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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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eine Menge von Verirrungen weniger und die alten Klassiker eine große An¬
zahl von Verehrern mehr haben!

Mit Recht aber dürfen wir behaupten, daß das Verdienst, was gewöhnlich
Heyne zugeschrieben wird, zuerst eine geschmackvollere Behandlung der Alten
begründet und so auf die Entwicklung des guten Geschmacks wesentlich ein¬
gewirkt zu haben, Gesner gehört.

Dieselbe Besonnenheit und Klarheit des Urtheils, die uns bei der Er¬
klärung der Schriftsteller entgegentritt, zeichnet auch seine lexikalischen Ar¬
beiten aus, vor allem seinen ^desaurus Ur>^. ron. von 700 Bogen.

Endlich dürfen wir sein Latein nicht vergessen. Er zuerst nach dem herr¬
schenden Bombast und der Jncorrectheit, wagte es wieder einfach und natürlich
zu schreiben. Sein Latein ist nicht eben kraftvoll, manchmal nicht ganz rein,
aber immer leicht und durchsichtig, gewandt und klar; es hat den unvergäng¬
lichen Reiz natürlicher Anmuth, und zwar in den frühsten gleichmäßig, wie in
den spätesten Schriften.

Ferner müssen wir in jener unnatürlichen Zeit die Liebe und Theilnahme
hervorheben, die Gesner der deutschen Sprache zuwendete. Schon in den
Grundzügen der Pädagogik bezeichnet er es als nothwendig, daß man der
Muttersprache mehr Sorgfalt zuwende und weder durch Einmengen unnöthiger
Fremdwörter aus dem Lateinischen und Französischen ihr eine widerliche
Narrenjacke anlege, noch durch übertriebenes Streben jedes Wort fremden Ur¬
sprungs, wenn die Sache selbst fremd sei, zu entfernen, in unnatürliche Ziererei
verfalle. Entschieden schlägt er sich später auf die Seite derer, die nach
Christian Thomasius Vorgang in Halle die Vorlesungen aus den Universitäten
zum großen Theil deutsch halten, indem er nur für die Philologen lateinische
wünschenswerth findet. Ganz besonders aber verdient die Gründung der
deutschen Gesellschaft in Göttingen Aufmerksamkeit, deren Mitglieder, Pro¬
fessoren, Studenten und Männer aller Stände, sich zu gemeinschaftlicher Pflege
der Muttersprache verbanden und durch Vortrag und gegenseitige Beurtheilung
deutscher Arbeiten in bald geschlossenen, bald öffentlichen Versammlungen sich
selbst im Gebrauche des Deutschen auszubilden und Theilnahme für dasselbe
zu erwecken suchten. Noch ist eine Reihe von Reden und Einladungen Gesners
erhalten, und wenn auch sein Stil etwas steif ist, so bemerken wir doch eine
anerkennenswerthe Reinheit, und die Vorzüge seines lateinischen Ausdrucks
treten auch hier erfreulich hervor. Er selbst beklagt es wiederholt, daß er sich
nicht mehr die Gewandtheit und Schönheit anzueignen vermocht beide, als
wenn er etwa dreißig Jahre später gelebt hätte.

. Aber nicht allein was er that, sondern was er war, übte den heilsamsten
Einfluß, um in den gelehrten Bestrebungen ein besseres und freieres Leben zu
erwecken. Sein Wesen zeigt sich in der schönsten Einheit. Sprache, Methode der


eine Menge von Verirrungen weniger und die alten Klassiker eine große An¬
zahl von Verehrern mehr haben!

Mit Recht aber dürfen wir behaupten, daß das Verdienst, was gewöhnlich
Heyne zugeschrieben wird, zuerst eine geschmackvollere Behandlung der Alten
begründet und so auf die Entwicklung des guten Geschmacks wesentlich ein¬
gewirkt zu haben, Gesner gehört.

Dieselbe Besonnenheit und Klarheit des Urtheils, die uns bei der Er¬
klärung der Schriftsteller entgegentritt, zeichnet auch seine lexikalischen Ar¬
beiten aus, vor allem seinen ^desaurus Ur>^. ron. von 700 Bogen.

Endlich dürfen wir sein Latein nicht vergessen. Er zuerst nach dem herr¬
schenden Bombast und der Jncorrectheit, wagte es wieder einfach und natürlich
zu schreiben. Sein Latein ist nicht eben kraftvoll, manchmal nicht ganz rein,
aber immer leicht und durchsichtig, gewandt und klar; es hat den unvergäng¬
lichen Reiz natürlicher Anmuth, und zwar in den frühsten gleichmäßig, wie in
den spätesten Schriften.

Ferner müssen wir in jener unnatürlichen Zeit die Liebe und Theilnahme
hervorheben, die Gesner der deutschen Sprache zuwendete. Schon in den
Grundzügen der Pädagogik bezeichnet er es als nothwendig, daß man der
Muttersprache mehr Sorgfalt zuwende und weder durch Einmengen unnöthiger
Fremdwörter aus dem Lateinischen und Französischen ihr eine widerliche
Narrenjacke anlege, noch durch übertriebenes Streben jedes Wort fremden Ur¬
sprungs, wenn die Sache selbst fremd sei, zu entfernen, in unnatürliche Ziererei
verfalle. Entschieden schlägt er sich später auf die Seite derer, die nach
Christian Thomasius Vorgang in Halle die Vorlesungen aus den Universitäten
zum großen Theil deutsch halten, indem er nur für die Philologen lateinische
wünschenswerth findet. Ganz besonders aber verdient die Gründung der
deutschen Gesellschaft in Göttingen Aufmerksamkeit, deren Mitglieder, Pro¬
fessoren, Studenten und Männer aller Stände, sich zu gemeinschaftlicher Pflege
der Muttersprache verbanden und durch Vortrag und gegenseitige Beurtheilung
deutscher Arbeiten in bald geschlossenen, bald öffentlichen Versammlungen sich
selbst im Gebrauche des Deutschen auszubilden und Theilnahme für dasselbe
zu erwecken suchten. Noch ist eine Reihe von Reden und Einladungen Gesners
erhalten, und wenn auch sein Stil etwas steif ist, so bemerken wir doch eine
anerkennenswerthe Reinheit, und die Vorzüge seines lateinischen Ausdrucks
treten auch hier erfreulich hervor. Er selbst beklagt es wiederholt, daß er sich
nicht mehr die Gewandtheit und Schönheit anzueignen vermocht beide, als
wenn er etwa dreißig Jahre später gelebt hätte.

. Aber nicht allein was er that, sondern was er war, übte den heilsamsten
Einfluß, um in den gelehrten Bestrebungen ein besseres und freieres Leben zu
erwecken. Sein Wesen zeigt sich in der schönsten Einheit. Sprache, Methode der


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[0142] eine Menge von Verirrungen weniger und die alten Klassiker eine große An¬ zahl von Verehrern mehr haben! Mit Recht aber dürfen wir behaupten, daß das Verdienst, was gewöhnlich Heyne zugeschrieben wird, zuerst eine geschmackvollere Behandlung der Alten begründet und so auf die Entwicklung des guten Geschmacks wesentlich ein¬ gewirkt zu haben, Gesner gehört. Dieselbe Besonnenheit und Klarheit des Urtheils, die uns bei der Er¬ klärung der Schriftsteller entgegentritt, zeichnet auch seine lexikalischen Ar¬ beiten aus, vor allem seinen ^desaurus Ur>^. ron. von 700 Bogen. Endlich dürfen wir sein Latein nicht vergessen. Er zuerst nach dem herr¬ schenden Bombast und der Jncorrectheit, wagte es wieder einfach und natürlich zu schreiben. Sein Latein ist nicht eben kraftvoll, manchmal nicht ganz rein, aber immer leicht und durchsichtig, gewandt und klar; es hat den unvergäng¬ lichen Reiz natürlicher Anmuth, und zwar in den frühsten gleichmäßig, wie in den spätesten Schriften. Ferner müssen wir in jener unnatürlichen Zeit die Liebe und Theilnahme hervorheben, die Gesner der deutschen Sprache zuwendete. Schon in den Grundzügen der Pädagogik bezeichnet er es als nothwendig, daß man der Muttersprache mehr Sorgfalt zuwende und weder durch Einmengen unnöthiger Fremdwörter aus dem Lateinischen und Französischen ihr eine widerliche Narrenjacke anlege, noch durch übertriebenes Streben jedes Wort fremden Ur¬ sprungs, wenn die Sache selbst fremd sei, zu entfernen, in unnatürliche Ziererei verfalle. Entschieden schlägt er sich später auf die Seite derer, die nach Christian Thomasius Vorgang in Halle die Vorlesungen aus den Universitäten zum großen Theil deutsch halten, indem er nur für die Philologen lateinische wünschenswerth findet. Ganz besonders aber verdient die Gründung der deutschen Gesellschaft in Göttingen Aufmerksamkeit, deren Mitglieder, Pro¬ fessoren, Studenten und Männer aller Stände, sich zu gemeinschaftlicher Pflege der Muttersprache verbanden und durch Vortrag und gegenseitige Beurtheilung deutscher Arbeiten in bald geschlossenen, bald öffentlichen Versammlungen sich selbst im Gebrauche des Deutschen auszubilden und Theilnahme für dasselbe zu erwecken suchten. Noch ist eine Reihe von Reden und Einladungen Gesners erhalten, und wenn auch sein Stil etwas steif ist, so bemerken wir doch eine anerkennenswerthe Reinheit, und die Vorzüge seines lateinischen Ausdrucks treten auch hier erfreulich hervor. Er selbst beklagt es wiederholt, daß er sich nicht mehr die Gewandtheit und Schönheit anzueignen vermocht beide, als wenn er etwa dreißig Jahre später gelebt hätte. . Aber nicht allein was er that, sondern was er war, übte den heilsamsten Einfluß, um in den gelehrten Bestrebungen ein besseres und freieres Leben zu erwecken. Sein Wesen zeigt sich in der schönsten Einheit. Sprache, Methode der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/142>, abgerufen am 23.07.2024.