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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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der junge Georg Friedrich mit seinem Adel den Tag seiner Geburt. Und als
das seltene Wildpret auf seiner Tafel aufgetragen wurde, da klang der jubelnde
Ton der Trompeten über die Stadt und die Kanonen donnerten, so oft man
deS neuen Herzogs Gesundheit trank*). Aber den bedächtigen Leuten im Lande
graute vor dem Unthier, das in ihre Wälder und zu ihrem jungen Herrn ge¬
kommen war,"wze eine unförmliche Mahnung aus alter Zeit, und sie schüttel¬
ten den Kopf und prophezeiten Unheil. Das letzte Elen, das man in Schle¬
sien erlegte, war die letzte fröhliche Mahlzeit des Piastenenkels. Wenige Tage
darauf war er todt. Und als sein Sarg am Abend durch die Straßen von
Liegnitz geführt wurde, die Pechkränze an allen Ecken brannten und viele hun¬
dert schwarzgekleidete Knaben mit weißen Wachskerzen vor dem todten Herrn
hinzogen, da betrauerten die deutschen Schlesier in dem letzten Sproß den
Untergang des großen slawischen Dynastengeschlechts, welches einst ihre Vor¬
fahren in das Land gezogen und durch sie der Welt zuerst bewiesen hatte, daß
die Vereinigung der Menschen in freien Genossenschaften dem Lande heilsamer
ist, als die Herrschaft über Unterthänige. Aber den Herren des Landes selbst
war diese Wahrheit kein Schutz geworden für ihr eignes Leben.

Die Stunde, in welcher der letzte Piast starb, rief den Anspruch Preußens
an schlesisches Land in das Leben; sein Erbe durch das Schwert war Friedrich
der Große.




Ankündigung einer vollständigen Ausgabe von Handels Werken.

Im Jahre 1859 (am 1i>. April) kehrt der Tag wieder, an dem vor hundert
Jahren Georg Fr. Händel verschied. In der Stadt Halle werden die Vorbe¬
reitungen getroffen, dem großen Tonkünstler, der dort 1686 geboren ist, ein Ehren¬
denkmal zu errichten; und dies wird voraussichtlich die Anregung geben, daß dieser
Tag in einer großartigen, des Anlasses würdigen Säcularfeier in ganz Deutschland
begangen werde. Der Gedanke zu diesem Ehrenfeste im Handels Vaterstadt berührte
sich mit einem verwandten Entwürfe, der gleichzeitig in anderen Kreisen angeregt
wurde: dem ehrwürdigen Todten noch ein zweites, weiteres Denkmal in dem deut¬
schen Volke zu stiften durch eine vollständige, kritische Mnsterausgabe seiner Werke.
Es ist dies eine Ehrenschuld, die Deutschland zu entrichten hat, und die in dem
Jahrhundert seit Handels Tode ausstehen geblieben ist. Innere und äußere Ver¬
hältnisse haben in Handels Jugendzeit zusammengewirkt, ihn seinem Vaterlande zu
entführen. Sein Bildungsdrang trieb ihn frühe in die hohe Musikschule der Zeit,
nach Italien; dann fesselte ihn Ruhm und Ehre in England, wo er der Tonkunst
eine neue Heimath schuf. Dadurch ist Er, dadurch sind seine Tonwerke, denen



*) Lucä, Schlesische Curiöse Denkwürdigkeiten. Lucä ist wenigstens hierin zuver¬
lässig; er selbst hatte am Morgen die Festpredigt gehalten. Daß auch er zu dem Festbraten
eingeladen war, ist nach den Bedenken, die er gegen das Thier äußert, allerdings nicht wahr¬
scheinlich.

der junge Georg Friedrich mit seinem Adel den Tag seiner Geburt. Und als
das seltene Wildpret auf seiner Tafel aufgetragen wurde, da klang der jubelnde
Ton der Trompeten über die Stadt und die Kanonen donnerten, so oft man
deS neuen Herzogs Gesundheit trank*). Aber den bedächtigen Leuten im Lande
graute vor dem Unthier, das in ihre Wälder und zu ihrem jungen Herrn ge¬
kommen war,»wze eine unförmliche Mahnung aus alter Zeit, und sie schüttel¬
ten den Kopf und prophezeiten Unheil. Das letzte Elen, das man in Schle¬
sien erlegte, war die letzte fröhliche Mahlzeit des Piastenenkels. Wenige Tage
darauf war er todt. Und als sein Sarg am Abend durch die Straßen von
Liegnitz geführt wurde, die Pechkränze an allen Ecken brannten und viele hun¬
dert schwarzgekleidete Knaben mit weißen Wachskerzen vor dem todten Herrn
hinzogen, da betrauerten die deutschen Schlesier in dem letzten Sproß den
Untergang des großen slawischen Dynastengeschlechts, welches einst ihre Vor¬
fahren in das Land gezogen und durch sie der Welt zuerst bewiesen hatte, daß
die Vereinigung der Menschen in freien Genossenschaften dem Lande heilsamer
ist, als die Herrschaft über Unterthänige. Aber den Herren des Landes selbst
war diese Wahrheit kein Schutz geworden für ihr eignes Leben.

Die Stunde, in welcher der letzte Piast starb, rief den Anspruch Preußens
an schlesisches Land in das Leben; sein Erbe durch das Schwert war Friedrich
der Große.




Ankündigung einer vollständigen Ausgabe von Handels Werken.

Im Jahre 1859 (am 1i>. April) kehrt der Tag wieder, an dem vor hundert
Jahren Georg Fr. Händel verschied. In der Stadt Halle werden die Vorbe¬
reitungen getroffen, dem großen Tonkünstler, der dort 1686 geboren ist, ein Ehren¬
denkmal zu errichten; und dies wird voraussichtlich die Anregung geben, daß dieser
Tag in einer großartigen, des Anlasses würdigen Säcularfeier in ganz Deutschland
begangen werde. Der Gedanke zu diesem Ehrenfeste im Handels Vaterstadt berührte
sich mit einem verwandten Entwürfe, der gleichzeitig in anderen Kreisen angeregt
wurde: dem ehrwürdigen Todten noch ein zweites, weiteres Denkmal in dem deut¬
schen Volke zu stiften durch eine vollständige, kritische Mnsterausgabe seiner Werke.
Es ist dies eine Ehrenschuld, die Deutschland zu entrichten hat, und die in dem
Jahrhundert seit Handels Tode ausstehen geblieben ist. Innere und äußere Ver¬
hältnisse haben in Handels Jugendzeit zusammengewirkt, ihn seinem Vaterlande zu
entführen. Sein Bildungsdrang trieb ihn frühe in die hohe Musikschule der Zeit,
nach Italien; dann fesselte ihn Ruhm und Ehre in England, wo er der Tonkunst
eine neue Heimath schuf. Dadurch ist Er, dadurch sind seine Tonwerke, denen



*) Lucä, Schlesische Curiöse Denkwürdigkeiten. Lucä ist wenigstens hierin zuver¬
lässig; er selbst hatte am Morgen die Festpredigt gehalten. Daß auch er zu dem Festbraten
eingeladen war, ist nach den Bedenken, die er gegen das Thier äußert, allerdings nicht wahr¬
scheinlich.
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[0126] der junge Georg Friedrich mit seinem Adel den Tag seiner Geburt. Und als das seltene Wildpret auf seiner Tafel aufgetragen wurde, da klang der jubelnde Ton der Trompeten über die Stadt und die Kanonen donnerten, so oft man deS neuen Herzogs Gesundheit trank*). Aber den bedächtigen Leuten im Lande graute vor dem Unthier, das in ihre Wälder und zu ihrem jungen Herrn ge¬ kommen war,»wze eine unförmliche Mahnung aus alter Zeit, und sie schüttel¬ ten den Kopf und prophezeiten Unheil. Das letzte Elen, das man in Schle¬ sien erlegte, war die letzte fröhliche Mahlzeit des Piastenenkels. Wenige Tage darauf war er todt. Und als sein Sarg am Abend durch die Straßen von Liegnitz geführt wurde, die Pechkränze an allen Ecken brannten und viele hun¬ dert schwarzgekleidete Knaben mit weißen Wachskerzen vor dem todten Herrn hinzogen, da betrauerten die deutschen Schlesier in dem letzten Sproß den Untergang des großen slawischen Dynastengeschlechts, welches einst ihre Vor¬ fahren in das Land gezogen und durch sie der Welt zuerst bewiesen hatte, daß die Vereinigung der Menschen in freien Genossenschaften dem Lande heilsamer ist, als die Herrschaft über Unterthänige. Aber den Herren des Landes selbst war diese Wahrheit kein Schutz geworden für ihr eignes Leben. Die Stunde, in welcher der letzte Piast starb, rief den Anspruch Preußens an schlesisches Land in das Leben; sein Erbe durch das Schwert war Friedrich der Große. Ankündigung einer vollständigen Ausgabe von Handels Werken. Im Jahre 1859 (am 1i>. April) kehrt der Tag wieder, an dem vor hundert Jahren Georg Fr. Händel verschied. In der Stadt Halle werden die Vorbe¬ reitungen getroffen, dem großen Tonkünstler, der dort 1686 geboren ist, ein Ehren¬ denkmal zu errichten; und dies wird voraussichtlich die Anregung geben, daß dieser Tag in einer großartigen, des Anlasses würdigen Säcularfeier in ganz Deutschland begangen werde. Der Gedanke zu diesem Ehrenfeste im Handels Vaterstadt berührte sich mit einem verwandten Entwürfe, der gleichzeitig in anderen Kreisen angeregt wurde: dem ehrwürdigen Todten noch ein zweites, weiteres Denkmal in dem deut¬ schen Volke zu stiften durch eine vollständige, kritische Mnsterausgabe seiner Werke. Es ist dies eine Ehrenschuld, die Deutschland zu entrichten hat, und die in dem Jahrhundert seit Handels Tode ausstehen geblieben ist. Innere und äußere Ver¬ hältnisse haben in Handels Jugendzeit zusammengewirkt, ihn seinem Vaterlande zu entführen. Sein Bildungsdrang trieb ihn frühe in die hohe Musikschule der Zeit, nach Italien; dann fesselte ihn Ruhm und Ehre in England, wo er der Tonkunst eine neue Heimath schuf. Dadurch ist Er, dadurch sind seine Tonwerke, denen *) Lucä, Schlesische Curiöse Denkwürdigkeiten. Lucä ist wenigstens hierin zuver¬ lässig; er selbst hatte am Morgen die Festpredigt gehalten. Daß auch er zu dem Festbraten eingeladen war, ist nach den Bedenken, die er gegen das Thier äußert, allerdings nicht wahr¬ scheinlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/126>, abgerufen am 23.07.2024.