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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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vorzugsweise die Aufmerksamkeit unsrer Leser hinleiten möchten. Der Unter¬
schied ist von der größten Wichtigkeit.

Nach dem Staatsstreich des December ging fast durch die ganze gebildete
Welt ein Schrei der sittlichen Entrüstung; man konnte nicht Ausdrücke finden,
die stark genug waren, um den Unwillen gegen die Sache und gegen die Per¬
son an den Tag zu legen. Diese Stimmung legte sich mehr und mehr; viel
that dazu die Einsicht in das feste, geschlossene, thatkräftige Wesen des Präsi¬
denten , mehr noch der Erfolg, der allen Unternehmungen ein neues Gewand
umzulegen Pflegt. Der Unwille verwandelte sich allmälig in Befremden, das Be¬
fremden in verwunderten Beifall, und als nun der orientalische Krieg ausbrach
und die bekannten Stichworte von dem Kampf der Civilisation gegen die Barbarei
verbreitet wurden, fehlte nicht viel an einem Ausbruch des allgemeinen Enthusias¬
mus. Diese Veränderung in der Gesinnung dehnte sich bis auf die äußerste Rechte
aus, bis auf die Legitimisten, die unverhohlen zu erkennen gaben, daß eine
Legitimität, die nicht den Muth hat, zur That zu greifen, nicht viel zuZbedeuten
habe und daß die Familie Bonaparte im Laufe der Zeit sich fast ebenso in die Reihe
der Aristokratie erhoben habe, als die Familie Bourbon. Der Kaiser von Frank¬
reich , dem man nicht lange vor dem Ausbruch des Mriegs selbst die Allianz
mit einer enterbten Königsfamilie mißgönnt hatte, stand gegen das Ende des¬
selben al-s der mächtigste Herrscher Europas da; und wenn man im Anfang
seine Herrschaft nach Monaten hatte berechnen wollen, so zweifelt jetzt kaum
jemand mehr an der Begründung einer neuen Dynastie. Die legitimsten
Herrscher Europas nehmen keinen Anstand, in dem intimsten Verkehr mit
einem Mann zu stehen, der sich selbst als den Parvenu unter den Monarchen
bezeichnet hatte, und als der König von Algier mit all den Ceremonien geboren
wurde, die man der Etikette Ludwig XIV. abgelernt hat, wurde er von nam¬
haften Poeten als das Christkind begrüßtwelches der Welt die Erlösung
bringen werde. In einem Lande, wo der Katholicismus Staatskirche ist, nahm
man keinen Anstand, zu blasphemiren, um recht eindringlich der neuen Gewalt
Zu huldigen.

Durch die vereinten Bemühungen der Demokratie und der Reaction war
das konstitutionelle Wesen bei der'großen Masse des Publicums in Verruf
gekommen. Man hatte keine unmittelbaren Erfolge gesehen, man war der
hoffnungslosen Anstrengungen müde und verdachte es einem unternehmenden
Mann nicht länger,> wenn er sich von dem Aberglauben an diese Form nicht
irren ließ und mit kühner Hand durchgriff. Hatte er es doch durch diesen
kühnen Griff möglich gemacht, auf eine viel imponirendAe Weise die Sache
der Civilisation gegen die Barbarei zu vertreten, als es dem constitutionellen
Regiment jemals möglich gewesen sein würde. Die Begriffe von Recht und
Unrecht hatten in den letzten Jahren so häufig gewechselt, daß der Grund-


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vorzugsweise die Aufmerksamkeit unsrer Leser hinleiten möchten. Der Unter¬
schied ist von der größten Wichtigkeit.

Nach dem Staatsstreich des December ging fast durch die ganze gebildete
Welt ein Schrei der sittlichen Entrüstung; man konnte nicht Ausdrücke finden,
die stark genug waren, um den Unwillen gegen die Sache und gegen die Per¬
son an den Tag zu legen. Diese Stimmung legte sich mehr und mehr; viel
that dazu die Einsicht in das feste, geschlossene, thatkräftige Wesen des Präsi¬
denten , mehr noch der Erfolg, der allen Unternehmungen ein neues Gewand
umzulegen Pflegt. Der Unwille verwandelte sich allmälig in Befremden, das Be¬
fremden in verwunderten Beifall, und als nun der orientalische Krieg ausbrach
und die bekannten Stichworte von dem Kampf der Civilisation gegen die Barbarei
verbreitet wurden, fehlte nicht viel an einem Ausbruch des allgemeinen Enthusias¬
mus. Diese Veränderung in der Gesinnung dehnte sich bis auf die äußerste Rechte
aus, bis auf die Legitimisten, die unverhohlen zu erkennen gaben, daß eine
Legitimität, die nicht den Muth hat, zur That zu greifen, nicht viel zuZbedeuten
habe und daß die Familie Bonaparte im Laufe der Zeit sich fast ebenso in die Reihe
der Aristokratie erhoben habe, als die Familie Bourbon. Der Kaiser von Frank¬
reich , dem man nicht lange vor dem Ausbruch des Mriegs selbst die Allianz
mit einer enterbten Königsfamilie mißgönnt hatte, stand gegen das Ende des¬
selben al-s der mächtigste Herrscher Europas da; und wenn man im Anfang
seine Herrschaft nach Monaten hatte berechnen wollen, so zweifelt jetzt kaum
jemand mehr an der Begründung einer neuen Dynastie. Die legitimsten
Herrscher Europas nehmen keinen Anstand, in dem intimsten Verkehr mit
einem Mann zu stehen, der sich selbst als den Parvenu unter den Monarchen
bezeichnet hatte, und als der König von Algier mit all den Ceremonien geboren
wurde, die man der Etikette Ludwig XIV. abgelernt hat, wurde er von nam¬
haften Poeten als das Christkind begrüßtwelches der Welt die Erlösung
bringen werde. In einem Lande, wo der Katholicismus Staatskirche ist, nahm
man keinen Anstand, zu blasphemiren, um recht eindringlich der neuen Gewalt
Zu huldigen.

Durch die vereinten Bemühungen der Demokratie und der Reaction war
das konstitutionelle Wesen bei der'großen Masse des Publicums in Verruf
gekommen. Man hatte keine unmittelbaren Erfolge gesehen, man war der
hoffnungslosen Anstrengungen müde und verdachte es einem unternehmenden
Mann nicht länger,> wenn er sich von dem Aberglauben an diese Form nicht
irren ließ und mit kühner Hand durchgriff. Hatte er es doch durch diesen
kühnen Griff möglich gemacht, auf eine viel imponirendAe Weise die Sache
der Civilisation gegen die Barbarei zu vertreten, als es dem constitutionellen
Regiment jemals möglich gewesen sein würde. Die Begriffe von Recht und
Unrecht hatten in den letzten Jahren so häufig gewechselt, daß der Grund-


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[0155] vorzugsweise die Aufmerksamkeit unsrer Leser hinleiten möchten. Der Unter¬ schied ist von der größten Wichtigkeit. Nach dem Staatsstreich des December ging fast durch die ganze gebildete Welt ein Schrei der sittlichen Entrüstung; man konnte nicht Ausdrücke finden, die stark genug waren, um den Unwillen gegen die Sache und gegen die Per¬ son an den Tag zu legen. Diese Stimmung legte sich mehr und mehr; viel that dazu die Einsicht in das feste, geschlossene, thatkräftige Wesen des Präsi¬ denten , mehr noch der Erfolg, der allen Unternehmungen ein neues Gewand umzulegen Pflegt. Der Unwille verwandelte sich allmälig in Befremden, das Be¬ fremden in verwunderten Beifall, und als nun der orientalische Krieg ausbrach und die bekannten Stichworte von dem Kampf der Civilisation gegen die Barbarei verbreitet wurden, fehlte nicht viel an einem Ausbruch des allgemeinen Enthusias¬ mus. Diese Veränderung in der Gesinnung dehnte sich bis auf die äußerste Rechte aus, bis auf die Legitimisten, die unverhohlen zu erkennen gaben, daß eine Legitimität, die nicht den Muth hat, zur That zu greifen, nicht viel zuZbedeuten habe und daß die Familie Bonaparte im Laufe der Zeit sich fast ebenso in die Reihe der Aristokratie erhoben habe, als die Familie Bourbon. Der Kaiser von Frank¬ reich , dem man nicht lange vor dem Ausbruch des Mriegs selbst die Allianz mit einer enterbten Königsfamilie mißgönnt hatte, stand gegen das Ende des¬ selben al-s der mächtigste Herrscher Europas da; und wenn man im Anfang seine Herrschaft nach Monaten hatte berechnen wollen, so zweifelt jetzt kaum jemand mehr an der Begründung einer neuen Dynastie. Die legitimsten Herrscher Europas nehmen keinen Anstand, in dem intimsten Verkehr mit einem Mann zu stehen, der sich selbst als den Parvenu unter den Monarchen bezeichnet hatte, und als der König von Algier mit all den Ceremonien geboren wurde, die man der Etikette Ludwig XIV. abgelernt hat, wurde er von nam¬ haften Poeten als das Christkind begrüßtwelches der Welt die Erlösung bringen werde. In einem Lande, wo der Katholicismus Staatskirche ist, nahm man keinen Anstand, zu blasphemiren, um recht eindringlich der neuen Gewalt Zu huldigen. Durch die vereinten Bemühungen der Demokratie und der Reaction war das konstitutionelle Wesen bei der'großen Masse des Publicums in Verruf gekommen. Man hatte keine unmittelbaren Erfolge gesehen, man war der hoffnungslosen Anstrengungen müde und verdachte es einem unternehmenden Mann nicht länger,> wenn er sich von dem Aberglauben an diese Form nicht irren ließ und mit kühner Hand durchgriff. Hatte er es doch durch diesen kühnen Griff möglich gemacht, auf eine viel imponirendAe Weise die Sache der Civilisation gegen die Barbarei zu vertreten, als es dem constitutionellen Regiment jemals möglich gewesen sein würde. Die Begriffe von Recht und Unrecht hatten in den letzten Jahren so häufig gewechselt, daß der Grund- 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/155>, abgerufen am 27.06.2024.