Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

substantielle^Stolz sollte wol in unsern Standesherren, mediatistrten Fürsten u. s. w.
leben? Er hat den Stolz seines Standes, aber nicht den Stolz der Nation.
Wenn irgend jemand Ursache hat, nach der Herstellung eines einigen Deutsch¬
lands zu streben, so ists der hohe Adel. Leider hat aber grade in diesem Stande
die Idee am wenigsten Wurzel geschlagen.

Aber auch der preußische Adel ist trotz seiner günstigeren Stellung, durch
den verhängnißvollen Einfluß der Kreuzzeitungspartei auf einem sehr schlimmen
Wege. Auf der einen Seite verliert er die hochherzige ritterliche Farbe mehr
und mehr, er betreibt die Börsengeschäfte, und was sonst dazu gehört, mit dem¬
selben Eifer, wie die eigentlichen Geschäftsleute, und Motive des Erwerbs drängen
sich vernehmlich über die eigentlich adeligen Motive hervor; auf der andern hält
er es für seine Parteipflicht, in Bezug auf Religion und Politik der öffent¬
lichen Meinung so stark als möglich ins Gesicht zu schlagen. Man vergleiche
das Verhalten der preußischen Tones im Jahr 18S0 mit dem Verhalten der
englischen Tones im Jahr 1855, und es ist alles gesagt. Die stolzen briti¬
schen Lords hatten vom Gesichtspunkt ihrer Standesinteressen gewiß mehr
Hinneigung zu Kaiser Nikolaus, als zu Kaiser Napoleon; aber vor dem
nationalen Interesse verstummte das Standesinteresse vollständig, und der
britische Adel hat wie ein Mann an der Spitze der nationalen Bewegung ge¬
standen. Wenn dies Verhältniß sich nicht auch in Deutschland wiederherstellt,
wenn der Adel nicht wirklich der Träger der nationalen Idee wird, so wird
unsre Zukunft, wie fern sie auch noch liegen mag, demokratisch sein.

Diesen Gesichtspunkt im Vergleich mit England muß man vorzugsweise
im Auge behalten, wenn man an eine Reform und Befestigung des Adels
denkt. Die sonstigen Versuche, den deutschen Adel dem Vorbild deö englischen
nachzubilden, Versuche, die sich auch in dem bluntschlischen Wörterbuch geltend
machen, sind zum Theil wohlgemeint, aber sie widersprechen der Natur des
deutschen Rechts. Der Adel liegt bei uns in der Geburt, nicht im Besitz, und
jeder Versuch, die jüngeren Söhne aus dem Kreis deö Adels zurückzudrängen,
würde dem Widerstreben des gesammten Standes begegnen und fruchtlos sein.
Im Jahr 4840 machte man den Versuch, die neuen Adelsverleihungen an die
Fortdauer des ritterschaftlichen Grundbesitzes zu knüpfen. Der Versuch wurde
augenblicklich wieder aufgegeben, weil er allen unsern Sitten, Gewohnheiten
und Neigungen widersprach. Wenn man die Begriffe Adel und Junkerthum
in der Weise sich entgegensetzen will, daß sich in dem erstem der Standesvor¬
zug zugleich an den wirklichen Besitz, in dem zweiten lediglich an die Geburt
knüpft, so ist für Deutschland Adel und Junkerthum identisch.

Aber wir machen einen andern Unterschied. Nach uns artet der Adel
dann zum Junkerthum aus, wenn er sich durch Vorrecht und Privilegien von
seinen Mitbürgern absondert und wenn er dem Inhalt des nationalen Willens


substantielle^Stolz sollte wol in unsern Standesherren, mediatistrten Fürsten u. s. w.
leben? Er hat den Stolz seines Standes, aber nicht den Stolz der Nation.
Wenn irgend jemand Ursache hat, nach der Herstellung eines einigen Deutsch¬
lands zu streben, so ists der hohe Adel. Leider hat aber grade in diesem Stande
die Idee am wenigsten Wurzel geschlagen.

Aber auch der preußische Adel ist trotz seiner günstigeren Stellung, durch
den verhängnißvollen Einfluß der Kreuzzeitungspartei auf einem sehr schlimmen
Wege. Auf der einen Seite verliert er die hochherzige ritterliche Farbe mehr
und mehr, er betreibt die Börsengeschäfte, und was sonst dazu gehört, mit dem¬
selben Eifer, wie die eigentlichen Geschäftsleute, und Motive des Erwerbs drängen
sich vernehmlich über die eigentlich adeligen Motive hervor; auf der andern hält
er es für seine Parteipflicht, in Bezug auf Religion und Politik der öffent¬
lichen Meinung so stark als möglich ins Gesicht zu schlagen. Man vergleiche
das Verhalten der preußischen Tones im Jahr 18S0 mit dem Verhalten der
englischen Tones im Jahr 1855, und es ist alles gesagt. Die stolzen briti¬
schen Lords hatten vom Gesichtspunkt ihrer Standesinteressen gewiß mehr
Hinneigung zu Kaiser Nikolaus, als zu Kaiser Napoleon; aber vor dem
nationalen Interesse verstummte das Standesinteresse vollständig, und der
britische Adel hat wie ein Mann an der Spitze der nationalen Bewegung ge¬
standen. Wenn dies Verhältniß sich nicht auch in Deutschland wiederherstellt,
wenn der Adel nicht wirklich der Träger der nationalen Idee wird, so wird
unsre Zukunft, wie fern sie auch noch liegen mag, demokratisch sein.

Diesen Gesichtspunkt im Vergleich mit England muß man vorzugsweise
im Auge behalten, wenn man an eine Reform und Befestigung des Adels
denkt. Die sonstigen Versuche, den deutschen Adel dem Vorbild deö englischen
nachzubilden, Versuche, die sich auch in dem bluntschlischen Wörterbuch geltend
machen, sind zum Theil wohlgemeint, aber sie widersprechen der Natur des
deutschen Rechts. Der Adel liegt bei uns in der Geburt, nicht im Besitz, und
jeder Versuch, die jüngeren Söhne aus dem Kreis deö Adels zurückzudrängen,
würde dem Widerstreben des gesammten Standes begegnen und fruchtlos sein.
Im Jahr 4840 machte man den Versuch, die neuen Adelsverleihungen an die
Fortdauer des ritterschaftlichen Grundbesitzes zu knüpfen. Der Versuch wurde
augenblicklich wieder aufgegeben, weil er allen unsern Sitten, Gewohnheiten
und Neigungen widersprach. Wenn man die Begriffe Adel und Junkerthum
in der Weise sich entgegensetzen will, daß sich in dem erstem der Standesvor¬
zug zugleich an den wirklichen Besitz, in dem zweiten lediglich an die Geburt
knüpft, so ist für Deutschland Adel und Junkerthum identisch.

Aber wir machen einen andern Unterschied. Nach uns artet der Adel
dann zum Junkerthum aus, wenn er sich durch Vorrecht und Privilegien von
seinen Mitbürgern absondert und wenn er dem Inhalt des nationalen Willens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101721"/>
          <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> substantielle^Stolz sollte wol in unsern Standesherren, mediatistrten Fürsten u. s. w.<lb/>
leben? Er hat den Stolz seines Standes, aber nicht den Stolz der Nation.<lb/>
Wenn irgend jemand Ursache hat, nach der Herstellung eines einigen Deutsch¬<lb/>
lands zu streben, so ists der hohe Adel. Leider hat aber grade in diesem Stande<lb/>
die Idee am wenigsten Wurzel geschlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_476"> Aber auch der preußische Adel ist trotz seiner günstigeren Stellung, durch<lb/>
den verhängnißvollen Einfluß der Kreuzzeitungspartei auf einem sehr schlimmen<lb/>
Wege. Auf der einen Seite verliert er die hochherzige ritterliche Farbe mehr<lb/>
und mehr, er betreibt die Börsengeschäfte, und was sonst dazu gehört, mit dem¬<lb/>
selben Eifer, wie die eigentlichen Geschäftsleute, und Motive des Erwerbs drängen<lb/>
sich vernehmlich über die eigentlich adeligen Motive hervor; auf der andern hält<lb/>
er es für seine Parteipflicht, in Bezug auf Religion und Politik der öffent¬<lb/>
lichen Meinung so stark als möglich ins Gesicht zu schlagen. Man vergleiche<lb/>
das Verhalten der preußischen Tones im Jahr 18S0 mit dem Verhalten der<lb/>
englischen Tones im Jahr 1855, und es ist alles gesagt. Die stolzen briti¬<lb/>
schen Lords hatten vom Gesichtspunkt ihrer Standesinteressen gewiß mehr<lb/>
Hinneigung zu Kaiser Nikolaus, als zu Kaiser Napoleon; aber vor dem<lb/>
nationalen Interesse verstummte das Standesinteresse vollständig, und der<lb/>
britische Adel hat wie ein Mann an der Spitze der nationalen Bewegung ge¬<lb/>
standen. Wenn dies Verhältniß sich nicht auch in Deutschland wiederherstellt,<lb/>
wenn der Adel nicht wirklich der Träger der nationalen Idee wird, so wird<lb/>
unsre Zukunft, wie fern sie auch noch liegen mag, demokratisch sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477"> Diesen Gesichtspunkt im Vergleich mit England muß man vorzugsweise<lb/>
im Auge behalten, wenn man an eine Reform und Befestigung des Adels<lb/>
denkt. Die sonstigen Versuche, den deutschen Adel dem Vorbild deö englischen<lb/>
nachzubilden, Versuche, die sich auch in dem bluntschlischen Wörterbuch geltend<lb/>
machen, sind zum Theil wohlgemeint, aber sie widersprechen der Natur des<lb/>
deutschen Rechts. Der Adel liegt bei uns in der Geburt, nicht im Besitz, und<lb/>
jeder Versuch, die jüngeren Söhne aus dem Kreis deö Adels zurückzudrängen,<lb/>
würde dem Widerstreben des gesammten Standes begegnen und fruchtlos sein.<lb/>
Im Jahr 4840 machte man den Versuch, die neuen Adelsverleihungen an die<lb/>
Fortdauer des ritterschaftlichen Grundbesitzes zu knüpfen. Der Versuch wurde<lb/>
augenblicklich wieder aufgegeben, weil er allen unsern Sitten, Gewohnheiten<lb/>
und Neigungen widersprach. Wenn man die Begriffe Adel und Junkerthum<lb/>
in der Weise sich entgegensetzen will, daß sich in dem erstem der Standesvor¬<lb/>
zug zugleich an den wirklichen Besitz, in dem zweiten lediglich an die Geburt<lb/>
knüpft, so ist für Deutschland Adel und Junkerthum identisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Aber wir machen einen andern Unterschied. Nach uns artet der Adel<lb/>
dann zum Junkerthum aus, wenn er sich durch Vorrecht und Privilegien von<lb/>
seinen Mitbürgern absondert und wenn er dem Inhalt des nationalen Willens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] substantielle^Stolz sollte wol in unsern Standesherren, mediatistrten Fürsten u. s. w. leben? Er hat den Stolz seines Standes, aber nicht den Stolz der Nation. Wenn irgend jemand Ursache hat, nach der Herstellung eines einigen Deutsch¬ lands zu streben, so ists der hohe Adel. Leider hat aber grade in diesem Stande die Idee am wenigsten Wurzel geschlagen. Aber auch der preußische Adel ist trotz seiner günstigeren Stellung, durch den verhängnißvollen Einfluß der Kreuzzeitungspartei auf einem sehr schlimmen Wege. Auf der einen Seite verliert er die hochherzige ritterliche Farbe mehr und mehr, er betreibt die Börsengeschäfte, und was sonst dazu gehört, mit dem¬ selben Eifer, wie die eigentlichen Geschäftsleute, und Motive des Erwerbs drängen sich vernehmlich über die eigentlich adeligen Motive hervor; auf der andern hält er es für seine Parteipflicht, in Bezug auf Religion und Politik der öffent¬ lichen Meinung so stark als möglich ins Gesicht zu schlagen. Man vergleiche das Verhalten der preußischen Tones im Jahr 18S0 mit dem Verhalten der englischen Tones im Jahr 1855, und es ist alles gesagt. Die stolzen briti¬ schen Lords hatten vom Gesichtspunkt ihrer Standesinteressen gewiß mehr Hinneigung zu Kaiser Nikolaus, als zu Kaiser Napoleon; aber vor dem nationalen Interesse verstummte das Standesinteresse vollständig, und der britische Adel hat wie ein Mann an der Spitze der nationalen Bewegung ge¬ standen. Wenn dies Verhältniß sich nicht auch in Deutschland wiederherstellt, wenn der Adel nicht wirklich der Träger der nationalen Idee wird, so wird unsre Zukunft, wie fern sie auch noch liegen mag, demokratisch sein. Diesen Gesichtspunkt im Vergleich mit England muß man vorzugsweise im Auge behalten, wenn man an eine Reform und Befestigung des Adels denkt. Die sonstigen Versuche, den deutschen Adel dem Vorbild deö englischen nachzubilden, Versuche, die sich auch in dem bluntschlischen Wörterbuch geltend machen, sind zum Theil wohlgemeint, aber sie widersprechen der Natur des deutschen Rechts. Der Adel liegt bei uns in der Geburt, nicht im Besitz, und jeder Versuch, die jüngeren Söhne aus dem Kreis deö Adels zurückzudrängen, würde dem Widerstreben des gesammten Standes begegnen und fruchtlos sein. Im Jahr 4840 machte man den Versuch, die neuen Adelsverleihungen an die Fortdauer des ritterschaftlichen Grundbesitzes zu knüpfen. Der Versuch wurde augenblicklich wieder aufgegeben, weil er allen unsern Sitten, Gewohnheiten und Neigungen widersprach. Wenn man die Begriffe Adel und Junkerthum in der Weise sich entgegensetzen will, daß sich in dem erstem der Standesvor¬ zug zugleich an den wirklichen Besitz, in dem zweiten lediglich an die Geburt knüpft, so ist für Deutschland Adel und Junkerthum identisch. Aber wir machen einen andern Unterschied. Nach uns artet der Adel dann zum Junkerthum aus, wenn er sich durch Vorrecht und Privilegien von seinen Mitbürgern absondert und wenn er dem Inhalt des nationalen Willens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/194>, abgerufen am 05.07.2024.