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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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tagung trat dazwischen. Wollte man serner auf einzelne innere Fragen ein¬
gehen, so würde es sich noch öfter nachweisen lassen, wie die Vertagung bei
jeder antiministeriellen Wendung in Anwendung gebracht wurde. So wurde
allerdings im Perlaufe von sechs Jahren für jede organische Maßregel der
dalwigkschen Politik entweder eine Jndemnitybill oder auch die parlamenlarisel e
Bestätigung deö Princips erreicht. Trotzdem hatte aber all diese Willfährigkeit
nicht ausgereicht, um mindestens den Bestand der Kammern zu sichern. Ein
Wahlgesetz, welches die ständische Vertretung von 1820 wiederherstellt und
mit einem dem venerischen gleichenden Reichsrathscollegium krönt, war das
Resultat der 1835 beendeten Wahlperiode. Von allen centralisirendcn organi¬
schen Gesetzen waren aber bis dahin nur das Militär- und Pvlizeistrafgesetz-
buch und zahlreiche Geldbewilligungen, namentlich auch für die Ausgleichung
der Schulden der Cabinetskasfe zur Vollendung gebracht.

Trotzdem, daß jener Landtag seit länger als einem Jahre geschlossen ist,
blieb bis heute (Ende September) noch der Landtagsabschied ausgesetzt. Aber
das neue Wahlgesetz ward soeben (26. September) veröffentlicht. Ohne Land¬
tagsabschied ist jedoch die letzte Session formell noch nicht geschlossen. Sollen
nun die neuen Wahlen ausgeschrieben werden, ohne daß man dem letzten
Landtage für seine Gefügigkeit wenigstens die Ehre einer Grabrede ertheilt?
Oder soll die neue Landtagsperiode sofort mit einer Unregelmäßigkeit beginnen,
d. h. soll die ständische Versammlung erst nach Ablauf der binnen kurzem
beendeten Finanzperiode zusammentreten? Dies aber wird täglich wahrschein¬
licher, wenn nicht binnen kürzester Frist die Wahlen ausgeschrieben, die Wahl¬
kreise bestimmt, kurz die ganzen Vorbereitungen für einen dem jungen Geschlecht
ganz neue", den Greisen kaum mehr erinnerlichen Wahlmodus getroffen sind-
Zuverlässiger erscheint es dagegen, daß der neuen, fast ausschließlich durch
aristokratische Elemente, zu einem großen Theile selbst durch landesherrliche
Ernennung zu bildenden Ständeversammlung ein Abkommen mit den Standes¬
herrn bekannt gemacht werden wird, welches ihnen alle alten Rechte restituirt.
Ja sogar die äußern Zeichen ihres Geburtsranges ihnen zurückzugeben, hat
man sich außerordentlich beeilt und namentlich die vornehmen Leichen mit dem
vergessenen Trauergeleite beschenkt. . .

Wer den Glauben hegt, daß einfache Wiederherstellung des Alten und
Veralteten mit den unaufhaltbaren Entwicklungen des Lebens vereinbar sei,
wer alles, was an Ideen und Thatsachen seit 1848 im Staatsleben sich aus¬
gebildet hat, als revolutionär bezeichnet, der mag in solchen Erscheinungen
einen vollkommenen Sieg conservativer Restaurationspolitik erblicken. Ja man
muß gestehen, es liegt in diesem ganzen Gange, welcher sechs Jahre der Welt¬
geschichte ausstreicht, eine gewisse Consequenz, welche vom theoretischen Sta-
bilitätöstandpunkt vielleicht bewunderungswerth sein kann.


tagung trat dazwischen. Wollte man serner auf einzelne innere Fragen ein¬
gehen, so würde es sich noch öfter nachweisen lassen, wie die Vertagung bei
jeder antiministeriellen Wendung in Anwendung gebracht wurde. So wurde
allerdings im Perlaufe von sechs Jahren für jede organische Maßregel der
dalwigkschen Politik entweder eine Jndemnitybill oder auch die parlamenlarisel e
Bestätigung deö Princips erreicht. Trotzdem hatte aber all diese Willfährigkeit
nicht ausgereicht, um mindestens den Bestand der Kammern zu sichern. Ein
Wahlgesetz, welches die ständische Vertretung von 1820 wiederherstellt und
mit einem dem venerischen gleichenden Reichsrathscollegium krönt, war das
Resultat der 1835 beendeten Wahlperiode. Von allen centralisirendcn organi¬
schen Gesetzen waren aber bis dahin nur das Militär- und Pvlizeistrafgesetz-
buch und zahlreiche Geldbewilligungen, namentlich auch für die Ausgleichung
der Schulden der Cabinetskasfe zur Vollendung gebracht.

Trotzdem, daß jener Landtag seit länger als einem Jahre geschlossen ist,
blieb bis heute (Ende September) noch der Landtagsabschied ausgesetzt. Aber
das neue Wahlgesetz ward soeben (26. September) veröffentlicht. Ohne Land¬
tagsabschied ist jedoch die letzte Session formell noch nicht geschlossen. Sollen
nun die neuen Wahlen ausgeschrieben werden, ohne daß man dem letzten
Landtage für seine Gefügigkeit wenigstens die Ehre einer Grabrede ertheilt?
Oder soll die neue Landtagsperiode sofort mit einer Unregelmäßigkeit beginnen,
d. h. soll die ständische Versammlung erst nach Ablauf der binnen kurzem
beendeten Finanzperiode zusammentreten? Dies aber wird täglich wahrschein¬
licher, wenn nicht binnen kürzester Frist die Wahlen ausgeschrieben, die Wahl¬
kreise bestimmt, kurz die ganzen Vorbereitungen für einen dem jungen Geschlecht
ganz neue», den Greisen kaum mehr erinnerlichen Wahlmodus getroffen sind-
Zuverlässiger erscheint es dagegen, daß der neuen, fast ausschließlich durch
aristokratische Elemente, zu einem großen Theile selbst durch landesherrliche
Ernennung zu bildenden Ständeversammlung ein Abkommen mit den Standes¬
herrn bekannt gemacht werden wird, welches ihnen alle alten Rechte restituirt.
Ja sogar die äußern Zeichen ihres Geburtsranges ihnen zurückzugeben, hat
man sich außerordentlich beeilt und namentlich die vornehmen Leichen mit dem
vergessenen Trauergeleite beschenkt. . .

Wer den Glauben hegt, daß einfache Wiederherstellung des Alten und
Veralteten mit den unaufhaltbaren Entwicklungen des Lebens vereinbar sei,
wer alles, was an Ideen und Thatsachen seit 1848 im Staatsleben sich aus¬
gebildet hat, als revolutionär bezeichnet, der mag in solchen Erscheinungen
einen vollkommenen Sieg conservativer Restaurationspolitik erblicken. Ja man
muß gestehen, es liegt in diesem ganzen Gange, welcher sechs Jahre der Welt¬
geschichte ausstreicht, eine gewisse Consequenz, welche vom theoretischen Sta-
bilitätöstandpunkt vielleicht bewunderungswerth sein kann.


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[0158] tagung trat dazwischen. Wollte man serner auf einzelne innere Fragen ein¬ gehen, so würde es sich noch öfter nachweisen lassen, wie die Vertagung bei jeder antiministeriellen Wendung in Anwendung gebracht wurde. So wurde allerdings im Perlaufe von sechs Jahren für jede organische Maßregel der dalwigkschen Politik entweder eine Jndemnitybill oder auch die parlamenlarisel e Bestätigung deö Princips erreicht. Trotzdem hatte aber all diese Willfährigkeit nicht ausgereicht, um mindestens den Bestand der Kammern zu sichern. Ein Wahlgesetz, welches die ständische Vertretung von 1820 wiederherstellt und mit einem dem venerischen gleichenden Reichsrathscollegium krönt, war das Resultat der 1835 beendeten Wahlperiode. Von allen centralisirendcn organi¬ schen Gesetzen waren aber bis dahin nur das Militär- und Pvlizeistrafgesetz- buch und zahlreiche Geldbewilligungen, namentlich auch für die Ausgleichung der Schulden der Cabinetskasfe zur Vollendung gebracht. Trotzdem, daß jener Landtag seit länger als einem Jahre geschlossen ist, blieb bis heute (Ende September) noch der Landtagsabschied ausgesetzt. Aber das neue Wahlgesetz ward soeben (26. September) veröffentlicht. Ohne Land¬ tagsabschied ist jedoch die letzte Session formell noch nicht geschlossen. Sollen nun die neuen Wahlen ausgeschrieben werden, ohne daß man dem letzten Landtage für seine Gefügigkeit wenigstens die Ehre einer Grabrede ertheilt? Oder soll die neue Landtagsperiode sofort mit einer Unregelmäßigkeit beginnen, d. h. soll die ständische Versammlung erst nach Ablauf der binnen kurzem beendeten Finanzperiode zusammentreten? Dies aber wird täglich wahrschein¬ licher, wenn nicht binnen kürzester Frist die Wahlen ausgeschrieben, die Wahl¬ kreise bestimmt, kurz die ganzen Vorbereitungen für einen dem jungen Geschlecht ganz neue», den Greisen kaum mehr erinnerlichen Wahlmodus getroffen sind- Zuverlässiger erscheint es dagegen, daß der neuen, fast ausschließlich durch aristokratische Elemente, zu einem großen Theile selbst durch landesherrliche Ernennung zu bildenden Ständeversammlung ein Abkommen mit den Standes¬ herrn bekannt gemacht werden wird, welches ihnen alle alten Rechte restituirt. Ja sogar die äußern Zeichen ihres Geburtsranges ihnen zurückzugeben, hat man sich außerordentlich beeilt und namentlich die vornehmen Leichen mit dem vergessenen Trauergeleite beschenkt. . . Wer den Glauben hegt, daß einfache Wiederherstellung des Alten und Veralteten mit den unaufhaltbaren Entwicklungen des Lebens vereinbar sei, wer alles, was an Ideen und Thatsachen seit 1848 im Staatsleben sich aus¬ gebildet hat, als revolutionär bezeichnet, der mag in solchen Erscheinungen einen vollkommenen Sieg conservativer Restaurationspolitik erblicken. Ja man muß gestehen, es liegt in diesem ganzen Gange, welcher sechs Jahre der Welt¬ geschichte ausstreicht, eine gewisse Consequenz, welche vom theoretischen Sta- bilitätöstandpunkt vielleicht bewunderungswerth sein kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/158>, abgerufen am 23.07.2024.