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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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stillt. Er putzt sich zum Appell, -- das Putzzeug bestreitet er von seinen 11^
Centimes täglichen Sold. Um ein Uhr beginnt das Crerciren aufs neue bis
vier Uhr, wo eine noch viel schlechtere Suppe seiner wartet. Nun wird der
Junge mir hungrigem Magen aufs Piquet commandirt, und wirft sich um
Mitternacht erschöpft aus sein schlechtes Lager. Kälte und Wassertrinken machen
ihn bald fieberkrank; hat er eine gute Natur, so überwindet er, wenn nicht,
so geht er daraus. -- Etwa einem ists auch zu bunt, er ladet sein Gewehr
-- gute Nacht, Well! Morgens verscharrt man ihn auf einer Weide, daß er
sich trösten mag. -- Stirbt ein Protestant, so hat er daS Nämliche zu er¬
warten. Wenn einer Scrupel hat, so wird die Arrestthüre ausgemacht. Macht
ein verstockter Kerl seinem Unmuthe Luft, so wirb die Bank in den Hof gestellt,
der Bursche darauf gelegt, und zwei Cvrporale schlagen, daß die Hosen in
Stücke fliegen, daß der Client Himmel und Menschen um Erbarmung anruft
und gewöhnlich ohnmächtig davon getragen wird.

Zu allem diesem kommt noch, daß der Soldat vom Volke verachtet und
verhöhnt ist.

Welche Stimmung unter den Truppen herrscht, begreif- jeder, nur die
Offiziere wollen es nicht begreisen. Diese, welche durch die Soldaten größten¬
teils ihre Existenz haben, sind noch so gut und verachten ihre Landsleute und
behandeln sie als Vagabonden oder gleich russischen Leibeignen. Und wer
sind diese Herren? -- Es sind Söhnlein heruntergekommener Noblesse aus den
Urcantvnen -- es sind Flüchtlinge des Sonderbundeö -- es sind Anwerber,
welche dadurch, paß sie S0 Recruten stellten, Lieutenant -- oder pures 100
Opfer -- Hauptmann wurden. Sie kommen oftmals zerlumpt, ohne alle
Kenntnisse zum Regiment und sind das Gespötte der Unteroffiziere und Sol¬
daten, von denen der Dümmste mehr weiß, als sie. Um sich nun ein Ansehen
zu geben, fangen sie an, Strafen zu dictiren, die Soldaten zu cujoniren, und
haben sie ein wenig gelernt, so kennt ihre Arroganz keine Schranken mehr.
Dabei können die Herren mit ihrem'Solde nicht nach ihrer Art leben, deshalb
wird Geld eingesackt, wo es nur immer herzunehmen ist, und der arme Sol¬
dat muß sich diese Zwackerei gefallen lassen, er hungert und schweigt. -- Wenn
einer vier Zähre gedient hal, kann er gehen, wenn er will, in einem zerris¬
senen Kaput, in allen schäbigen Hosen, mit dem Neisegelo bis an vie Lanves-
grenze. Von Ersparnis) zu rever, wäre die größte Lächerlichkeit. -- Viele
werden aber aufs neue ,geeapert, entweder durch Wein oder durch List. --
Leider gelingt es nur zu of>,'so einen armen Teufel in sein überstandenes
trauriges Loos wieder zurückzuziehen. -- Nach sechzehnjähriger Dienstzeit kommen
sie zu den Veteranen, und bekommen dann täglich zehn Centimes (3 kr.) Sand. --




stillt. Er putzt sich zum Appell, — das Putzzeug bestreitet er von seinen 11^
Centimes täglichen Sold. Um ein Uhr beginnt das Crerciren aufs neue bis
vier Uhr, wo eine noch viel schlechtere Suppe seiner wartet. Nun wird der
Junge mir hungrigem Magen aufs Piquet commandirt, und wirft sich um
Mitternacht erschöpft aus sein schlechtes Lager. Kälte und Wassertrinken machen
ihn bald fieberkrank; hat er eine gute Natur, so überwindet er, wenn nicht,
so geht er daraus. — Etwa einem ists auch zu bunt, er ladet sein Gewehr
— gute Nacht, Well! Morgens verscharrt man ihn auf einer Weide, daß er
sich trösten mag. — Stirbt ein Protestant, so hat er daS Nämliche zu er¬
warten. Wenn einer Scrupel hat, so wird die Arrestthüre ausgemacht. Macht
ein verstockter Kerl seinem Unmuthe Luft, so wirb die Bank in den Hof gestellt,
der Bursche darauf gelegt, und zwei Cvrporale schlagen, daß die Hosen in
Stücke fliegen, daß der Client Himmel und Menschen um Erbarmung anruft
und gewöhnlich ohnmächtig davon getragen wird.

Zu allem diesem kommt noch, daß der Soldat vom Volke verachtet und
verhöhnt ist.

Welche Stimmung unter den Truppen herrscht, begreif- jeder, nur die
Offiziere wollen es nicht begreisen. Diese, welche durch die Soldaten größten¬
teils ihre Existenz haben, sind noch so gut und verachten ihre Landsleute und
behandeln sie als Vagabonden oder gleich russischen Leibeignen. Und wer
sind diese Herren? — Es sind Söhnlein heruntergekommener Noblesse aus den
Urcantvnen — es sind Flüchtlinge des Sonderbundeö — es sind Anwerber,
welche dadurch, paß sie S0 Recruten stellten, Lieutenant — oder pures 100
Opfer — Hauptmann wurden. Sie kommen oftmals zerlumpt, ohne alle
Kenntnisse zum Regiment und sind das Gespötte der Unteroffiziere und Sol¬
daten, von denen der Dümmste mehr weiß, als sie. Um sich nun ein Ansehen
zu geben, fangen sie an, Strafen zu dictiren, die Soldaten zu cujoniren, und
haben sie ein wenig gelernt, so kennt ihre Arroganz keine Schranken mehr.
Dabei können die Herren mit ihrem'Solde nicht nach ihrer Art leben, deshalb
wird Geld eingesackt, wo es nur immer herzunehmen ist, und der arme Sol¬
dat muß sich diese Zwackerei gefallen lassen, er hungert und schweigt. — Wenn
einer vier Zähre gedient hal, kann er gehen, wenn er will, in einem zerris¬
senen Kaput, in allen schäbigen Hosen, mit dem Neisegelo bis an vie Lanves-
grenze. Von Ersparnis) zu rever, wäre die größte Lächerlichkeit. — Viele
werden aber aufs neue ,geeapert, entweder durch Wein oder durch List. —
Leider gelingt es nur zu of>,'so einen armen Teufel in sein überstandenes
trauriges Loos wieder zurückzuziehen. — Nach sechzehnjähriger Dienstzeit kommen
sie zu den Veteranen, und bekommen dann täglich zehn Centimes (3 kr.) Sand. —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/514>, abgerufen am 21.06.2024.