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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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rottung der kaiserlichen Familie und die Errichtung einer Republik.*) Nikolaus
schrieb diesen verwegenen Versuch der schwachen Regierung seines Vorgängers
zu. Er hielt den Adel nieder theils durch Furcht, theils durch Gunstbezei¬
gungen. Er beraubte ihn alles politischen Einflusses und schwächte ihn, indem
er die Theilung der Erbschaften gestattete und ihm keine Leibeignen mehr
schenkte. Er führte in der Verwaltung alle Reformen ein, welche ausführbar
waren, ohne seine Autokratie zu beeinträchtigen. Er suchte den Einfluß aufzuheben,
welchen die Ideen des Auslandes in Nußland ausüben konnten. Er unter¬
drückte in der Presse, in dem Unterricht und in den Sitten jeden Versuch, die
Lehren politischer Freiheit oder privater Unabhängigkeit einzuführen und ver¬
hinderte die Reisen des russischen Adels in das Ausland, insbesondere in
diejenigen Länder, deren politische Zustände mit dem System der Zaren in
Widerspruch standen. Seine Politik führte zur Schwächung des Adels, zur
Aufrechterhaltung der Leibeigenschaft, zum Kriege. Die Leibeigenschaft behielt
er bei, um den Adel für seine politische Nichtigkeit zu entschädigen. Der Krieg
aber wurde für ihn unvermeidlich, weil er den höhern Ständen ein Feld der
Thätigkeit, den niederen eine Genugthuung geben mußte.

Der Herzog von Ragusa, welcher von Karl X. nach Petersburg geschickt
war, um der Krönung Nikolaus I. beizuwohnen, sagte nach einer Unterredung
mit dem Kaiser: "Das ist der civilistrte Peter der Große!"- Der Ausspruch
ist oft wiederholt, aber nichts weniger als richtig. Nikolaus fand eine Be¬
völkerung von Russen, Polen, Finnen und Deutschen vor, von welchen die
drei letzteren Stämme auf einer weit höheren Stufe der Bildung standen als
die Russen. Statt nun die Russen auf diese Stufe zu erheben, strebte er dar¬
nach, die intelligenteren Stämme auf die Bildungsstufe des weniger vorge¬
rückten Stammes herabzudrücken. Sofort nach seiner Thronbesteigung hob, er
trotz der Verträge alle Privilegien und Freiheiten der deutschen und skandina¬
vischen Stämme seines Reiches auf und unterwarf sie vollständig dem russischen
Regime. Später benutzte er den Aufstand Polens von 1831, um die Ver¬
fassung abzuschaffen, welche Alexander l. unter Garantie des wiener Congresses
diesem Lande gegeben hatte, und um in die Stelle des Code Napoleon,
welcher bis dahin in dem Königreiche Polen beibehalten worden, die bürger¬
lichen Gesetze des russischen Reiches zu setzen. Endlich zwang er in Polen
und Lithauen seine griechisch-katholischen Unterthanen, ihrem Cultus zu ent¬
sagen und statt ihrer bisherigen Bischöfe russische Bischöfe anzunehmen, zu
denen sie kein Vertrauen hatten und die ihnen Abneigung einflößten. Nikolaus
machte sich zum Werkzeuge des russischen Systems. Während in den übrigen
Ländern Europas die bürgerliche und die Strafgesetzgebung verbessert, die
Rechte und Freiheiten der Bürger erweitert wurden, behielt Rußland unge-



") Rapport as I" Kommission ä'nur^ut". 8t, I>ot"rsdoui-A 1826.

rottung der kaiserlichen Familie und die Errichtung einer Republik.*) Nikolaus
schrieb diesen verwegenen Versuch der schwachen Regierung seines Vorgängers
zu. Er hielt den Adel nieder theils durch Furcht, theils durch Gunstbezei¬
gungen. Er beraubte ihn alles politischen Einflusses und schwächte ihn, indem
er die Theilung der Erbschaften gestattete und ihm keine Leibeignen mehr
schenkte. Er führte in der Verwaltung alle Reformen ein, welche ausführbar
waren, ohne seine Autokratie zu beeinträchtigen. Er suchte den Einfluß aufzuheben,
welchen die Ideen des Auslandes in Nußland ausüben konnten. Er unter¬
drückte in der Presse, in dem Unterricht und in den Sitten jeden Versuch, die
Lehren politischer Freiheit oder privater Unabhängigkeit einzuführen und ver¬
hinderte die Reisen des russischen Adels in das Ausland, insbesondere in
diejenigen Länder, deren politische Zustände mit dem System der Zaren in
Widerspruch standen. Seine Politik führte zur Schwächung des Adels, zur
Aufrechterhaltung der Leibeigenschaft, zum Kriege. Die Leibeigenschaft behielt
er bei, um den Adel für seine politische Nichtigkeit zu entschädigen. Der Krieg
aber wurde für ihn unvermeidlich, weil er den höhern Ständen ein Feld der
Thätigkeit, den niederen eine Genugthuung geben mußte.

Der Herzog von Ragusa, welcher von Karl X. nach Petersburg geschickt
war, um der Krönung Nikolaus I. beizuwohnen, sagte nach einer Unterredung
mit dem Kaiser: „Das ist der civilistrte Peter der Große!"- Der Ausspruch
ist oft wiederholt, aber nichts weniger als richtig. Nikolaus fand eine Be¬
völkerung von Russen, Polen, Finnen und Deutschen vor, von welchen die
drei letzteren Stämme auf einer weit höheren Stufe der Bildung standen als
die Russen. Statt nun die Russen auf diese Stufe zu erheben, strebte er dar¬
nach, die intelligenteren Stämme auf die Bildungsstufe des weniger vorge¬
rückten Stammes herabzudrücken. Sofort nach seiner Thronbesteigung hob, er
trotz der Verträge alle Privilegien und Freiheiten der deutschen und skandina¬
vischen Stämme seines Reiches auf und unterwarf sie vollständig dem russischen
Regime. Später benutzte er den Aufstand Polens von 1831, um die Ver¬
fassung abzuschaffen, welche Alexander l. unter Garantie des wiener Congresses
diesem Lande gegeben hatte, und um in die Stelle des Code Napoleon,
welcher bis dahin in dem Königreiche Polen beibehalten worden, die bürger¬
lichen Gesetze des russischen Reiches zu setzen. Endlich zwang er in Polen
und Lithauen seine griechisch-katholischen Unterthanen, ihrem Cultus zu ent¬
sagen und statt ihrer bisherigen Bischöfe russische Bischöfe anzunehmen, zu
denen sie kein Vertrauen hatten und die ihnen Abneigung einflößten. Nikolaus
machte sich zum Werkzeuge des russischen Systems. Während in den übrigen
Ländern Europas die bürgerliche und die Strafgesetzgebung verbessert, die
Rechte und Freiheiten der Bürger erweitert wurden, behielt Rußland unge-



") Rapport as I» Kommission ä'nur^ut«. 8t, I>ot«rsdoui-A 1826.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/60>, abgerufen am 23.07.2024.