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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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nur darauf an, ihre Rolle zu Ende zu spielen, um dann von der Schweiz aus
Gagern und seinen Freunden die Schuld aufzubürden, weil diese die Einheit
ihrer Rolle der Einheit ihres Wesens aufopferten. Wer fühlte sich wol so
rein von Schuld, gegen die Mitglieder des Stuttgarter Parlaments den Stein
aufzuheben? Aber daß sie seit der Zeit nicht ernstlicher in sich gegangen sind,
das rechtfertigt wenigstens den Wunsch, daß Deutschland niemals nöthig
haben werde, ihre Hilfe zu beanspruchen. -- Von den juristischen Deductionen,
inwiefern die Revolution ein Rechtsboden sei, und inwiefern die Regierungen
Unrecht gehabt hätten, das Recht deö ehemals Stärkeren nicht zu ehren, wollen
wir ganz schweigen. ES gibt Dinge, bei denen man nicht weiß, ob man
mehr lachen oder zürnen soll. Nur von einem wollen wir noch Act nehmen,
von der beständigen Ueberraschung Simons, wenn der Feind einmal Ernst
macht. "Das hätte ich nicht erwartet!" -- Eine schlimme Entschuldigung für
einen Revolutionär. Möchten doch alle Freunde der Barricaden das folgende
Geständnis) (l. S. 89) beherzigen: "Was ich in den ersten Tagen nach dem
frankfurter Septemberaufstande ausgestanden habe, als es galt, ni>er frische
Blutlachen durch die Reihen noch pulvergeschwärzter Soldaten, denen man
mich als den unbestrittenen Anstifter zum Morde Auerswalds und Lichnowökys
bezeichnete, mit fester Stirne hindurchzüschreiten, um zu gewohnter Stunde auf
gewohntem Platze im Parlamente zu sitzen; als der Antrag auf Verhaftung
ins Parlament kam und selbst sonst ordentliche Leute vor mir ausspuckten, --
was ich damals ausgestanden, das wünsche ich meinem ärgsten Feinde nicht,
geschweige denn einem Gesinnungsgenossen."

Wenn schon in den allgemeinen abstracten Principien, wo man sich zur
Noth doch noch mit Worten helfen kann, die Unklarheit und Unsicherheit her¬
vortritt, so ist das natürlich bei allen concreten Fragen der Politik noch viel
mehr der Fall, und aus diese kommt es doch hauptsächlich an; denn ob die
demokratischen Staatsformen, die als allgemein rechtsverbindlich, als angeborne
und unveräußerliche Menschenrechte nur ein Träumer betrachten kann, für
einen bestimmten Fall anwendbar und sogar nothwendig sind, das muß eben
die Betrachtung des einzelnen Falls entscheiden. Wenn wir z. B. in den
Jahren -1848 und 49 für den Adel gegen die demokratische Gesetzgebung in
die Schranken traten, so ist damit noch nicht ausgemacht, daß wir diese
Stellung immer einnehmen werden, denn man darf das Institut nicht seinem
todten Begriff nach betrachten, sondern in seiner positiven Erscheinung, wie es
sich augenblicklich innerhalb des Staatslebens geltend macht. Viel wichtiger
war in jener Zeit ein anderer Streitpunkt. Die gothaische Partei hat wäh¬
rend der ganzen Bewegung den preußischen Staat zu kräftigen und zu erheben
gesucht, weil sie von der Ueberzeugung ausging,-daß die Entwicklung Deutsch¬
lands nur durch Preußen geschehen könne. Sie war dabei in der üblen Lage,


Grenjbvten. I. -I8!i6. KZ

nur darauf an, ihre Rolle zu Ende zu spielen, um dann von der Schweiz aus
Gagern und seinen Freunden die Schuld aufzubürden, weil diese die Einheit
ihrer Rolle der Einheit ihres Wesens aufopferten. Wer fühlte sich wol so
rein von Schuld, gegen die Mitglieder des Stuttgarter Parlaments den Stein
aufzuheben? Aber daß sie seit der Zeit nicht ernstlicher in sich gegangen sind,
das rechtfertigt wenigstens den Wunsch, daß Deutschland niemals nöthig
haben werde, ihre Hilfe zu beanspruchen. — Von den juristischen Deductionen,
inwiefern die Revolution ein Rechtsboden sei, und inwiefern die Regierungen
Unrecht gehabt hätten, das Recht deö ehemals Stärkeren nicht zu ehren, wollen
wir ganz schweigen. ES gibt Dinge, bei denen man nicht weiß, ob man
mehr lachen oder zürnen soll. Nur von einem wollen wir noch Act nehmen,
von der beständigen Ueberraschung Simons, wenn der Feind einmal Ernst
macht. „Das hätte ich nicht erwartet!" — Eine schlimme Entschuldigung für
einen Revolutionär. Möchten doch alle Freunde der Barricaden das folgende
Geständnis) (l. S. 89) beherzigen: „Was ich in den ersten Tagen nach dem
frankfurter Septemberaufstande ausgestanden habe, als es galt, ni>er frische
Blutlachen durch die Reihen noch pulvergeschwärzter Soldaten, denen man
mich als den unbestrittenen Anstifter zum Morde Auerswalds und Lichnowökys
bezeichnete, mit fester Stirne hindurchzüschreiten, um zu gewohnter Stunde auf
gewohntem Platze im Parlamente zu sitzen; als der Antrag auf Verhaftung
ins Parlament kam und selbst sonst ordentliche Leute vor mir ausspuckten, —
was ich damals ausgestanden, das wünsche ich meinem ärgsten Feinde nicht,
geschweige denn einem Gesinnungsgenossen."

Wenn schon in den allgemeinen abstracten Principien, wo man sich zur
Noth doch noch mit Worten helfen kann, die Unklarheit und Unsicherheit her¬
vortritt, so ist das natürlich bei allen concreten Fragen der Politik noch viel
mehr der Fall, und aus diese kommt es doch hauptsächlich an; denn ob die
demokratischen Staatsformen, die als allgemein rechtsverbindlich, als angeborne
und unveräußerliche Menschenrechte nur ein Träumer betrachten kann, für
einen bestimmten Fall anwendbar und sogar nothwendig sind, das muß eben
die Betrachtung des einzelnen Falls entscheiden. Wenn wir z. B. in den
Jahren -1848 und 49 für den Adel gegen die demokratische Gesetzgebung in
die Schranken traten, so ist damit noch nicht ausgemacht, daß wir diese
Stellung immer einnehmen werden, denn man darf das Institut nicht seinem
todten Begriff nach betrachten, sondern in seiner positiven Erscheinung, wie es
sich augenblicklich innerhalb des Staatslebens geltend macht. Viel wichtiger
war in jener Zeit ein anderer Streitpunkt. Die gothaische Partei hat wäh¬
rend der ganzen Bewegung den preußischen Staat zu kräftigen und zu erheben
gesucht, weil sie von der Ueberzeugung ausging,-daß die Entwicklung Deutsch¬
lands nur durch Preußen geschehen könne. Sie war dabei in der üblen Lage,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/497>, abgerufen am 23.07.2024.