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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Richtung wird in der Regelj die Unmittelbarkeit und das Ueberraschende der
Rückwendung der Größe des strategschen Erfolges zum Opfer gebracht wer¬
den müssen, diese aber reichlich entschädigen; mithin ist sie die bessere.

So weit über die Verhältnisse der russischen Vertheidigung im Allgemeinen,
jetzt zu ihrer Stellung auf dem speciell in Frage gebrachten Kriegstheater und
gegenüber dem auf ein bestimmtes Ziel (Perekvp) gewendeten Angriff.

Man kann nicht leugnen, daß die Lage des Kriegsschauplatzes und die
angenommene Hauptrichtung des Ossensivstoßes innerhalb desselben, Rußland
in der Benutzung seiner Raumverhälmissc nicht durchaus freie Hand läßt,
aber der Gebrauch, den es von densel-ben zu Gunsten seiner Defensive machen
kann, wird immerhin noch sehr in Betracht zu ziehen sein. Da die Be¬
wegung des Armeegros des Angreifers der Seeküste entlang vor sich gehen
wird, so ist, wie bereits bewiesen, nur ein Flügel und desgleichen nur eine
Flanke (hierunter die des rückwärtsgelassenen Raumes verstanden) zu decken;
anstatt zweier Flügelcorps, deren sie beim Vordringen gegen die Landesmitte
bedürfen würde, hat die Offensive daher nur eins, und dem entsprechend nur
einfache Flankendeckungsmittel nöthig. Diese Umstände ermäßigen die beim
Normarsch gegen das Object vor sich gehende Zersplitterung der Angriffsstreit¬
macht auf das halbe Maß dessen, wie sie sich anderen Falls gestalten würde. Aber
dazu tritt noch ein anderer Umstand, der in dem nämlichen Sinne wirkt, hin¬
zu. Die OperationSlinie vom Pruth nach Perekop ist verhältnißmäßig keine
sehr ausgedehnte. Sie hat fast nur den dritten Theil der Länge von der¬
jenigen, welche der große Napoleon in, Jahre 1812 zwischen der Weichsel und
Moskau durchmessen, und kann ebensowenig mit einer von Odessa oder Riga
aus auf Moskau gerichteten auch nur entfernt in Vergleich gestellt werden.
Dadurch verkürzt sich der Raum, welchen die vorrückende Angriffsarmee hinter
sich läßt, in welchem außerdem nur die eine Flanke in dem vorliegenden
Falle des Schutzes bedarf, ganz außerordentlich und in dem nämlichen Ver¬
hältnisse vermindern sich die Kraft zersplitternden Wirkungen, welche von ihm
ausgehen. Um von der Küste des schwarzen oder baltischen Meeres aus die
russische Reichsmitle (Moskau) zu erreichen, würde man, rechts und links von
der Operationslinie einer ganzen Reihe staffelförmi'g aufgestellter Flanken¬
corps und zahlreicher Zwischenbasey bedürfen, die diesen unerläßlichen
Maßregeln zu bringenden Opfer an Kräften und Mitteln würden enorm sein-
und es ist die Frage, ob man, wenn man auch stark wie der große Kaiser der
Franzosen vor vierundvierzig Jahren (1812) ausmarschirte, letztlich als Heeres,
gros eine ausreichende Truppenmacht zur Stelle bringen würde. Für den
, Angriff auf der hier in Rede stehenden Linie kann diese Möglichkeit aus bloßen
NaumeSrücksichten weniger in Zweifel gestellt werden. Was sich für Ru߬
land hieraus folgert ist dies: daß es doppelte Ursache hat, der Aufforderung,


Grenzboten. I. 18ö6. ig

Richtung wird in der Regelj die Unmittelbarkeit und das Ueberraschende der
Rückwendung der Größe des strategschen Erfolges zum Opfer gebracht wer¬
den müssen, diese aber reichlich entschädigen; mithin ist sie die bessere.

So weit über die Verhältnisse der russischen Vertheidigung im Allgemeinen,
jetzt zu ihrer Stellung auf dem speciell in Frage gebrachten Kriegstheater und
gegenüber dem auf ein bestimmtes Ziel (Perekvp) gewendeten Angriff.

Man kann nicht leugnen, daß die Lage des Kriegsschauplatzes und die
angenommene Hauptrichtung des Ossensivstoßes innerhalb desselben, Rußland
in der Benutzung seiner Raumverhälmissc nicht durchaus freie Hand läßt,
aber der Gebrauch, den es von densel-ben zu Gunsten seiner Defensive machen
kann, wird immerhin noch sehr in Betracht zu ziehen sein. Da die Be¬
wegung des Armeegros des Angreifers der Seeküste entlang vor sich gehen
wird, so ist, wie bereits bewiesen, nur ein Flügel und desgleichen nur eine
Flanke (hierunter die des rückwärtsgelassenen Raumes verstanden) zu decken;
anstatt zweier Flügelcorps, deren sie beim Vordringen gegen die Landesmitte
bedürfen würde, hat die Offensive daher nur eins, und dem entsprechend nur
einfache Flankendeckungsmittel nöthig. Diese Umstände ermäßigen die beim
Normarsch gegen das Object vor sich gehende Zersplitterung der Angriffsstreit¬
macht auf das halbe Maß dessen, wie sie sich anderen Falls gestalten würde. Aber
dazu tritt noch ein anderer Umstand, der in dem nämlichen Sinne wirkt, hin¬
zu. Die OperationSlinie vom Pruth nach Perekop ist verhältnißmäßig keine
sehr ausgedehnte. Sie hat fast nur den dritten Theil der Länge von der¬
jenigen, welche der große Napoleon in, Jahre 1812 zwischen der Weichsel und
Moskau durchmessen, und kann ebensowenig mit einer von Odessa oder Riga
aus auf Moskau gerichteten auch nur entfernt in Vergleich gestellt werden.
Dadurch verkürzt sich der Raum, welchen die vorrückende Angriffsarmee hinter
sich läßt, in welchem außerdem nur die eine Flanke in dem vorliegenden
Falle des Schutzes bedarf, ganz außerordentlich und in dem nämlichen Ver¬
hältnisse vermindern sich die Kraft zersplitternden Wirkungen, welche von ihm
ausgehen. Um von der Küste des schwarzen oder baltischen Meeres aus die
russische Reichsmitle (Moskau) zu erreichen, würde man, rechts und links von
der Operationslinie einer ganzen Reihe staffelförmi'g aufgestellter Flanken¬
corps und zahlreicher Zwischenbasey bedürfen, die diesen unerläßlichen
Maßregeln zu bringenden Opfer an Kräften und Mitteln würden enorm sein-
und es ist die Frage, ob man, wenn man auch stark wie der große Kaiser der
Franzosen vor vierundvierzig Jahren (1812) ausmarschirte, letztlich als Heeres,
gros eine ausreichende Truppenmacht zur Stelle bringen würde. Für den
, Angriff auf der hier in Rede stehenden Linie kann diese Möglichkeit aus bloßen
NaumeSrücksichten weniger in Zweifel gestellt werden. Was sich für Ru߬
land hieraus folgert ist dies: daß es doppelte Ursache hat, der Aufforderung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/81>, abgerufen am 25.08.2024.