Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

völligen Rückzug am 8. Juli. Gleich nach der Schlacht bei Mittl-Djusv hatte
der russische Oberfeldherr ein Detachement nach Khorassan entsendet, um diese
Stadt zu besetzen, während ein anderes die Türken vollends aus den Wäldern
verjagte und ein drittes gegen Erzerum vorrückte. Die wichtige Festung Hassan-
Kalc, der Schlüssel von Erzerum, auf der Verbindungslinie zwischen Kars
und Bajazet, war von den völlig demoralisirten Türken verlassen worden;
Paskewitsch entsendete den General Burtzoff, um sich der auf der Straße nach
Trapezunt gelegenen Festung Baibnrt zu bemächtigen, wahrend er selbst, nach¬
dem er ein Corps türkischer Reiterei geworfen, unaufhaltsam gegen Erzerum
vorrückte. Er sandte einen am 1. Juli gefangenen Janitscharenaga mit einem
Aufruf an die Einwohner und die Besatzung dieser Stadt. Während die Ar¬
menier, die MollaS und die Janitscharen sich für die Unterwerfung erklärten,
verwarf der Seraskier mit den ihm anhängenden fanatischen Moslems die an¬
gebotene und schon verabredete Kapitulation und suchte wenigstens Zeit zu ge¬
winnen. Noch an demselben Tage (8. Juli) nahmen die Nüssen im Sturmmarsch
die türkische Batterie auf dem Berge Top-Dagh, welcher die Stadt und die
Citadelle beherrscht. Das hier aufgeführte russische Geschütz brachte bald das
der Türken, die sich in die Stadt geworfen und von da das Feuer wieder be¬
gonnen hatten, zum Schweigen. In Erzerum entstand nun eine schreckliche
Verwirrung. 8000 Mann türkische Truppen, meistens Reiterei, von dem
Corps des Hagki Pascha, hatten unterdessen Erzerum eiligst geräumt und
waren in der,Richtung nach Tokat entflohen. Die verlassene Stadt capitulirte
am folgenden Tage (9. Juli 1820). Der Seraskier und vier in der Stadt be¬
findliche Paschas genethen in Gefangenschaft. So war Erzerum mit bedeu¬
tenden Magazinen und 'ISO Stück Geschütz am 0. Juli, dem Jahrestage der
Schlacht von Pultawa, in die Hände der Russen gefallen. In der eroberten
Provinz setzte Paskewitsch eine provisorische Regierung ein. -- General Burtzoff
hatte inzwischen, seinen Marsch nach Trapezunt (Tarabosan) ungehindert fort¬
gesetzt und am -19. Juli ohne Widerstand sich der Festung Baiburt bemächtigt.
Er wendete sich hierauf gegen Gumisch-Khane, westlich von Baiburt, wo sich
10,000 Türken, unter dem gewesenen Pascha von Araya, gesammelt halten,
bei denen sich viele Lasen (Lasier, Laschen, ein wildes, fanatisches Gebirgsvvlk)
befanden. Burtzoff griff am 30. Juli die Türken, die ihm Baiburt wieder ent¬
reißen wollten, an, fand aber in der Hitze des Kampfes seinen Tod und die
Russen wurden genöthigt, sich nach Baiburt zurückzuziehen, wo sie am i. August
ankamen. Die Türken schlossen Baiburt ein. Doch jetzt zog der Oberfeldherr
mit dem murawjewscheu Corps heran, schlug und vernichtete am 8. Angust
bei dem Dorfe Tschart 2000 Lasen und zersprengte am 9. August bei dem
Dorfe Bahar eine andere Abtheilung von 3000 Mann. Auch der vom Sultan
zum Seraskier von Erzerum ernannte Pascha von Trapezunt, Osman Chasyn-


völligen Rückzug am 8. Juli. Gleich nach der Schlacht bei Mittl-Djusv hatte
der russische Oberfeldherr ein Detachement nach Khorassan entsendet, um diese
Stadt zu besetzen, während ein anderes die Türken vollends aus den Wäldern
verjagte und ein drittes gegen Erzerum vorrückte. Die wichtige Festung Hassan-
Kalc, der Schlüssel von Erzerum, auf der Verbindungslinie zwischen Kars
und Bajazet, war von den völlig demoralisirten Türken verlassen worden;
Paskewitsch entsendete den General Burtzoff, um sich der auf der Straße nach
Trapezunt gelegenen Festung Baibnrt zu bemächtigen, wahrend er selbst, nach¬
dem er ein Corps türkischer Reiterei geworfen, unaufhaltsam gegen Erzerum
vorrückte. Er sandte einen am 1. Juli gefangenen Janitscharenaga mit einem
Aufruf an die Einwohner und die Besatzung dieser Stadt. Während die Ar¬
menier, die MollaS und die Janitscharen sich für die Unterwerfung erklärten,
verwarf der Seraskier mit den ihm anhängenden fanatischen Moslems die an¬
gebotene und schon verabredete Kapitulation und suchte wenigstens Zeit zu ge¬
winnen. Noch an demselben Tage (8. Juli) nahmen die Nüssen im Sturmmarsch
die türkische Batterie auf dem Berge Top-Dagh, welcher die Stadt und die
Citadelle beherrscht. Das hier aufgeführte russische Geschütz brachte bald das
der Türken, die sich in die Stadt geworfen und von da das Feuer wieder be¬
gonnen hatten, zum Schweigen. In Erzerum entstand nun eine schreckliche
Verwirrung. 8000 Mann türkische Truppen, meistens Reiterei, von dem
Corps des Hagki Pascha, hatten unterdessen Erzerum eiligst geräumt und
waren in der,Richtung nach Tokat entflohen. Die verlassene Stadt capitulirte
am folgenden Tage (9. Juli 1820). Der Seraskier und vier in der Stadt be¬
findliche Paschas genethen in Gefangenschaft. So war Erzerum mit bedeu¬
tenden Magazinen und 'ISO Stück Geschütz am 0. Juli, dem Jahrestage der
Schlacht von Pultawa, in die Hände der Russen gefallen. In der eroberten
Provinz setzte Paskewitsch eine provisorische Regierung ein. — General Burtzoff
hatte inzwischen, seinen Marsch nach Trapezunt (Tarabosan) ungehindert fort¬
gesetzt und am -19. Juli ohne Widerstand sich der Festung Baiburt bemächtigt.
Er wendete sich hierauf gegen Gumisch-Khane, westlich von Baiburt, wo sich
10,000 Türken, unter dem gewesenen Pascha von Araya, gesammelt halten,
bei denen sich viele Lasen (Lasier, Laschen, ein wildes, fanatisches Gebirgsvvlk)
befanden. Burtzoff griff am 30. Juli die Türken, die ihm Baiburt wieder ent¬
reißen wollten, an, fand aber in der Hitze des Kampfes seinen Tod und die
Russen wurden genöthigt, sich nach Baiburt zurückzuziehen, wo sie am i. August
ankamen. Die Türken schlossen Baiburt ein. Doch jetzt zog der Oberfeldherr
mit dem murawjewscheu Corps heran, schlug und vernichtete am 8. Angust
bei dem Dorfe Tschart 2000 Lasen und zersprengte am 9. August bei dem
Dorfe Bahar eine andere Abtheilung von 3000 Mann. Auch der vom Sultan
zum Seraskier von Erzerum ernannte Pascha von Trapezunt, Osman Chasyn-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101088"/>
          <p xml:id="ID_268" prev="#ID_267" next="#ID_269"> völligen Rückzug am 8. Juli. Gleich nach der Schlacht bei Mittl-Djusv hatte<lb/>
der russische Oberfeldherr ein Detachement nach Khorassan entsendet, um diese<lb/>
Stadt zu besetzen, während ein anderes die Türken vollends aus den Wäldern<lb/>
verjagte und ein drittes gegen Erzerum vorrückte. Die wichtige Festung Hassan-<lb/>
Kalc, der Schlüssel von Erzerum, auf der Verbindungslinie zwischen Kars<lb/>
und Bajazet, war von den völlig demoralisirten Türken verlassen worden;<lb/>
Paskewitsch entsendete den General Burtzoff, um sich der auf der Straße nach<lb/>
Trapezunt gelegenen Festung Baibnrt zu bemächtigen, wahrend er selbst, nach¬<lb/>
dem er ein Corps türkischer Reiterei geworfen, unaufhaltsam gegen Erzerum<lb/>
vorrückte. Er sandte einen am 1. Juli gefangenen Janitscharenaga mit einem<lb/>
Aufruf an die Einwohner und die Besatzung dieser Stadt. Während die Ar¬<lb/>
menier, die MollaS und die Janitscharen sich für die Unterwerfung erklärten,<lb/>
verwarf der Seraskier mit den ihm anhängenden fanatischen Moslems die an¬<lb/>
gebotene und schon verabredete Kapitulation und suchte wenigstens Zeit zu ge¬<lb/>
winnen. Noch an demselben Tage (8. Juli) nahmen die Nüssen im Sturmmarsch<lb/>
die türkische Batterie auf dem Berge Top-Dagh, welcher die Stadt und die<lb/>
Citadelle beherrscht. Das hier aufgeführte russische Geschütz brachte bald das<lb/>
der Türken, die sich in die Stadt geworfen und von da das Feuer wieder be¬<lb/>
gonnen hatten, zum Schweigen. In Erzerum entstand nun eine schreckliche<lb/>
Verwirrung. 8000 Mann türkische Truppen, meistens Reiterei, von dem<lb/>
Corps des Hagki Pascha, hatten unterdessen Erzerum eiligst geräumt und<lb/>
waren in der,Richtung nach Tokat entflohen. Die verlassene Stadt capitulirte<lb/>
am folgenden Tage (9. Juli 1820). Der Seraskier und vier in der Stadt be¬<lb/>
findliche Paschas genethen in Gefangenschaft. So war Erzerum mit bedeu¬<lb/>
tenden Magazinen und 'ISO Stück Geschütz am 0. Juli, dem Jahrestage der<lb/>
Schlacht von Pultawa, in die Hände der Russen gefallen. In der eroberten<lb/>
Provinz setzte Paskewitsch eine provisorische Regierung ein. &#x2014; General Burtzoff<lb/>
hatte inzwischen, seinen Marsch nach Trapezunt (Tarabosan) ungehindert fort¬<lb/>
gesetzt und am -19. Juli ohne Widerstand sich der Festung Baiburt bemächtigt.<lb/>
Er wendete sich hierauf gegen Gumisch-Khane, westlich von Baiburt, wo sich<lb/>
10,000 Türken, unter dem gewesenen Pascha von Araya, gesammelt halten,<lb/>
bei denen sich viele Lasen (Lasier, Laschen, ein wildes, fanatisches Gebirgsvvlk)<lb/>
befanden. Burtzoff griff am 30. Juli die Türken, die ihm Baiburt wieder ent¬<lb/>
reißen wollten, an, fand aber in der Hitze des Kampfes seinen Tod und die<lb/>
Russen wurden genöthigt, sich nach Baiburt zurückzuziehen, wo sie am i. August<lb/>
ankamen. Die Türken schlossen Baiburt ein. Doch jetzt zog der Oberfeldherr<lb/>
mit dem murawjewscheu Corps heran, schlug und vernichtete am 8. Angust<lb/>
bei dem Dorfe Tschart 2000 Lasen und zersprengte am 9. August bei dem<lb/>
Dorfe Bahar eine andere Abtheilung von 3000 Mann. Auch der vom Sultan<lb/>
zum Seraskier von Erzerum ernannte Pascha von Trapezunt, Osman Chasyn-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] völligen Rückzug am 8. Juli. Gleich nach der Schlacht bei Mittl-Djusv hatte der russische Oberfeldherr ein Detachement nach Khorassan entsendet, um diese Stadt zu besetzen, während ein anderes die Türken vollends aus den Wäldern verjagte und ein drittes gegen Erzerum vorrückte. Die wichtige Festung Hassan- Kalc, der Schlüssel von Erzerum, auf der Verbindungslinie zwischen Kars und Bajazet, war von den völlig demoralisirten Türken verlassen worden; Paskewitsch entsendete den General Burtzoff, um sich der auf der Straße nach Trapezunt gelegenen Festung Baibnrt zu bemächtigen, wahrend er selbst, nach¬ dem er ein Corps türkischer Reiterei geworfen, unaufhaltsam gegen Erzerum vorrückte. Er sandte einen am 1. Juli gefangenen Janitscharenaga mit einem Aufruf an die Einwohner und die Besatzung dieser Stadt. Während die Ar¬ menier, die MollaS und die Janitscharen sich für die Unterwerfung erklärten, verwarf der Seraskier mit den ihm anhängenden fanatischen Moslems die an¬ gebotene und schon verabredete Kapitulation und suchte wenigstens Zeit zu ge¬ winnen. Noch an demselben Tage (8. Juli) nahmen die Nüssen im Sturmmarsch die türkische Batterie auf dem Berge Top-Dagh, welcher die Stadt und die Citadelle beherrscht. Das hier aufgeführte russische Geschütz brachte bald das der Türken, die sich in die Stadt geworfen und von da das Feuer wieder be¬ gonnen hatten, zum Schweigen. In Erzerum entstand nun eine schreckliche Verwirrung. 8000 Mann türkische Truppen, meistens Reiterei, von dem Corps des Hagki Pascha, hatten unterdessen Erzerum eiligst geräumt und waren in der,Richtung nach Tokat entflohen. Die verlassene Stadt capitulirte am folgenden Tage (9. Juli 1820). Der Seraskier und vier in der Stadt be¬ findliche Paschas genethen in Gefangenschaft. So war Erzerum mit bedeu¬ tenden Magazinen und 'ISO Stück Geschütz am 0. Juli, dem Jahrestage der Schlacht von Pultawa, in die Hände der Russen gefallen. In der eroberten Provinz setzte Paskewitsch eine provisorische Regierung ein. — General Burtzoff hatte inzwischen, seinen Marsch nach Trapezunt (Tarabosan) ungehindert fort¬ gesetzt und am -19. Juli ohne Widerstand sich der Festung Baiburt bemächtigt. Er wendete sich hierauf gegen Gumisch-Khane, westlich von Baiburt, wo sich 10,000 Türken, unter dem gewesenen Pascha von Araya, gesammelt halten, bei denen sich viele Lasen (Lasier, Laschen, ein wildes, fanatisches Gebirgsvvlk) befanden. Burtzoff griff am 30. Juli die Türken, die ihm Baiburt wieder ent¬ reißen wollten, an, fand aber in der Hitze des Kampfes seinen Tod und die Russen wurden genöthigt, sich nach Baiburt zurückzuziehen, wo sie am i. August ankamen. Die Türken schlossen Baiburt ein. Doch jetzt zog der Oberfeldherr mit dem murawjewscheu Corps heran, schlug und vernichtete am 8. Angust bei dem Dorfe Tschart 2000 Lasen und zersprengte am 9. August bei dem Dorfe Bahar eine andere Abtheilung von 3000 Mann. Auch der vom Sultan zum Seraskier von Erzerum ernannte Pascha von Trapezunt, Osman Chasyn-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/95>, abgerufen am 23.07.2024.