Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

diese noch in türkischen Händen waren, eine vortreffliche Operationsbasis für
die Türken, um von hier im Thale des Kur gegen die Hauptstadt Tiflis vor¬
zudringen. Die Russen, welche früher nur Kosackenposten zum Schutze des
Landes dagegen hatten, erkauften ihre Besitznahme mit großen Verlusten.
Durch die Einverleibung dieser Festungen in das russische Reich ist der Nutzen
derselben auf dieses übergegangen; es hat an ihnen feste Stützpunkte gegen die
wilden Bergvölker und sie verschließen den Türken das Thal des Kur und den
Weg nach Tiflis, der Hauptstadt Transkaukasiens. Geringer ist ihr Werth
bei einem offensiven Vorgehen der Russen gegen Erzerum, da man dann immer
die Festungen des schwarzen Meeres, Trapezunt u. s. w., im Rücken hat, wenn
die. Türken oder deren Verbündete hier die Herrschaft behaupten. Die zweite
oder südliche Linie wird türkischerseits durch das feste Schloß Toprak-Kate und
russischerseits durch die Hauptfestung Eriwan und das Fort Sardar-Abad ge¬
sperrt. Die dritte Linie, welche zwischen der nördlichen und südlichen liegt,
hatte türkischerseits ihre Hauptvertheidigung durch die Festung Kars; die Deckung
der einen Nebenverzweigung über'Achalkalaki ist mit dem Verluste dieser Festung
ebenfalls für die Türken verloren gegangen und der Vortheil dieser Communi-
cation den Russen anheimgefallen, in deren Hände auch Gertwiß, ein Ueber¬
gang des Kur zur Verbindung mit Achalzyk, gekommen -ist. Der directe Weg
auf Kars führt längs der russischen Grenze durch die befestigte Stadt Gumri. Die
Russen konnten somit im Kriege gegen die Türken Achalzyk und Achalkalaki
für die nördliche und mittlere, Eriwan für die mittlere und südliche Haupt¬
straße als Basis nehmen. Seitdem die Hauptfestung Kars genommen ist,
werden die Russen wahrscheinlich den Weg über das Saganlugebirge in das
Becken des Arares aufwärts einschlagen, von dessen Ursprung dann Erzerum
leichter erreicht werden kann. Ist hier dann nur die zur Deckung im obern
ArareSthale gelegene Festung Hassan-Kate bezwungen, so kann Erzerum, die
Hauptstadt Armeniens, sich nicht halten. Auf der nördlichen Straße sind Bai-
burt im gleichnamigen Thalkessel und Trapezunt am Pontus die Punkte,
welche erst überwunden werden müssen, wenn man vom Norden her auf Erzerum
operirt. Wir haben oben gesehen, wie die Russen unter PaSkewitsch 1829 von Kars
aus über das Saganlugebirge in das Thal des Arares zu gelangen suchten, um
von hier aus thalaufwärts auf Erzerum zu operiren, da dieses fruchtbare Thal
den Unterhalt der Armeen sehr begünstigt, der Weg auch sonst keine Schwierig¬
keiten bietet und nur die Festung Hassan-Kate zu überwinden ist. Sie hatten sich
somit die nördliche Linie im defensiven Sinne gesichert und schlugen die mittlere ein,
da von der südlichen nichts zu befürchten war. Der damalige Siegeslauf des russi¬
schen Oberfeldherrn dürfte auch für den gegenwärtigen Krieg die Bahn vorzeichnen.




12*

diese noch in türkischen Händen waren, eine vortreffliche Operationsbasis für
die Türken, um von hier im Thale des Kur gegen die Hauptstadt Tiflis vor¬
zudringen. Die Russen, welche früher nur Kosackenposten zum Schutze des
Landes dagegen hatten, erkauften ihre Besitznahme mit großen Verlusten.
Durch die Einverleibung dieser Festungen in das russische Reich ist der Nutzen
derselben auf dieses übergegangen; es hat an ihnen feste Stützpunkte gegen die
wilden Bergvölker und sie verschließen den Türken das Thal des Kur und den
Weg nach Tiflis, der Hauptstadt Transkaukasiens. Geringer ist ihr Werth
bei einem offensiven Vorgehen der Russen gegen Erzerum, da man dann immer
die Festungen des schwarzen Meeres, Trapezunt u. s. w., im Rücken hat, wenn
die. Türken oder deren Verbündete hier die Herrschaft behaupten. Die zweite
oder südliche Linie wird türkischerseits durch das feste Schloß Toprak-Kate und
russischerseits durch die Hauptfestung Eriwan und das Fort Sardar-Abad ge¬
sperrt. Die dritte Linie, welche zwischen der nördlichen und südlichen liegt,
hatte türkischerseits ihre Hauptvertheidigung durch die Festung Kars; die Deckung
der einen Nebenverzweigung über'Achalkalaki ist mit dem Verluste dieser Festung
ebenfalls für die Türken verloren gegangen und der Vortheil dieser Communi-
cation den Russen anheimgefallen, in deren Hände auch Gertwiß, ein Ueber¬
gang des Kur zur Verbindung mit Achalzyk, gekommen -ist. Der directe Weg
auf Kars führt längs der russischen Grenze durch die befestigte Stadt Gumri. Die
Russen konnten somit im Kriege gegen die Türken Achalzyk und Achalkalaki
für die nördliche und mittlere, Eriwan für die mittlere und südliche Haupt¬
straße als Basis nehmen. Seitdem die Hauptfestung Kars genommen ist,
werden die Russen wahrscheinlich den Weg über das Saganlugebirge in das
Becken des Arares aufwärts einschlagen, von dessen Ursprung dann Erzerum
leichter erreicht werden kann. Ist hier dann nur die zur Deckung im obern
ArareSthale gelegene Festung Hassan-Kate bezwungen, so kann Erzerum, die
Hauptstadt Armeniens, sich nicht halten. Auf der nördlichen Straße sind Bai-
burt im gleichnamigen Thalkessel und Trapezunt am Pontus die Punkte,
welche erst überwunden werden müssen, wenn man vom Norden her auf Erzerum
operirt. Wir haben oben gesehen, wie die Russen unter PaSkewitsch 1829 von Kars
aus über das Saganlugebirge in das Thal des Arares zu gelangen suchten, um
von hier aus thalaufwärts auf Erzerum zu operiren, da dieses fruchtbare Thal
den Unterhalt der Armeen sehr begünstigt, der Weg auch sonst keine Schwierig¬
keiten bietet und nur die Festung Hassan-Kate zu überwinden ist. Sie hatten sich
somit die nördliche Linie im defensiven Sinne gesichert und schlugen die mittlere ein,
da von der südlichen nichts zu befürchten war. Der damalige Siegeslauf des russi¬
schen Oberfeldherrn dürfte auch für den gegenwärtigen Krieg die Bahn vorzeichnen.




12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101092"/>
          <p xml:id="ID_274" prev="#ID_273"> diese noch in türkischen Händen waren, eine vortreffliche Operationsbasis für<lb/>
die Türken, um von hier im Thale des Kur gegen die Hauptstadt Tiflis vor¬<lb/>
zudringen. Die Russen, welche früher nur Kosackenposten zum Schutze des<lb/>
Landes dagegen hatten, erkauften ihre Besitznahme mit großen Verlusten.<lb/>
Durch die Einverleibung dieser Festungen in das russische Reich ist der Nutzen<lb/>
derselben auf dieses übergegangen; es hat an ihnen feste Stützpunkte gegen die<lb/>
wilden Bergvölker und sie verschließen den Türken das Thal des Kur und den<lb/>
Weg nach Tiflis, der Hauptstadt Transkaukasiens. Geringer ist ihr Werth<lb/>
bei einem offensiven Vorgehen der Russen gegen Erzerum, da man dann immer<lb/>
die Festungen des schwarzen Meeres, Trapezunt u. s. w., im Rücken hat, wenn<lb/>
die. Türken oder deren Verbündete hier die Herrschaft behaupten. Die zweite<lb/>
oder südliche Linie wird türkischerseits durch das feste Schloß Toprak-Kate und<lb/>
russischerseits durch die Hauptfestung Eriwan und das Fort Sardar-Abad ge¬<lb/>
sperrt. Die dritte Linie, welche zwischen der nördlichen und südlichen liegt,<lb/>
hatte türkischerseits ihre Hauptvertheidigung durch die Festung Kars; die Deckung<lb/>
der einen Nebenverzweigung über'Achalkalaki ist mit dem Verluste dieser Festung<lb/>
ebenfalls für die Türken verloren gegangen und der Vortheil dieser Communi-<lb/>
cation den Russen anheimgefallen, in deren Hände auch Gertwiß, ein Ueber¬<lb/>
gang des Kur zur Verbindung mit Achalzyk, gekommen -ist. Der directe Weg<lb/>
auf Kars führt längs der russischen Grenze durch die befestigte Stadt Gumri. Die<lb/>
Russen konnten somit im Kriege gegen die Türken Achalzyk und Achalkalaki<lb/>
für die nördliche und mittlere, Eriwan für die mittlere und südliche Haupt¬<lb/>
straße als Basis nehmen. Seitdem die Hauptfestung Kars genommen ist,<lb/>
werden die Russen wahrscheinlich den Weg über das Saganlugebirge in das<lb/>
Becken des Arares aufwärts einschlagen, von dessen Ursprung dann Erzerum<lb/>
leichter erreicht werden kann. Ist hier dann nur die zur Deckung im obern<lb/>
ArareSthale gelegene Festung Hassan-Kate bezwungen, so kann Erzerum, die<lb/>
Hauptstadt Armeniens, sich nicht halten. Auf der nördlichen Straße sind Bai-<lb/>
burt im gleichnamigen Thalkessel und Trapezunt am Pontus die Punkte,<lb/>
welche erst überwunden werden müssen, wenn man vom Norden her auf Erzerum<lb/>
operirt. Wir haben oben gesehen, wie die Russen unter PaSkewitsch 1829 von Kars<lb/>
aus über das Saganlugebirge in das Thal des Arares zu gelangen suchten, um<lb/>
von hier aus thalaufwärts auf Erzerum zu operiren, da dieses fruchtbare Thal<lb/>
den Unterhalt der Armeen sehr begünstigt, der Weg auch sonst keine Schwierig¬<lb/>
keiten bietet und nur die Festung Hassan-Kate zu überwinden ist. Sie hatten sich<lb/>
somit die nördliche Linie im defensiven Sinne gesichert und schlugen die mittlere ein,<lb/>
da von der südlichen nichts zu befürchten war. Der damalige Siegeslauf des russi¬<lb/>
schen Oberfeldherrn dürfte auch für den gegenwärtigen Krieg die Bahn vorzeichnen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] diese noch in türkischen Händen waren, eine vortreffliche Operationsbasis für die Türken, um von hier im Thale des Kur gegen die Hauptstadt Tiflis vor¬ zudringen. Die Russen, welche früher nur Kosackenposten zum Schutze des Landes dagegen hatten, erkauften ihre Besitznahme mit großen Verlusten. Durch die Einverleibung dieser Festungen in das russische Reich ist der Nutzen derselben auf dieses übergegangen; es hat an ihnen feste Stützpunkte gegen die wilden Bergvölker und sie verschließen den Türken das Thal des Kur und den Weg nach Tiflis, der Hauptstadt Transkaukasiens. Geringer ist ihr Werth bei einem offensiven Vorgehen der Russen gegen Erzerum, da man dann immer die Festungen des schwarzen Meeres, Trapezunt u. s. w., im Rücken hat, wenn die. Türken oder deren Verbündete hier die Herrschaft behaupten. Die zweite oder südliche Linie wird türkischerseits durch das feste Schloß Toprak-Kate und russischerseits durch die Hauptfestung Eriwan und das Fort Sardar-Abad ge¬ sperrt. Die dritte Linie, welche zwischen der nördlichen und südlichen liegt, hatte türkischerseits ihre Hauptvertheidigung durch die Festung Kars; die Deckung der einen Nebenverzweigung über'Achalkalaki ist mit dem Verluste dieser Festung ebenfalls für die Türken verloren gegangen und der Vortheil dieser Communi- cation den Russen anheimgefallen, in deren Hände auch Gertwiß, ein Ueber¬ gang des Kur zur Verbindung mit Achalzyk, gekommen -ist. Der directe Weg auf Kars führt längs der russischen Grenze durch die befestigte Stadt Gumri. Die Russen konnten somit im Kriege gegen die Türken Achalzyk und Achalkalaki für die nördliche und mittlere, Eriwan für die mittlere und südliche Haupt¬ straße als Basis nehmen. Seitdem die Hauptfestung Kars genommen ist, werden die Russen wahrscheinlich den Weg über das Saganlugebirge in das Becken des Arares aufwärts einschlagen, von dessen Ursprung dann Erzerum leichter erreicht werden kann. Ist hier dann nur die zur Deckung im obern ArareSthale gelegene Festung Hassan-Kate bezwungen, so kann Erzerum, die Hauptstadt Armeniens, sich nicht halten. Auf der nördlichen Straße sind Bai- burt im gleichnamigen Thalkessel und Trapezunt am Pontus die Punkte, welche erst überwunden werden müssen, wenn man vom Norden her auf Erzerum operirt. Wir haben oben gesehen, wie die Russen unter PaSkewitsch 1829 von Kars aus über das Saganlugebirge in das Thal des Arares zu gelangen suchten, um von hier aus thalaufwärts auf Erzerum zu operiren, da dieses fruchtbare Thal den Unterhalt der Armeen sehr begünstigt, der Weg auch sonst keine Schwierig¬ keiten bietet und nur die Festung Hassan-Kate zu überwinden ist. Sie hatten sich somit die nördliche Linie im defensiven Sinne gesichert und schlugen die mittlere ein, da von der südlichen nichts zu befürchten war. Der damalige Siegeslauf des russi¬ schen Oberfeldherrn dürfte auch für den gegenwärtigen Krieg die Bahn vorzeichnen. 12*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/99>, abgerufen am 23.07.2024.