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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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von Kosthäusern, "Damen, die mehr Raum in ihren Wohnungen besitzen, als
sie bedürfen", machen genteele Anerbietungen von Pensionaten. Ebensoviel
Lehrer und Lehrerinnen wünschen Beschäftigung. Für das Haar, die Haut, die
Füße, die Zähne und den inwendigen Menschen wird die freundliche Behand¬
lung von 36 "Professoren" angeboten, welche unfehlbare Mittel für alle Uebel
besitzen, denen das Fleisch anheimgefallen ist. Den Rest füllen die Ausrufe
von den verschiedensten Geschäftsleuten, deren Stimme sich aus allen Spalten
wie die der Verkäufer auf einem Jahrmarkt erheben. Mitten in diesem Ge¬
wühl und Getreide ertönen herzzerreißende Laute aus der Tiefe der Seele,
Ausbrüche von Unwillen, werden leidenschaftliche Thränen vergossen. Hier
sucht ein Vater seinen Verlornen Sohn und möchte ihm um den Hals fallen,
eine Mutter mit gebrochenem Herzen fordert ein entlaufenes Kind zur Rückkehr
auf, eine verlassene Gattin sucht nach ihrem Gefährten. Liebende, die ihre
Empfindungen vor widrigen Verwandten verbergen müssen, correspondiren in
räthselhaften Inseraten oder in Ziffern. Ernstgemeinte und mystificirende Ehe¬
gesuche wechseln miteinander. Ein schöner junger Mann von guter Familie,
gewöhnt sich in den höchsten Sphären der Gesellschaft zu bewegen, ist in einer
verzweifelten Lage, eine reiche Heirath ist für ihn der einzige Ausweg. Das
Inserat ist von einem seiner Freunde gemacht. Seine Dankbarkeit würde
grenzenlos sein. Die Anzeige ist "an Mädchen von Vermögen" gerichtet;
schlechte Witze werden verbeten. Ein ländlicher Witwer von 63 sucht eine
solide Frau, die, wenn sie will (it öde lites) i0 --SO Jahre alt sein kann. Er
hat fünf Kinder und wünscht keine zweite Familie. "Eine brave Frau würde
den Vorzug erhalten, die zugleich die Schweine in Acht nehmen könnte." Ein
junger Mann, im Begriff nach Südaustralien auszuwandern, möchte sich zuvor
mit einer Dame verbinden, die das Putzmachen und Schneidern versteht und
60--100 Pfund besitzt. Noch eine Anzahl von charakteristischen Annoncen ist
aus verschiedenen Jahrgängen von "Times" gewählt. Ein Mann bietet sich
als Diener an, der sich in der besten und der schlechtesten Gesellschaft bewegt
hat, ohne von einer von beiden angesteckt zu sein, er ist nie ein Diener ge¬
wesen, ist moralisch, mäßig, in mittlerem Alter, kennt seine Stellung, jeder Theil
der Welt ist ihm gleich. Er kann einem Kapitalisten behilflich sein, sein Ein¬
kommen zu vermehren. Er kann Secretär oder Kammerdiener bei jeder Dame
und jedem Herrn sein. Er kann Rath geben und schweigen, singen, tanzen,
spielen, fechten, boren, eine Predigt halten, eine Geschichte erzählen, ernst und
munter, komisch und erhaben sein, und überhaupt alles thun, vom Kräuseln
einer Perücke bis zum Stürmen einer Festung, aber niemals um seinen Herrn
zu übertreffen, (Times 1830). -- Unter dem Titel "Des mächtigen Engels
mitternächtiges Gebrüll" kündigt ein Prophet den Untergang der Welt auf
einen bestimmten Termin, nach Daniel 8, ö--12 an, und da dieser eintritt,


von Kosthäusern, „Damen, die mehr Raum in ihren Wohnungen besitzen, als
sie bedürfen", machen genteele Anerbietungen von Pensionaten. Ebensoviel
Lehrer und Lehrerinnen wünschen Beschäftigung. Für das Haar, die Haut, die
Füße, die Zähne und den inwendigen Menschen wird die freundliche Behand¬
lung von 36 „Professoren" angeboten, welche unfehlbare Mittel für alle Uebel
besitzen, denen das Fleisch anheimgefallen ist. Den Rest füllen die Ausrufe
von den verschiedensten Geschäftsleuten, deren Stimme sich aus allen Spalten
wie die der Verkäufer auf einem Jahrmarkt erheben. Mitten in diesem Ge¬
wühl und Getreide ertönen herzzerreißende Laute aus der Tiefe der Seele,
Ausbrüche von Unwillen, werden leidenschaftliche Thränen vergossen. Hier
sucht ein Vater seinen Verlornen Sohn und möchte ihm um den Hals fallen,
eine Mutter mit gebrochenem Herzen fordert ein entlaufenes Kind zur Rückkehr
auf, eine verlassene Gattin sucht nach ihrem Gefährten. Liebende, die ihre
Empfindungen vor widrigen Verwandten verbergen müssen, correspondiren in
räthselhaften Inseraten oder in Ziffern. Ernstgemeinte und mystificirende Ehe¬
gesuche wechseln miteinander. Ein schöner junger Mann von guter Familie,
gewöhnt sich in den höchsten Sphären der Gesellschaft zu bewegen, ist in einer
verzweifelten Lage, eine reiche Heirath ist für ihn der einzige Ausweg. Das
Inserat ist von einem seiner Freunde gemacht. Seine Dankbarkeit würde
grenzenlos sein. Die Anzeige ist „an Mädchen von Vermögen" gerichtet;
schlechte Witze werden verbeten. Ein ländlicher Witwer von 63 sucht eine
solide Frau, die, wenn sie will (it öde lites) i0 —SO Jahre alt sein kann. Er
hat fünf Kinder und wünscht keine zweite Familie. „Eine brave Frau würde
den Vorzug erhalten, die zugleich die Schweine in Acht nehmen könnte." Ein
junger Mann, im Begriff nach Südaustralien auszuwandern, möchte sich zuvor
mit einer Dame verbinden, die das Putzmachen und Schneidern versteht und
60—100 Pfund besitzt. Noch eine Anzahl von charakteristischen Annoncen ist
aus verschiedenen Jahrgängen von „Times" gewählt. Ein Mann bietet sich
als Diener an, der sich in der besten und der schlechtesten Gesellschaft bewegt
hat, ohne von einer von beiden angesteckt zu sein, er ist nie ein Diener ge¬
wesen, ist moralisch, mäßig, in mittlerem Alter, kennt seine Stellung, jeder Theil
der Welt ist ihm gleich. Er kann einem Kapitalisten behilflich sein, sein Ein¬
kommen zu vermehren. Er kann Secretär oder Kammerdiener bei jeder Dame
und jedem Herrn sein. Er kann Rath geben und schweigen, singen, tanzen,
spielen, fechten, boren, eine Predigt halten, eine Geschichte erzählen, ernst und
munter, komisch und erhaben sein, und überhaupt alles thun, vom Kräuseln
einer Perücke bis zum Stürmen einer Festung, aber niemals um seinen Herrn
zu übertreffen, (Times 1830). — Unter dem Titel „Des mächtigen Engels
mitternächtiges Gebrüll" kündigt ein Prophet den Untergang der Welt auf
einen bestimmten Termin, nach Daniel 8, ö—12 an, und da dieser eintritt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/140>, abgerufen am 21.06.2024.