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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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kam, ein Dintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der
flachen Hand darüber hin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder
darauf fort), wir lachten anfänglich über dieses scheinbare xulim-rtnias. aber
der Papa fieng' hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, -über die
Noten, über die eomposMon an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrach¬
tung an dem Blatte, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung
und Freude aus seinen Augen. Sehen Sie, Hr. Schacherer, sagte er, wie
alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so
außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre.
Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Loneert, man muß so lange exer-
cieren bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. Er spielte,
konnte aber auch just soviel herausbringen, daß wir kennen konnten,' wo er
aus wollte. Er hatte damals den Begrif, daß Concert spielen und Mirakel
wirken einerley sein müsse."

"Noch Eins."

"Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute
Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen ihrem sanften und vollen Ton
immer Buttergcige nannte. Einsmals, bald nachdem Sie von Wien zurück¬
kamen, geigte er daraus und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein
oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich
eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht
Ihre Buttergcige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte
er ein bischen nach, und sagte zu mir: Hr. Schacherer, Ihre Geige ist um
einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so
gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte. Ich lachte
darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtniß
dieses Kindes kannte, bat mich meine Geige zu hohlen, und zu sehen, ob er
recht hätte. Ich thats, und richtig wars."

"Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurück¬
kamen, und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte,
mitbrachte, kam unser ehemalige sehr gute Geiger Hr. Wentzl seel., der ein
Anfänger in der Composition war, er brachte 6 Irio mit, die er in Abwesen¬
heit des Hrn. Papa verfertigt hatte, und bat Hrn. Papa um seine Erinnerung
hierüber. Wir spielten diese Irio, und Papa spielte mit der Vivi-r den Baß,
der Wentzl das erste Violin, und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl
bat, daß er das zweite Violin spielen dörfte, der Papa aber verwieß ihm seine
närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin
hatte, und Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten im Stande
wäre"). Wolfgang sagte: Um ein zweites Violin zu spielen braucht es ja-



*) ES kann kein Zweifel sein, daß er sich schon früher ans der Geige versucht habe,
Grenzlwte". I. -I8Ü0. 7

kam, ein Dintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der
flachen Hand darüber hin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder
darauf fort), wir lachten anfänglich über dieses scheinbare xulim-rtnias. aber
der Papa fieng' hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, -über die
Noten, über die eomposMon an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrach¬
tung an dem Blatte, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung
und Freude aus seinen Augen. Sehen Sie, Hr. Schacherer, sagte er, wie
alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so
außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre.
Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Loneert, man muß so lange exer-
cieren bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. Er spielte,
konnte aber auch just soviel herausbringen, daß wir kennen konnten,' wo er
aus wollte. Er hatte damals den Begrif, daß Concert spielen und Mirakel
wirken einerley sein müsse."

„Noch Eins."

„Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute
Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen ihrem sanften und vollen Ton
immer Buttergcige nannte. Einsmals, bald nachdem Sie von Wien zurück¬
kamen, geigte er daraus und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein
oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich
eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht
Ihre Buttergcige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte
er ein bischen nach, und sagte zu mir: Hr. Schacherer, Ihre Geige ist um
einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so
gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte. Ich lachte
darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtniß
dieses Kindes kannte, bat mich meine Geige zu hohlen, und zu sehen, ob er
recht hätte. Ich thats, und richtig wars."

„Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurück¬
kamen, und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte,
mitbrachte, kam unser ehemalige sehr gute Geiger Hr. Wentzl seel., der ein
Anfänger in der Composition war, er brachte 6 Irio mit, die er in Abwesen¬
heit des Hrn. Papa verfertigt hatte, und bat Hrn. Papa um seine Erinnerung
hierüber. Wir spielten diese Irio, und Papa spielte mit der Vivi-r den Baß,
der Wentzl das erste Violin, und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl
bat, daß er das zweite Violin spielen dörfte, der Papa aber verwieß ihm seine
närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin
hatte, und Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten im Stande
wäre"). Wolfgang sagte: Um ein zweites Violin zu spielen braucht es ja-



*) ES kann kein Zweifel sein, daß er sich schon früher ans der Geige versucht habe,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/57>, abgerufen am 23.07.2024.