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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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mit den Armeniern zu erreichen, mußte Rußland den Sitz des armenischen
Patriarchats, das Kloster Etschimadsin, innehaben; es konnte dann hoffen,
durch diesen Hirtenstab die zerstreute Herde zu leiten. Diesem großen politischen
Grunde muß man die Einnahme und Einverleibung der früher persischen Stadt
Eriwan zuschreiben, in deren Nähe sich das ebengenannte Kloster befindet.
Die kluge russische Regierung täuschte sich nicht in ihrer Voraussicht. Was
Gewalt und Ueberredung nicht vermocht hatten, die der russischen Grenze nahen
Armenier ihrem heimischen Boden zu entreißen, das that die Frömmigkeit, und
der Patriarch, der ein Unterthan des Zaren geworden war, sah bald eine be¬
deutende Anzahl Auswanderer, darunter auch katholische Armenier, um seinen
Sitz her sich gruppiren. In der Hoffnung, in einem christlichen Reiche mehr
Schutz und Wohlwollen zu finden, als bei den Türken und Persern, gingen
sie über den Arares und Arya-Tschai. In der That hatte man ihnen goldene
Berge und selige Tage unter dem väterlichen Scepter des Moskowiters ver¬
sprochen. Doch an diese glänzenden Versprechungen dachte niemand mehr,
als ihre Erfüllung eintreten sollte, und die unglücklichen Auswanderer starben
zu Hunderten vor Mangel und Elend. Endlich wurde ein Theil der Uebrig-
gebliebenen nach Akhiska und in die Provinzen am schwarzen Meere geführt;
doch diese Gegenden, an sich schon sehr bevölkert, gaben ihnen wenig Gelegen¬
heit, ihre Existenz zu sichern. Zugleich rissen Krankheiten unter ihnen, welche
die reine Bergluft gewöhnt waren, ein. Dennoch erlaubte die russische Negierung
den Elenden nicht, in ihre frühere Heimath zurückzukehren, sondern bestrafte
diejenigen hart, welche die Rückkehr zu unternehmen wagten. Die armenischen
Colonien, welche sich auf den Terrassen des AllagheS angesiedelt haben, befinden
sich in dem traurigsten Zustande und haben keine Zukunft. Die russische Re¬
gierung, den schismatischen Armeniern mehr geneigt, auf die sie leichter einwirken
zu können hoffte, als auf die katholischen Armenier, wendete alle in ihrer Macht
stehenden Mittel an, um diese zur Abschwörung ihres Glaubens zu vermögen. Ab¬
gesehen von Plackereien aller Art, trieben die russischen Behörden die Strenge auch
noch so weit, sie der Priester zu berauben und den katholischen Missionären den Ein¬
tritt ins russische Gebiet zu untersagen. Einige Bekehrungen waren die Folge dieser
Gewaltthätigkeiten, und diese Bevölkerungen, ohne Diener ihrer Religion, ohne
Stütze ihres Glaubens, müssen unfehlbar weichen und die Zahl der russischen
Unterthanen, die durch gemeinsame Feindschaft gegen die geistliche Obergewalt
Roms verbunden sind, vermehren. Der armenische Patriarchcnsitz von Etschimadsin
übt indeß seine Anziehungskraft nicht mit gleicher Stärke in der ganzen Türkei
ans. Die in der Türkei verbliebenen schismatischen Armenier konnten, als
der armenische Patriarch russischer Unterthan wurde, nicht ohne Bedauern das
Oberhaupt ihrer Kirche in einer Abhängigkeit sehen, von der sie selbst frei
geblieben waren; sie wollten deshalb einen andern Patriarchen, der mit ihnen


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mit den Armeniern zu erreichen, mußte Rußland den Sitz des armenischen
Patriarchats, das Kloster Etschimadsin, innehaben; es konnte dann hoffen,
durch diesen Hirtenstab die zerstreute Herde zu leiten. Diesem großen politischen
Grunde muß man die Einnahme und Einverleibung der früher persischen Stadt
Eriwan zuschreiben, in deren Nähe sich das ebengenannte Kloster befindet.
Die kluge russische Regierung täuschte sich nicht in ihrer Voraussicht. Was
Gewalt und Ueberredung nicht vermocht hatten, die der russischen Grenze nahen
Armenier ihrem heimischen Boden zu entreißen, das that die Frömmigkeit, und
der Patriarch, der ein Unterthan des Zaren geworden war, sah bald eine be¬
deutende Anzahl Auswanderer, darunter auch katholische Armenier, um seinen
Sitz her sich gruppiren. In der Hoffnung, in einem christlichen Reiche mehr
Schutz und Wohlwollen zu finden, als bei den Türken und Persern, gingen
sie über den Arares und Arya-Tschai. In der That hatte man ihnen goldene
Berge und selige Tage unter dem väterlichen Scepter des Moskowiters ver¬
sprochen. Doch an diese glänzenden Versprechungen dachte niemand mehr,
als ihre Erfüllung eintreten sollte, und die unglücklichen Auswanderer starben
zu Hunderten vor Mangel und Elend. Endlich wurde ein Theil der Uebrig-
gebliebenen nach Akhiska und in die Provinzen am schwarzen Meere geführt;
doch diese Gegenden, an sich schon sehr bevölkert, gaben ihnen wenig Gelegen¬
heit, ihre Existenz zu sichern. Zugleich rissen Krankheiten unter ihnen, welche
die reine Bergluft gewöhnt waren, ein. Dennoch erlaubte die russische Negierung
den Elenden nicht, in ihre frühere Heimath zurückzukehren, sondern bestrafte
diejenigen hart, welche die Rückkehr zu unternehmen wagten. Die armenischen
Colonien, welche sich auf den Terrassen des AllagheS angesiedelt haben, befinden
sich in dem traurigsten Zustande und haben keine Zukunft. Die russische Re¬
gierung, den schismatischen Armeniern mehr geneigt, auf die sie leichter einwirken
zu können hoffte, als auf die katholischen Armenier, wendete alle in ihrer Macht
stehenden Mittel an, um diese zur Abschwörung ihres Glaubens zu vermögen. Ab¬
gesehen von Plackereien aller Art, trieben die russischen Behörden die Strenge auch
noch so weit, sie der Priester zu berauben und den katholischen Missionären den Ein¬
tritt ins russische Gebiet zu untersagen. Einige Bekehrungen waren die Folge dieser
Gewaltthätigkeiten, und diese Bevölkerungen, ohne Diener ihrer Religion, ohne
Stütze ihres Glaubens, müssen unfehlbar weichen und die Zahl der russischen
Unterthanen, die durch gemeinsame Feindschaft gegen die geistliche Obergewalt
Roms verbunden sind, vermehren. Der armenische Patriarchcnsitz von Etschimadsin
übt indeß seine Anziehungskraft nicht mit gleicher Stärke in der ganzen Türkei
ans. Die in der Türkei verbliebenen schismatischen Armenier konnten, als
der armenische Patriarch russischer Unterthan wurde, nicht ohne Bedauern das
Oberhaupt ihrer Kirche in einer Abhängigkeit sehen, von der sie selbst frei
geblieben waren; sie wollten deshalb einen andern Patriarchen, der mit ihnen


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[0097] mit den Armeniern zu erreichen, mußte Rußland den Sitz des armenischen Patriarchats, das Kloster Etschimadsin, innehaben; es konnte dann hoffen, durch diesen Hirtenstab die zerstreute Herde zu leiten. Diesem großen politischen Grunde muß man die Einnahme und Einverleibung der früher persischen Stadt Eriwan zuschreiben, in deren Nähe sich das ebengenannte Kloster befindet. Die kluge russische Regierung täuschte sich nicht in ihrer Voraussicht. Was Gewalt und Ueberredung nicht vermocht hatten, die der russischen Grenze nahen Armenier ihrem heimischen Boden zu entreißen, das that die Frömmigkeit, und der Patriarch, der ein Unterthan des Zaren geworden war, sah bald eine be¬ deutende Anzahl Auswanderer, darunter auch katholische Armenier, um seinen Sitz her sich gruppiren. In der Hoffnung, in einem christlichen Reiche mehr Schutz und Wohlwollen zu finden, als bei den Türken und Persern, gingen sie über den Arares und Arya-Tschai. In der That hatte man ihnen goldene Berge und selige Tage unter dem väterlichen Scepter des Moskowiters ver¬ sprochen. Doch an diese glänzenden Versprechungen dachte niemand mehr, als ihre Erfüllung eintreten sollte, und die unglücklichen Auswanderer starben zu Hunderten vor Mangel und Elend. Endlich wurde ein Theil der Uebrig- gebliebenen nach Akhiska und in die Provinzen am schwarzen Meere geführt; doch diese Gegenden, an sich schon sehr bevölkert, gaben ihnen wenig Gelegen¬ heit, ihre Existenz zu sichern. Zugleich rissen Krankheiten unter ihnen, welche die reine Bergluft gewöhnt waren, ein. Dennoch erlaubte die russische Negierung den Elenden nicht, in ihre frühere Heimath zurückzukehren, sondern bestrafte diejenigen hart, welche die Rückkehr zu unternehmen wagten. Die armenischen Colonien, welche sich auf den Terrassen des AllagheS angesiedelt haben, befinden sich in dem traurigsten Zustande und haben keine Zukunft. Die russische Re¬ gierung, den schismatischen Armeniern mehr geneigt, auf die sie leichter einwirken zu können hoffte, als auf die katholischen Armenier, wendete alle in ihrer Macht stehenden Mittel an, um diese zur Abschwörung ihres Glaubens zu vermögen. Ab¬ gesehen von Plackereien aller Art, trieben die russischen Behörden die Strenge auch noch so weit, sie der Priester zu berauben und den katholischen Missionären den Ein¬ tritt ins russische Gebiet zu untersagen. Einige Bekehrungen waren die Folge dieser Gewaltthätigkeiten, und diese Bevölkerungen, ohne Diener ihrer Religion, ohne Stütze ihres Glaubens, müssen unfehlbar weichen und die Zahl der russischen Unterthanen, die durch gemeinsame Feindschaft gegen die geistliche Obergewalt Roms verbunden sind, vermehren. Der armenische Patriarchcnsitz von Etschimadsin übt indeß seine Anziehungskraft nicht mit gleicher Stärke in der ganzen Türkei ans. Die in der Türkei verbliebenen schismatischen Armenier konnten, als der armenische Patriarch russischer Unterthan wurde, nicht ohne Bedauern das Oberhaupt ihrer Kirche in einer Abhängigkeit sehen, von der sie selbst frei geblieben waren; sie wollten deshalb einen andern Patriarchen, der mit ihnen Gr-nzbot-et. I. ->8U6 . 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/97>, abgerufen am 23.07.2024.