Gutachten dahin ab: die zerschlagene Platte beweise, daß die Unsichtbare
einen sehr harten Kopf habe."

"Die beiden erwähnten famosen Prophetinnen," fährt er fort, "hatten, wie
gesagt, geweissagt, daß sie drei Tage todt sein würden; sie setzten sich in Anzug
und legten sich im Augenblick ihres Sterbens in einem Zimmer nieder; die
treue Michelle ließ sie nicht aus den Augen. Am Tage nach ihrem Tode
kam eine befreundete Convulsionärin, dieses Ereignisses nicht kundig, sie zu
besuchen; diese hatte ein kleines Kind bei sich, welches sich vor dem sehr gro¬
tesken Anblicke der beiden Todten fürchtete und aus Leibeskräften zu schreien
anfing. Die Unsichtbare fand dies so scherzhaft, daß sie in ein lautes Ge¬
lächter ausbrach, nicht daran denkend, daß sie todt sei; ihre Freundin Con¬
vulsionärin sprach zu ihr und sie glaubte ihr antworten zu müssen; sie nahmen
eine Collation zusammen ein und die Todte trank einige Schlucke Wein, um
die künftige Auferstehung durch dieses Aufblitzen vorzeitiger Auferstehung zu
sichern; denn die Unsichtbare starb von neuem, nachdem ihre Freundin ge¬
gangen war. Dies brachte der Creatur große Lobsprüche ein, und die Geist¬
lichen, welche die Nacht bei ihr wachen sollten, waren sehr erbaut, als sie es
erfuhren."

"Sie sollte nach ihrer Prophezeiung nicht eher auferstehen, als am Sonn¬
tage um i Uhr Morgens, aber wie groß war die Ueberraschung mehrer ehr¬
würdiger Geistlichen, welche alle um ihr Bett im Gebet begriffen waren, als


Als eines Tages ein gewisser Bruder Gaspar zum ersten Mal zugegen. war,
sagte die Unsichtbare „„Da ist der Bruder Gaspar"", worüber dieser sehr er¬
staunte; aber ein Ungläubiger unter der Gesellschaft fragte die treue Michelle,
woher die Unsichtbare den Bruder Gaspar kenne. Da dieses Mädchen nicht
wußte, warum man ihr die Frage stellte und nicht gehört hatte, was jene
gesprochen, so antwortete sie ehrlich genug, man habe es ihnen am Morgen
gesagt, daß er kommen werde, ihn beschrieben und gesagt, daß man ihn Bruder
Gaspar rufen müsse und das sei denn auch geschehen, um ihn vortreten zu
machen und ihm einen guten Platz zu verschaffen, wie man eS bei Neuan¬
kommenden gewöhnlich mache. Bruder Gaspar gab nach dieser Aufklärung
zu, daß das Wunder weniger groß sei, als er gedacht habe." Nachdem der
Verfasser noch eine ähnliche Betrügerei erzählt hat, kommt er auf die Geschichte
von der zerschlagenen Marmorplatte, worüber er sagt: „Der erste Präsident
des Senats, welcher grade nicht zur Stelle war, beauftragte einen recht respec-
tabeln Mann mit der Untersuchung dieser Thatsache. Dieser fand die Mei¬
nungen sehr getheilt. Einige behaupteten boshaft, die Platte sei zersprungen
gewesen, andere, sie habe hohl gelegen, sie sei also leicht zu zerbrechen gewesen;
die meisten aber blieben dabei, ebenso wie die Unsichtbare selbst, daß sie die¬
selbe wirklich mit dem Kopfe zerschlagen habe. Hierauf gab der Abgesandte
sein Gutachten dahin ab: die zerschlagene Platte beweise, daß die Unsichtbare
einen sehr harten Kopf habe."

„Die beiden erwähnten famosen Prophetinnen," fährt er fort, „hatten, wie
gesagt, geweissagt, daß sie drei Tage todt sein würden; sie setzten sich in Anzug
und legten sich im Augenblick ihres Sterbens in einem Zimmer nieder; die
treue Michelle ließ sie nicht aus den Augen. Am Tage nach ihrem Tode
kam eine befreundete Convulsionärin, dieses Ereignisses nicht kundig, sie zu
besuchen; diese hatte ein kleines Kind bei sich, welches sich vor dem sehr gro¬
tesken Anblicke der beiden Todten fürchtete und aus Leibeskräften zu schreien
anfing. Die Unsichtbare fand dies so scherzhaft, daß sie in ein lautes Ge¬
lächter ausbrach, nicht daran denkend, daß sie todt sei; ihre Freundin Con¬
vulsionärin sprach zu ihr und sie glaubte ihr antworten zu müssen; sie nahmen
eine Collation zusammen ein und die Todte trank einige Schlucke Wein, um
die künftige Auferstehung durch dieses Aufblitzen vorzeitiger Auferstehung zu
sichern; denn die Unsichtbare starb von neuem, nachdem ihre Freundin ge¬
gangen war. Dies brachte der Creatur große Lobsprüche ein, und die Geist¬
lichen, welche die Nacht bei ihr wachen sollten, waren sehr erbaut, als sie es
erfuhren."

„Sie sollte nach ihrer Prophezeiung nicht eher auferstehen, als am Sonn¬
tage um i Uhr Morgens, aber wie groß war die Ueberraschung mehrer ehr¬
würdiger Geistlichen, welche alle um ihr Bett im Gebet begriffen waren, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/165>, abgerufen am 23.06.2024.