Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihren Geschmack und mitunter auch ihre Geschmacklosigkeit. Die letztere
unzweifelhaft an der Kirche. Dieselbe erweckt die Vermuthung, man habe sie
aus einer kleinen Stadt Amerikas importirt, ist aber der Abklatsch der Frauen¬
kirche in Kopenhagen, die auch in einigen Dorfkirchen Schleswigs, z. B. in
Wonsild bei Kolding, nachgeahmt worden ist. Denke man sich ein ziemlich
großes Parallelogramm mit zwei Reihen kleiner viereckiger Fenster, setze man
darauf einen dicken vierkantigen Thurm und auf diesen eine Kuppel in der Form
eines Phallus, schreibe man über die Thür in diesem Thurme mit goldnen
Buchstaben:


"Dies ist Gottes Hans, tritt ein,
Andachtsvoll doch mußt du sein."

und man wird die Gefühle ermessen, die ich im Anschauen dieses Bauwerks
empfand, wird es verzeihlich finden, wenn ich das Gebäude ohne das Kreuz
auf dem Phallus eher für alles andre als eine Kirche gehalten hätte und
wenn mir bei der Inschrift der Dichtergenius einfiel, dem wir den Fibelvers
danken:


Die Gans, wenn sie gebraten ist,
Wird mit der Gabel angespießt.

Sehr hübsch ist dagegen das Schloß mit seinen von Rosenbäumchen be¬
schatteten und mit Weinlaub umwundenen Rococoportal, seinen weißen Mauern
und den hohen grünen Bäumen ringsum. Es ist die Wohnung des Amt¬
manns und hatte einst in seinem Rittersaale eine wundersame Merkwürdigkeit.
Unter den Bildern nämlich, die hier die Wände zierten, befand sich auch das
eines Ritters, der jedes Mal roth wurde, wenn ihn jemand anblickte. Den
Grund dieser Verschämtheit gibt die Sage nicht an, daß es aber mit dem Er-
röthen seine Richtigkeit hatte, würde schon darum zu glauben sein, weil be¬
kanntlich alle Bilder lachen, wenn der Beschauer sie anlächelt und finster drein
blicken, wenn man ihnen eine finstere Miene zeigt. Zum Ueberflusse aber
wurde mir die Sache von jemand bestätigt, der den Ritter als Knabe selbst
mehrmals zum Rothwerden gebracht hatte. Jetzt ist das Bild mit den übrigen
nach Kopenhagen gewandert "und ob es dort so schamhaft ist, glaube ich be¬
zweifeln zu müssen", sagte mein Berichterstatter.

Auch in Husum wird viel über das Verfahren der Regierung geklagt und
die Scheidewand zwischen Dänen und Deutschen ist hier ganz ebenso streng,
und unübersteiglich gezogen, als in Kiel und Schleswig, in Eckernförde und
Tondern. Wie man gegen mißliebige Einwohner verfährt, mag Ihnen folgen¬
des Beispiel zeigen.

In Schleswig eristirt der in den letzten hundert Jahren zur bloßen Förm¬
lichkeit gewordene Gebrauch, daß die Privilegien der Apotheken an der Person
des Besitzers hasten und bei jeder Thronbesteigung von neuem bestätigt werden


Ihren Geschmack und mitunter auch ihre Geschmacklosigkeit. Die letztere
unzweifelhaft an der Kirche. Dieselbe erweckt die Vermuthung, man habe sie
aus einer kleinen Stadt Amerikas importirt, ist aber der Abklatsch der Frauen¬
kirche in Kopenhagen, die auch in einigen Dorfkirchen Schleswigs, z. B. in
Wonsild bei Kolding, nachgeahmt worden ist. Denke man sich ein ziemlich
großes Parallelogramm mit zwei Reihen kleiner viereckiger Fenster, setze man
darauf einen dicken vierkantigen Thurm und auf diesen eine Kuppel in der Form
eines Phallus, schreibe man über die Thür in diesem Thurme mit goldnen
Buchstaben:


„Dies ist Gottes Hans, tritt ein,
Andachtsvoll doch mußt du sein."

und man wird die Gefühle ermessen, die ich im Anschauen dieses Bauwerks
empfand, wird es verzeihlich finden, wenn ich das Gebäude ohne das Kreuz
auf dem Phallus eher für alles andre als eine Kirche gehalten hätte und
wenn mir bei der Inschrift der Dichtergenius einfiel, dem wir den Fibelvers
danken:


Die Gans, wenn sie gebraten ist,
Wird mit der Gabel angespießt.

Sehr hübsch ist dagegen das Schloß mit seinen von Rosenbäumchen be¬
schatteten und mit Weinlaub umwundenen Rococoportal, seinen weißen Mauern
und den hohen grünen Bäumen ringsum. Es ist die Wohnung des Amt¬
manns und hatte einst in seinem Rittersaale eine wundersame Merkwürdigkeit.
Unter den Bildern nämlich, die hier die Wände zierten, befand sich auch das
eines Ritters, der jedes Mal roth wurde, wenn ihn jemand anblickte. Den
Grund dieser Verschämtheit gibt die Sage nicht an, daß es aber mit dem Er-
röthen seine Richtigkeit hatte, würde schon darum zu glauben sein, weil be¬
kanntlich alle Bilder lachen, wenn der Beschauer sie anlächelt und finster drein
blicken, wenn man ihnen eine finstere Miene zeigt. Zum Ueberflusse aber
wurde mir die Sache von jemand bestätigt, der den Ritter als Knabe selbst
mehrmals zum Rothwerden gebracht hatte. Jetzt ist das Bild mit den übrigen
nach Kopenhagen gewandert „und ob es dort so schamhaft ist, glaube ich be¬
zweifeln zu müssen", sagte mein Berichterstatter.

Auch in Husum wird viel über das Verfahren der Regierung geklagt und
die Scheidewand zwischen Dänen und Deutschen ist hier ganz ebenso streng,
und unübersteiglich gezogen, als in Kiel und Schleswig, in Eckernförde und
Tondern. Wie man gegen mißliebige Einwohner verfährt, mag Ihnen folgen¬
des Beispiel zeigen.

In Schleswig eristirt der in den letzten hundert Jahren zur bloßen Förm¬
lichkeit gewordene Gebrauch, daß die Privilegien der Apotheken an der Person
des Besitzers hasten und bei jeder Thronbesteigung von neuem bestätigt werden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101494"/>
            <p xml:id="ID_1486" next="#ID_1487"> Ihren Geschmack und mitunter auch ihre Geschmacklosigkeit. Die letztere<lb/>
unzweifelhaft an der Kirche. Dieselbe erweckt die Vermuthung, man habe sie<lb/>
aus einer kleinen Stadt Amerikas importirt, ist aber der Abklatsch der Frauen¬<lb/>
kirche in Kopenhagen, die auch in einigen Dorfkirchen Schleswigs, z. B. in<lb/>
Wonsild bei Kolding, nachgeahmt worden ist. Denke man sich ein ziemlich<lb/>
großes Parallelogramm mit zwei Reihen kleiner viereckiger Fenster, setze man<lb/>
darauf einen dicken vierkantigen Thurm und auf diesen eine Kuppel in der Form<lb/>
eines Phallus, schreibe man über die Thür in diesem Thurme mit goldnen<lb/>
Buchstaben:</p><lb/>
            <quote> &#x201E;Dies ist Gottes Hans, tritt ein,<lb/>
Andachtsvoll doch mußt du sein."</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486"> und man wird die Gefühle ermessen, die ich im Anschauen dieses Bauwerks<lb/>
empfand, wird es verzeihlich finden, wenn ich das Gebäude ohne das Kreuz<lb/>
auf dem Phallus eher für alles andre als eine Kirche gehalten hätte und<lb/>
wenn mir bei der Inschrift der Dichtergenius einfiel, dem wir den Fibelvers<lb/>
danken:</p><lb/>
            <quote> Die Gans, wenn sie gebraten ist,<lb/>
Wird mit der Gabel angespießt.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_1488"> Sehr hübsch ist dagegen das Schloß mit seinen von Rosenbäumchen be¬<lb/>
schatteten und mit Weinlaub umwundenen Rococoportal, seinen weißen Mauern<lb/>
und den hohen grünen Bäumen ringsum. Es ist die Wohnung des Amt¬<lb/>
manns und hatte einst in seinem Rittersaale eine wundersame Merkwürdigkeit.<lb/>
Unter den Bildern nämlich, die hier die Wände zierten, befand sich auch das<lb/>
eines Ritters, der jedes Mal roth wurde, wenn ihn jemand anblickte. Den<lb/>
Grund dieser Verschämtheit gibt die Sage nicht an, daß es aber mit dem Er-<lb/>
röthen seine Richtigkeit hatte, würde schon darum zu glauben sein, weil be¬<lb/>
kanntlich alle Bilder lachen, wenn der Beschauer sie anlächelt und finster drein<lb/>
blicken, wenn man ihnen eine finstere Miene zeigt. Zum Ueberflusse aber<lb/>
wurde mir die Sache von jemand bestätigt, der den Ritter als Knabe selbst<lb/>
mehrmals zum Rothwerden gebracht hatte. Jetzt ist das Bild mit den übrigen<lb/>
nach Kopenhagen gewandert &#x201E;und ob es dort so schamhaft ist, glaube ich be¬<lb/>
zweifeln zu müssen", sagte mein Berichterstatter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1489"> Auch in Husum wird viel über das Verfahren der Regierung geklagt und<lb/>
die Scheidewand zwischen Dänen und Deutschen ist hier ganz ebenso streng,<lb/>
und unübersteiglich gezogen, als in Kiel und Schleswig, in Eckernförde und<lb/>
Tondern. Wie man gegen mißliebige Einwohner verfährt, mag Ihnen folgen¬<lb/>
des Beispiel zeigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> In Schleswig eristirt der in den letzten hundert Jahren zur bloßen Förm¬<lb/>
lichkeit gewordene Gebrauch, daß die Privilegien der Apotheken an der Person<lb/>
des Besitzers hasten und bei jeder Thronbesteigung von neuem bestätigt werden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Ihren Geschmack und mitunter auch ihre Geschmacklosigkeit. Die letztere unzweifelhaft an der Kirche. Dieselbe erweckt die Vermuthung, man habe sie aus einer kleinen Stadt Amerikas importirt, ist aber der Abklatsch der Frauen¬ kirche in Kopenhagen, die auch in einigen Dorfkirchen Schleswigs, z. B. in Wonsild bei Kolding, nachgeahmt worden ist. Denke man sich ein ziemlich großes Parallelogramm mit zwei Reihen kleiner viereckiger Fenster, setze man darauf einen dicken vierkantigen Thurm und auf diesen eine Kuppel in der Form eines Phallus, schreibe man über die Thür in diesem Thurme mit goldnen Buchstaben: „Dies ist Gottes Hans, tritt ein, Andachtsvoll doch mußt du sein." und man wird die Gefühle ermessen, die ich im Anschauen dieses Bauwerks empfand, wird es verzeihlich finden, wenn ich das Gebäude ohne das Kreuz auf dem Phallus eher für alles andre als eine Kirche gehalten hätte und wenn mir bei der Inschrift der Dichtergenius einfiel, dem wir den Fibelvers danken: Die Gans, wenn sie gebraten ist, Wird mit der Gabel angespießt. Sehr hübsch ist dagegen das Schloß mit seinen von Rosenbäumchen be¬ schatteten und mit Weinlaub umwundenen Rococoportal, seinen weißen Mauern und den hohen grünen Bäumen ringsum. Es ist die Wohnung des Amt¬ manns und hatte einst in seinem Rittersaale eine wundersame Merkwürdigkeit. Unter den Bildern nämlich, die hier die Wände zierten, befand sich auch das eines Ritters, der jedes Mal roth wurde, wenn ihn jemand anblickte. Den Grund dieser Verschämtheit gibt die Sage nicht an, daß es aber mit dem Er- röthen seine Richtigkeit hatte, würde schon darum zu glauben sein, weil be¬ kanntlich alle Bilder lachen, wenn der Beschauer sie anlächelt und finster drein blicken, wenn man ihnen eine finstere Miene zeigt. Zum Ueberflusse aber wurde mir die Sache von jemand bestätigt, der den Ritter als Knabe selbst mehrmals zum Rothwerden gebracht hatte. Jetzt ist das Bild mit den übrigen nach Kopenhagen gewandert „und ob es dort so schamhaft ist, glaube ich be¬ zweifeln zu müssen", sagte mein Berichterstatter. Auch in Husum wird viel über das Verfahren der Regierung geklagt und die Scheidewand zwischen Dänen und Deutschen ist hier ganz ebenso streng, und unübersteiglich gezogen, als in Kiel und Schleswig, in Eckernförde und Tondern. Wie man gegen mißliebige Einwohner verfährt, mag Ihnen folgen¬ des Beispiel zeigen. In Schleswig eristirt der in den letzten hundert Jahren zur bloßen Förm¬ lichkeit gewordene Gebrauch, daß die Privilegien der Apotheken an der Person des Besitzers hasten und bei jeder Thronbesteigung von neuem bestätigt werden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/501>, abgerufen am 23.07.2024.