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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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freilich vielleicht schroff, theilweise ungerecht in der Beurtheilung des dalwigk-
schen Princips verfahren sein. Aber zu verwundern wars wenigstens nicht,
wenn die Rheinlands darin eine principielle Ausscheidung des Großherzogthums
aus ihrer Gemeinsamkeit als vorzugsweise leitenden Gedanken zu erkennen
glaubten.

Die stärkeren und ernsteren Interessen und Nöthe der dreijährigen Kriegs¬
periode hatten von alledem vieles wieder in den Hintergrund gedrängt, zeit¬
weise selbst ganz anders auffassen gelehrt. Die Sympathien für den Bonapar-
tismus waren allgemein geworden, die günstigen Stimmungen für Preußen
hatten sich vermindert, selbst der Argwohn gegen den Ultramontanismus sich
eine Zeitlang abgeschwächt, da seine Partei sür gut fand, nach einer kurzen
Begeisterung sür die russische Sache mit fliegenden Fahnen in die antirussifche
Coalition überzutreten und ihre praktischen Operationen gegen die oberrheini¬
schen Staaten zu vertagen -- um desto sicherer vorerst den östreichischen Sieg
zu erfechten. Auch Hessen-Darmstadt wäre mit seiner bisherigen Politik wol
populär geworden, wenn es darin verharret hätte. Aber nunmehr grade ver¬
blaßten seine napoleonischen Sympathien, trat eine lebhafte Betheiligung am
bamberger Princip in den Vordergrund, wurden die freundschaftlichen Beziehungen
zu Preußen mit besonderem Eifer wieder angeknüpft und die Verhandlungen
mit dem Mainzer Bischof in einem Momente betrieben, wo der ganze Süd¬
westen darin übereinstimmte, daß das volle Heraussteigen des europäischen
Friedens und irgend welche Festigung der.allgemeinen Situationen abgewartet
werden müsse, ehe die Staaten die Initiative zur definitiven Austragung der
Streitfrage ergreifen dürften. Die anderen oberrheinischen Staaten haben be¬
kanntlich auch mit der Wiederaufnahme ihrer Verhandlungen so lange gewartet
und sind nunmehr nach langer Trennung in Rom wieder um Baden vereinigt,
während^Hessen allein sich ausschließt und seine Sondervereinbarungen von
Abgesandten des Mainzer Bischofs offenbar in das bis dahin günstige Vor¬
schreiten der dortigen Verhandlungen als hemmendes Präjudiz geworfen wor¬
den sind. So war denn wirklich die Hessen-darmstädter Politik während des
ganzen Krieges abermals im Widerspruche mit dem gesammten deutschen Süd-
westen geblieben. Und als endlich der Friedensschluß auch die daraus erwachse¬
nen Stimmungen wenigstens im großen Publicum zu mildern begonnen hatte,
da konnte wol jenes Musikfest zu Darmstadt, welches wir an die Spitze unseres
Briefes stellten, für die Wechselbeziehungen des mittelrheinischen Lebens mit
Hessen eine höhere Bedeutung gewinnen, als man ihm in der Ferne zuzuschreiben
geneigt sein mochte.

Ob sich die Hoffnung darauf bewährt, muß freilich erst abgewartet werden.
Denn allerdings nimmt das Großherzogthum eine Stellung ein, welche die
Vermittlung eines specifisch ausgeprägten Staatslebens mit den auseinander-


freilich vielleicht schroff, theilweise ungerecht in der Beurtheilung des dalwigk-
schen Princips verfahren sein. Aber zu verwundern wars wenigstens nicht,
wenn die Rheinlands darin eine principielle Ausscheidung des Großherzogthums
aus ihrer Gemeinsamkeit als vorzugsweise leitenden Gedanken zu erkennen
glaubten.

Die stärkeren und ernsteren Interessen und Nöthe der dreijährigen Kriegs¬
periode hatten von alledem vieles wieder in den Hintergrund gedrängt, zeit¬
weise selbst ganz anders auffassen gelehrt. Die Sympathien für den Bonapar-
tismus waren allgemein geworden, die günstigen Stimmungen für Preußen
hatten sich vermindert, selbst der Argwohn gegen den Ultramontanismus sich
eine Zeitlang abgeschwächt, da seine Partei sür gut fand, nach einer kurzen
Begeisterung sür die russische Sache mit fliegenden Fahnen in die antirussifche
Coalition überzutreten und ihre praktischen Operationen gegen die oberrheini¬
schen Staaten zu vertagen — um desto sicherer vorerst den östreichischen Sieg
zu erfechten. Auch Hessen-Darmstadt wäre mit seiner bisherigen Politik wol
populär geworden, wenn es darin verharret hätte. Aber nunmehr grade ver¬
blaßten seine napoleonischen Sympathien, trat eine lebhafte Betheiligung am
bamberger Princip in den Vordergrund, wurden die freundschaftlichen Beziehungen
zu Preußen mit besonderem Eifer wieder angeknüpft und die Verhandlungen
mit dem Mainzer Bischof in einem Momente betrieben, wo der ganze Süd¬
westen darin übereinstimmte, daß das volle Heraussteigen des europäischen
Friedens und irgend welche Festigung der.allgemeinen Situationen abgewartet
werden müsse, ehe die Staaten die Initiative zur definitiven Austragung der
Streitfrage ergreifen dürften. Die anderen oberrheinischen Staaten haben be¬
kanntlich auch mit der Wiederaufnahme ihrer Verhandlungen so lange gewartet
und sind nunmehr nach langer Trennung in Rom wieder um Baden vereinigt,
während^Hessen allein sich ausschließt und seine Sondervereinbarungen von
Abgesandten des Mainzer Bischofs offenbar in das bis dahin günstige Vor¬
schreiten der dortigen Verhandlungen als hemmendes Präjudiz geworfen wor¬
den sind. So war denn wirklich die Hessen-darmstädter Politik während des
ganzen Krieges abermals im Widerspruche mit dem gesammten deutschen Süd-
westen geblieben. Und als endlich der Friedensschluß auch die daraus erwachse¬
nen Stimmungen wenigstens im großen Publicum zu mildern begonnen hatte,
da konnte wol jenes Musikfest zu Darmstadt, welches wir an die Spitze unseres
Briefes stellten, für die Wechselbeziehungen des mittelrheinischen Lebens mit
Hessen eine höhere Bedeutung gewinnen, als man ihm in der Ferne zuzuschreiben
geneigt sein mochte.

Ob sich die Hoffnung darauf bewährt, muß freilich erst abgewartet werden.
Denn allerdings nimmt das Großherzogthum eine Stellung ein, welche die
Vermittlung eines specifisch ausgeprägten Staatslebens mit den auseinander-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/156>, abgerufen am 23.07.2024.